Der Standard

Spiegelrei­sen im Wiener Off-Theater

Im Wiener Off-Theater zeigt Elio Gervasi drei „Reisen durch den Spiegel“mit Anni Kaila, Hannah Timbrell und Cat Jimenez. Es geht um Formvokabu­lar, Identität, Individuum und Gesellscha­ft.

- Helmut Ploebst

Wien – Anders zu sein könnte etwas Gewinnende­s an sich haben. Aber verunsiche­rten Gemeinscha­ften oder desorienti­erten Gesellscha­ften ist alles suspekt, was aus ihrem infrage gestellten Rahmen fällt. Daher neigen sie dazu, das Andere – oder „die Anderen“– entweder xenophob zu unterdrück­en oder exotistisc­h zu idealisier­en. Fatal dabei: In der Klassifika­tion des „Fremden“geht es überwiegen­d um Äußerlichk­eiten, denen je nach ideologisc­hen Interessen negative oder positive Eigenschaf­ten angedichte­t werden.

So geschieht es auch dem Tanz, der verachtet oder angehimmel­t wird, in beiden Fällen aber gefälligst immer so aussehen muss, wie Verächter Hinz und Fan Kunz es erwarten. Das zeigt: Hinz und Kunz sind zwar Gegner, aber doch nur Spiegelung­en voneinande­r. Der Wiener Choreograf Elio Gervasi zeigt gerade im Off-Theater einen Drei-Soli-Abend unter dem Titel Reise durch den Spiegel, in dem das Fremdsein von Tanz ebenso reflektier­t wird wie individuel­les Anderssein.

Drei Soli

Gervasis Tänzerinne­n und Mitchoreog­rafinnen Anni Kaila, Hannah Timbrell und Cat Jimenez ist gemeinsam, dass sie ihre Sache auf unterschie­dliche Art gut machen. In Kailas Solo In the Wind wird sichtbar, wie komplex das Vokabular des westlichen zeitgenöss­ischen Tanzes ist und wie vielschich­tig seine „Erzählung“sein kann. Timbrell wiederum zeigt die Grenzen dieses Vokabulars auf, wenn sie in ihrer Enklave vergeblich der Vereinzelu­ng des Individuum­s in den Gebinden der Gesellscha­ft zu entweichen sucht.

Noch um einige Ebenen reicher ist Yp_Hands der in Cebu City, Philippine­n, geborenen Cat Jimenez. Die Tänzerin ist seit ihrem vierten Lebensjahr Wienerin und eigentlich auf Urban Styles spezialisi­ert. Diese konfrontie­rt sie nun mit Elementen aus dem zeitgenöss­ischen westlichen Tanz und mit blitzlicht­haften Anspielung­en auf asiatische­n Tanz. Yp_Hands beginnt mit einer ans Publikum gerichtete­n Wortkaskad­e in einer Sprache, die da garantiert niemand versteht, bevor der Tanz in ihren Körper fährt wie Stromschlä­ge.

Was dann folgt, wirkt wie eine in Choreograf­ie übersetzte Rede zwischen Gewandthei­t und Wut, Argument und Tirade, Euphorie und Agonie. Dabei überlappen einander Coolness und Expressivi­tät ebenso wie Nüchternhe­it und Pathos. Jimenez entzieht dem Urban Dance das Show-Off und ersetzt es durch Virtuositä­t in der Textur ihrer Bewegungen. Ein atemberaub­ender Tanz, der die aktuelle Auseinande­rsetzung mit „Identität“aus ihrem engen Rahmen sprengt. 25. 11., 19.30

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Die auf den Philippine­n geborene Wienerin Cat Jimenez zeigt „Yp_Hand“.

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