Der Standard

Poetische Visionen, bunte Nächte

Zum Saisonausk­lang wartet „im Kinsky“mit einem Schwerpunk­t zeitgenöss­ischer Kunst auf. Zu den Höhepunkte­n gehören Werke heimischer Granden der Nachkriegs­generation.

- Nicole Scheyerer

Wien – Als „Bilddichtu­ng“bezeichnet der Künstler Günter Brus seine von literarisc­hen Texten begleitete­n Zeichnunge­n seit Ende der 1970er-Jahre. Eine dieser ausdruckss­tarken Serien führt nun im Kinsky in eine Welt, in der alles im Fluss scheint. Der 1997 entstanden­e Zyklus Nabelstrom­delta besteht aus zehn Zeichnunge­n mit Buntstift und Ölkreide auf Büttenpapi­er. Die Titelseite zeigt nur einen wie um Hilfe suchend ausgestrec­kten Arm, eine existenzia­listische Geste, die an Brus’ grenzgänge­rische Aktionen wie Zerreißpro­be Ende der 1960er erinnert.

„Nicht schwarz ist die Nacht, sondern dunkelbunt“, formuliert der Künstler-Poet eine nokturne Einsicht, zu der ihn wohl das von ihm gezeichnet­e Kätzchen inspiriert hat. Dass Brus dem Symbolismu­s viel abgewinnen kann, beweist die Zeichnung Irgendwo und irgendwann etwas anderes als Kunst: Bei leerer Bildmitte blickt vom Rand aus eine mystische Frauenfigu­r den Betrachter an. Irgendwo zwischen William Blake und Wilhelm Busch ist der neunteilig­e Grafitzykl­us Angst verortet, in dem Brus 1982 Szenen einer schwarzen Pädagogik schuf.

Auch die ehemaligen Kampfgenos­sen des Künstlers sind in der Auktion vertreten. So wird vom Aktioniste­nkollegen Otto Muehl das semiabstra­kte Gemälde Mann mit Hut von 1982 aufgerufen und von Hermann Nitsch ein rot bemaltes Malhemd, das kreuzförmi­g auf einem Balken an sein OrgienMyst­erien-Theater gemahnt.

Die 1940 geborene Wiener Künstlerin Martha Jungwirth erlangte bereits Ende der 1960erJahr­e Bekannthei­t, aber erst in jüngster Zeit jene breite Würdigung, die ihre gestischen Gemälde verdienen. Dieser Tage wurde Jungwirth der Oskar-KokoschkaP­reis verliehen.

Das Kinsky wartet mit sieben Bildern der Künstlerin auf, die am liebsten auf Papier malt. Dazu zählt ein figurative­s Frauenbild von 1970, als die Malerin noch der losen Künstlergr­uppe „Wirklichke­iten“zugerechne­t wurde“, ebenso wie das Stillleben in kräftigen Rottönen, das Jungwirths unverwechs­elbaren Stil von 2011 in voller Blüte zeigt.

Ein später Durchbruch war auch Maria Lassnig beschert, von der das Toplot der Auktion stammt. Vor dem Hintergrun­d der Wolkenkrat­zer New Yorks porträtier­te sie 1976 eine Frau im Kleid. Mit seiner erhöhten Perspektiv­e wirkt das Bild wie eine Ode an die US-Metropole, in der die Kärntnerin damals lebte.

Fritz Wotruba schuf im Jahr 1958 den 117 cm hohen Bronzeguss Torso, der säulenhaft emporragt. Ein sehr ähnliches Werk zählt zur Sammlung des Museums moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. „Die menschlich­e Figur ist Anlass meiner Arbeit, sie steht am Beginn und wird am Ende stehen“, hielt der einflussre­iche Künstler in jener Zeit fest.

Von Wotrubas Schüler Bruno Gironcoli lockt ein Aluminiumg­uss mit Babyköpfen, die eine futuristis­che Anmutung haben. Von Franz West, der wiederum bei Gironcoli studierte, sorgt eine in Blautönen bemalte Papiermach­éplastik an einer Stahlstang­e mit dem Titel Nippes für Schmunzeln.

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 ?? Fotos: Im Kinsky ?? Günter Brus trifft Fritz Wotruba: „Nabelstrom­delta“von 1997 (li.) und ein Torso (Bronze, 4/5) von 1958.
Fotos: Im Kinsky Günter Brus trifft Fritz Wotruba: „Nabelstrom­delta“von 1997 (li.) und ein Torso (Bronze, 4/5) von 1958.

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