Uns bleibt immer Casablanca
75 Jahre Casablanca: Am 26. November 1942 wurde der Film mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman erstaufgeführt. Neue Bücher schildern die Entstehung, den politischen Hintergrund und wie der Streifen zum Mythos wurde.
Ohne Wien kein Casablanca. Hätte Murray Burnett, ein jüdischer Amerikaner, der an einer Mittelschule in Manhattan lehrte, 1938 nicht geerbt, wäre er im Sommer jenes Jahres mit seiner Frau Frances niemals zu ihren Verwandten nach Amsterdam gereist. Und von dort nicht weiter zu Angehörigen in Wien. Was er dort sah und was ihm die Familienangehörigen berichteten, erschütterte ihn tief. Tatkräftig halfen sie und schmuggelten Wertsachen ins Ausland. Den Zug, der die Burnetts im Hochsommer von Wien nach Südfrankreich brachte, bestieg er mit Ringen an jedem Finger und sie in einen Pelz gehüllt. In der Nähe von Nizza besuchten sie einen Nightclub. Die Gäste stammten aus vieler Herren Länder. Und da hatte er, Freizeitautor mit hochfliegenden Plänen, eine zündende Idee – ein Stück! Ein Theaterstück über Flüchtlinge und Fluchtbereite, einen Barbesitzer, eine Liebe. Gesagt, getan, geschrieben. 1940 war Everybody comes to Rick’s, angesiedelt in Casablanca, fertig. Fand kein Theater als Abnehmer. Und wurde nach Hollywood vermittelt. Das Warner-Brothers-Studio griff zu.
Am 25. Mai 1942 war erster Drehtag. Anfang des Jahres war verkündet worden, Ronald Reagan würde die männliche Hauptrolle übernehmen, eine bewusste Fehlinformation. Rasch war klar, als Rick Blaine käme nur einer in Frage – Humphrey Bogart. Der fühlte sich aber recht unwohl dabei, erstmals einen romantischen Liebhaber zu verkörpern.
Fließband Hollywood
Welche Stufen das Drehbuch durchlief, wer daran mitwirkte, etwa die New Yorker Zwillingsbrüder Julius und Philip Epstein, die rasante doppelbödige Dialoge schrieben, wie es kam, dass die Schwedin Ingrid Bergman die Norwegerin Ilsa Lund spielte, wie der Dreh ablief, davon erzählt der an der New School of Social Research in New York lehrende Filmwissenschaftler Noah Isenberg klug, unterhaltsam und hochinformiert. Selbstredend stützt er sich auf Round up the usual suspects (Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen. Wie Casablanca gemacht wurde), das Standardwerk von Aljean Harmetz. Er erweitert allerdings den Fokus.
Denn wie Umberto Eco schrieb, ist Casablanca nicht ein Film – er ist Film. Einerseits als Fließbandproduktion Hollywoods. Jedes der großen Studios brachte damals pro Jahr 50 Filme heraus. So wurde in den Drehbuchabteilungen mit wiederkehrenden Elementen gearbeitet. Und Casablanca größtenteils mit Kulissen aus anderen Warner-Streifen realisiert; für die Schlusseinstellung war das Flugzeug im Nebel zu klein, also wurden kurzerhand kleinwüchsige Statisten eingesetzt. Die einzige Freiluftaufnahme machte der Second-Unit-Regisseur Don Siegel, der auch die Eingangsmontage mit dem kreiselnden Globus verantwortete und viele Jahre später harte Polizistenfilme mit Clint Eastwood (Dirty Harry) und den Spätwestern Der letzte Scharfschütze mit John Wayne drehen sollte. Zum anderen beschreibt Isenberg ausgreifend, wie seit den 1960er-Jahren bis heute Casablanca Kult, Mythos, Objekt der Parodie und Humphrey Bogart zur Projektionsfigur wurde. Viele kennen zahlreiche Sätze des Films auswendig. Der letzte Aspekt, den der New Yorker anregend analysiert und mit schönen biografischen Vignetten unterfüttert, ist der Umstand, dass Casablanca eine Arbeit von und mit Emigranten über Migranten und Flüchtlinge war. Die Schauspielerschar setzte sich, in der englischsprachigen Originalversion nicht zu überhören, aus 34 Nationalitäten zusammen. Vor allem dies habe, argumentiert Isenberg, den Film in Europa so beliebt gemacht. Jene Szene, in der die Marseillaise intoniert wird, um Die Wacht am Rhein der Deutschen zu übertönen, sorgte beim Drehen dafür, dass nicht wenigen vor der Kamera echte Tränen übers Gesicht liefen, weil sie selber geflohen waren oder noch Familie in der Alten Welt hatten. In Frankreich gilt diese Gesangsszene bis heute als filmischer Inbegriff der Résistance.
Dabei war der Dreh nicht einfach. Das Set war, wie Thilo Wydra es in seiner sehr gut geschriebenen, detaillierten Lebensbeschreibung Ingrid Bergmans formuliert, wenig herzlich, ja unterkühlt. Der Münchner Filmjournalist liefert eine informative Schilderung aus der Perspektive der Schauspielerin, die unsicher durch die neunwöchigen Dreharbeiten hindurchmanövrierte. Nicht nur, weil die Drehbuch-