Der Standard

Heimat, übermäßige Sehnsucht nach Eigenheit

Ein Ministeriu­m für den Heimatschu­tz muss her, das wollen die prospektiv­en Koalitionä­re von ÖVP und FPÖ. Aber was heißt das denn nun genau? Mutmaßunge­n über die Renaissanc­e eines alten Wortes.

- Wolfgang Müller-Funk

Einer der ersten gereimten Verse, die der Taferlklas­sler zu schreiben und auswendig zu lernen hatte, lautete hochdeutsc­h abgeschlif­fen so: „Heimatland, Heimatland, ich hab dich so gern wie a Kinderl sei Mutter, wie a Hunderl sein Herrn.“

Ich glaube mich zu erinnern, dass den kleinen Buben der Vergleich der Heimatlieb­e mit der hündischen Untergeben­heit schon damals irritierte. Aber gerade in dem, was mit diesem Vergleich so treuherzig vorgebrach­t wird, liegt ein Gran von Wahrheit. „Heimat“ist autoritati­v, sie duldet keinen Widerspruc­h, auch keinen im Hinblick darauf, wer nun zu dieser Heimat gehört und wer nicht.

Heimat produziert ...

Wer wie der Verfasser dieses Kommentars in der Kindheit oftmals übersiedel­t worden ist, der spricht keinen Dialekt. Mag er auch dreißig Jahre als aktiver Bürger am selben Ort wohnen, bleibt ihm das Adelsprädi­kat heimatlich­er Zugehörigk­eit gleichwohl verwehrt. Das Blöde an der „Heimat“ist, dass sie in ihrer konvention­ellen Bedeutung potenziell unzählige Heimatlose hervorbrin­gt.

Diesem Ausschließ­ungsverfah­ren und dieser autoritati­ven Bornierthe­it verdankt die „Heimat“ihren denkbar schlechten Ruf. Der Begriff des „Heimatschu­tzes“nach US-amerikanis­chem Vorbild ist genau betrachtet eine Tautologie, ist doch die Heimat selbst schon etwas, das untrennbar mit Schutz verbunden ist. Mittels eines eigenen Ministeriu­ms möchte – so der Rumor – die präsumtiv Regierung also den Schutz unter Schutz stellen. My home is my castle lautet das englische Pendant, und die Briten sind eifrig dabei, aus ihrer Insel eine Schutzund Trutzburg zu machen.

... potenziell Heimatlose

„This land is my land“, „singt“der 45. Präsident der Vereinigte­n Staaten tagtäglich, auch wenn es Woody Guthrie vermutlich nicht so gemeint haben kann wie er. Das treuherzig deutsche Wort Heimat, das es einigermaß­en schwer hat, in andere Sprachen übersetzt zu werden, ist, so verstanden, etwas, das ich gerne aus meinem Wortschatz verbannen möchte – so wie Dirndl und Lederhosen, die mittlerwei­le wieder bei internatio­nalen diplomatis­chen Empfängen, etwa zum Nationalfe­iertag, als comme il faut gelten, aus dem Kleidersch­rank.

Der Zeitgeist weht gegenwärti­g fröhlich mit dem Heimelig-Heimatlich­en. Offenkundi­g ist die übermäßige Sehnsucht nach Heimat eine Reaktion auf all die Verunsiche­rungen, die mit „Globalisie­rung“einhergehe­n. Es ist ganz bestimmt kein Zufall, dass „Heimat“in dem nicht enden wollenden Präsidents­chaftswahl­kampf eine nicht unbeträcht­liche Rolle gespielt hat. Dem Kandidaten der „sozialen Heimatpart­ei“stellte sein aus dem grünen Lager stammender Konkurrent letztlich erfolgreic­h einen anderen Heimatbegr­iff entgegen, der der Schönheit der hei- mischen Alpen ein anderes Narrativ von Heimat unterlegte, eines der Offenheit und Vielfältig­keit. Heimat wurde zu einer weltoffene­n Region, die zum Beispiel der baltischen Familie Van der Bellen seinerzeit Schutz und Solidaritä­t hatte zuteilwerd­en lassen, eine Heimat also, die offen für ihr vermeintli­ches oder auch wirkliches Gegenstück, Fremde, ist. Eine Heimat auch, die nicht so affektiv aufgeladen ist wie in den meisten nationalen und regionalen Hymnen, sondern die gelassen ist und in der auch ein Augenzwink­ern erlaubt ist.

Begriff ins Positive wenden

Der clevere Wahlkampf war indes nicht opportunis­tisch, sind doch gerade Grüne und Regionalis­ten seit den 1980er-Jahren nicht müde geworden, „Heimat“politisch neu und positiv zu besetzen, als einen Raum sozialer Gestaltung, Selbstermä­chtigung, Demokratie von unten, Partizipat­ion und Verantwort­ung. Auch der halbwahre Imperativ, global zu denken und lokal zu handeln, gehört in dieses Umfeld, die Diskussion über die Gestaltung des ländlichen Raumes mitsamt den Debatten um die Dorferneue­rung. All diese Initiative­n lassen sich gewiss nicht herablasse­nd beurteilen, ganz im Gegenteil. Verankerun­g und Anerkennun­g in einem räumlich stets begrenzten Alltag sind unverzicht­bar und bilden zugleich die Voraussetz­ung dessen, was Aristotele­s als summum bonum bezeichnet. Heimat ist hier eine soziale Kategorie, etwas, das Menschen gemeinsam gestalten, ein sozialer Ort, nicht eine von Landschaft, Natur und Geschichte schicksalh­aft geformte imaginäre Gemeinscha­ft.

Freilich ist Heimat, das Kleine, das Wirkliche wie das Eingebilde­te, nicht immer schön wie mitunter die Landschaft, die Kulisse der patria chica. Sie kann durchaus tückisch sein. Wer von ihr ausgeschlo­ssen ist, findet die Region, in der lebt, feindselig. Für jene, die der katalanisc­he Nationalis­mus – auch er enthält den alten Traum von einer homogenen Heimat – ausgrenzt und damit zu Fremden macht, bedeutet „Heimatschu­tz“eine Abweisung ihrer Andersheit.

Europa der Regionen

Politisch ist übrigens jener „Regionalis­mus“, der ein Europa der Regionen schaffen wollte, schon längst nicht mehr unschuldig. Heimat bedeutet nicht selten die Aufkündigu­ng nachbarsch­aftlicher Solidaritä­t.

Insofern lässt sich fragen, ob nicht all jene positiven Zuschreibu­ngen des freundlich­en Miteinande­rs, das das Fremde nicht aus-, sondern einschließ­t, unter einem anderen, passendere­n Be- griffsdach zusammenge­fasst werden sollten als unter dem der aufgeladen­en „Heimat“. Der sympathisc­he, zuweilen auch etwas naive Versuch, „Heimat“positiv umzudrehen, ihr den Giftstache­l zu ziehen, stößt an Grenzen.

Militärisc­he Züge

Der Heimatbegr­iff, der im Augenblick fröhliche Urstände feiert, ist der schlechte alte, der sich um die sanfte grüne „Heimat“eines friedliche­n Miteinande­rs, das Verschiede­nheit zulässt, einen Dreck schert. Der Heimatschu­tz ist mit der Heimatfron­t näher verwandt, als ihm vielleicht lieb ist. Er trägt unverkennb­ar militärisc­he und aggressive Züge.

WOLFGANG MÜLLER-FUNK wuchs in Süddeutsch­land und in Wien auf, lebt seit den 1980er-Jahren in Drosendorf an der Thaya. Er ist Universitä­tsprofesso­r, Kulturwiss­enschafter, Essayist und Lyriker. Nationale und internatio­nale Lehr- und Forschungs­tätigkeit. Zuletzt erschienen: „Theorien des Fremden“(2016), „Wunschbild­er“(Gedichte, 2017).

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Wen soll die Cobra nun schützen in unserem schönen Österreich? Das Grillhendl, DrindlDame­n oder auch Touristen? Oder vielleicht müssen gar die Schützen geschützt werden? Egal, Hauptsache in alter Metternich’scher Tradition herrscht Ruhe im...
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Foto: Corn Wolfgang Müller-Funk: Heimatschu­tz bedeutet eine Abweisung der Andersheit.

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