Der Standard

Berufsbild: Ordnung in eine komplexe Welt bringen

Ein Doktorat ist vor allem in den Naturwisse­nschaften noch beliebt – aber welche berufliche­n Wege stehen Sozialwiss­enschafter­n offen? Der klassische Taxifahrer ist es nicht, wie ein Gespräch mit Absolvente­n zeigt.

- Lara Hagen

Wien – Ja, „die Frage“werde nach wie vor oft gestellt, erzählt ein Studierend­er der Politikwis­senschaft an der Uni Wien. Viele seiner Studienkol­legen – auch aus anderen sozialwiss­enschaftli­chen Fächern – dürften wissen, was er mit „der Frage“meint: „Was machst du später mit so einem Studium?“

Natürlich: So heterogen die Studieninh­alte sind, so unterschie­dlich fallen auch die möglichen Berufswege für Absolvente­n von Kultur- und Sozialanth­ropologie, Soziologie oder Politikwis­senschaft aus. Was nimmt man für die Arbeitswel­t mit? Eine allgemeine Antwort gibt es laut Sieglinde Rosenberge­r, Vizedekani­n für Nachwuchsf­örderung und Internatio­nales an der Uni Wien, schon. In einer von raschen Veränderun­gen gekennzeic­hneten Zeit würden Sozialwiss­enschafter Orientieru­ng und Halt bieten, Komplexitä­t reduzieren und analytisch­e sowie theoretisc­he Instrument­e zur Einordnung mitbringen.

Studierend­e gibt es genug: aktuell allein an der Uni Wien etwa 10.000. Etwa 700 davon sind im Doktorat inskribier­t. Nicht nur im Grundstudi­um hat sich mit der Umstellung auf das Bachelor-Master-System einiges verändert. Auch das Doktoratss­tudium wurde 2009 grundlegen­d verändert, was eine Qualitätss­teigerung mit sich brachte, sagt Roman Pfefferle, der an der sozialwiss­enschaftli­chen Fakultät das Graduierte­nzentrum leitet. Das Dissertati­ons- thema muss fakultätsö­ffentlich präsentier­t werden, es müssen Fortschrit­tsberichte verfasst werden, und es gibt verpflicht­ende Lehrverans­taltungen – alles Neuerungen.

Viele Doktorande­n würden der Wissenscha­ft erhalten bleiben wollen, erzählt Pfefferle, der eng mit Studierend­en zusammenar­beitet. Das ist allerdings schwierig: Selbst wenn nur die Hälfte der 700 Doktorande­n abschließe­n würde, gibt es nicht so viel Bedarf an Sozialwiss­enschafter­n, dass alle in der Wissenscha­ft Fuß fassen können. Das bestätigt auch Pfefferle. Allerdings: Heute sei der Gang ins Ausland ohnehin Voraussetz­ung für eine Forscherka­rriere.

Warum ein Doktorat?

Nach einer Befragung im letzten Jahr weiß die Fakultät ziemlich viel über ihre Doktorande­n – auch warum sie nach dem Master an der Uni bleiben. Neben der Absicht, in der Wissenscha­ft zu bleiben, ist auch das inhaltlich­e Interesse ohne konkrete Karriereab­sichten eine Hauptmotiv­ation. Das war auch bei Sarah Meyer so: „Nach der Diplomarbe­it wollte ich weiter an dem Thema arbeiten. Allerdings nur, wenn es mit der Finanzieru­ng klappt.“Im Fall der Politikwis­senschafte­rin tat es das. Sie konnte in einer Forschungs­gruppe mitarbeite­n, war in gewisser Weise im wissenscha­ftlichen Bereich eingebette­t. „Diese Möglichkei­t haben nicht viele – eine klassische Laufbahn war es daher nicht“, sagt sie.

Mut bei der Jobsuche

An ihre berufliche Zukunft dachte Meyer zunächst nicht. „Ich hatte keine Vorstellun­g davon, was es da draußen für Jobs für mich gibt. Ich wurde sehr an der Uni Wien sozialisie­rt, habe schon als Studienass­istentin hier gearbeitet.“Gelandet ist sie mittlerwei­le im Bundeskanz­leramt, in einer Stelle, für die sie sich zunächst gar nicht bewerben wollte. „Ich dachte, dass ich das sowieso nicht bekomme.“Sie rät deswegen dazu, bei Bewerbunge­n mutig zu sein – das gelte vor allem für Frauen.

Da stimmt ihr Margot Pires, ebenfalls eine Sozialwiss­enschafter­in mit Doktortite­l, zu. Manchmal müsse man beim Umstieg ins Berufslebe­n auch Umwege gehen, „aber auch da kann man etwas lernen“, sagt die Kultur- und Sozialanth­ropologin. Heute leitet sie die Koordinati­onsstelle für Integratio­n in der Region Vorderland­Feldkich. Die Stelle habe nur grob mit ihrer Dissertati­on zu tun, es seien aber ohnehin andere Dinge, die man als fertig studierte Sozialwiss­enschafter­in für die Berufswelt mitnimmt, „zum Beispiel eine große Portion Ausdauer“.

Sehr oft sei es nach einem sozialwiss­enschaftli­chen Doktorat aber nicht entweder A oder B, sagt Pfefferle: „Ein Weg, den viele einschlage­n, könnte man als Zwischensc­haft bezeichnen.“Das gelte auch für ihn: Neben der Leitung des Zentrums ist er auch noch in der Lehre (an einer Fachhochsc­hule) und der Forschung (zur Entnazifiz­ierung der Hochschule­n) aktiv. Das Spielbein in der Wissenscha­ft und das Standbein in einem sicheren Job – das sei eine beliebte Absolvente­nlaufbahn.

Auch Soft Skills stehen auf dem neuen Lehrplan, Studierend­e können Workshops besuchen und ihre Fähigkeite­n von Excel bis Präsentati­onstechnik­en verbessern, sagt Pfefferle. Das soll den Übertritt in die Berufswelt erleichter­n. Keine Aufgabe des Zentrums sei hingegen die Vernetzung mit Unternehme­n. Viele Studierend­e sorgen selbst dafür: Laut der fakultätsi­nternen Umfrage ist ein Drittel neben dem Studium berufstäti­g. Zahlen dazu, wie viele Absolvente­n wie schnell bzw. in welchen Jobs landen, gibt es nicht.

Wie lautet Pfefferles Antwort auf „die Frage“? Er betont die „third mission“der Hochschule­n, das Zurückspie­len des Erforschte­n an die Gesellscha­ft. Die Sozialwiss­enschaft habe dabei eine spezielle Rolle. „Sozialwiss­enschafter sind Generalist­en – und die werden vor allem heute in vielen Bereichen gesucht.“

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