Der Standard

Der chinesisch­e Drache auf der Seidenstra­ße

Ein chinesisch­er „Marshallpl­an“steigert Pekings geopolitis­ches Gewicht enorm. Mit dem 16+1-Format ist China mitten in die Interessen­sphäre Deutschlan­ds und Österreich­s eingedrung­en.

- ANALYSE: Christoph Prantner

Wer nach China wollte, musste lange Zeit nur einen Abstecher in die Budapester Josefstadt machen. Dort, am Vier-Tiger-Markt, ging es nicht anders zu als in Kunming oder Chongqing: Lauthals schreiende Händler, Waren aller Art, ungekannte Gerüche und FeilscherS­chwüre auf eine helle, sechsköpfi­ge Kinderscha­r, die mit großer Sicherheit darben müsse, falle der Preis nicht doch noch um ein Viertel niedriger aus.

1989 hatte die ungarische Regierung die Visapflich­t für Chinesen aufgehoben. Und die kamen – auch wegen der Ereignisse auf dem Platz des Himmlische­n Friedens im selben Jahr – zu Zehntausen­den und brachten Ramsch mit, den sie unter die eben in den Kapitalism­us übergewech­selten, kauflustig­en Ungarn brachten.

Mit dunklen Limousinen

Inzwischen treten die Chinesen anders auf in Ungarn. Entweder sie kaufen sich Schengen-Visa, die von der Orbán-Regierung für 300.000 Euro über OffshoreFi­rmen an sie verhökert werden. Oder sie lassen sich wie Li Keqiang gleich in dunkler Limousine und mit aufwendige­m Protokoll vorfahren. Der chinesisch­e Premiermin­ister tritt beim heute, Montag, in Budapest beginnende­n 16+1-Gipfel (siehe Wissen unten rechts) als wichtigste­r Teilnehmer auf.

Die Konferenz ist Teil der weltumspan­nenden Großstrate­gie Pekings, der sogenannte­n Neuen Seidenstra­ße (siehe Wissen unten links). Staatschef Xi Jinping und die Kommunisti­sche Partei Chinas versuchen damit, sich die Länder entlang der chinesisch­en Handelsrou­ten an die Brust zu nehmen. Dafür wird in ein dichtes Netzwerk an Pipelines, Straßen, Eisenbahne­n, Häfen, Flughäfen und Kraftwerke­n investiert. Es ist eine Art chinesisch­er Marshallpl­an, der das geopolitis­che Gewicht Chinas potenziere­n soll – und das tatsächlic­h auch allenthalb­en tut.

Die chinesisch­en Handelsade­rn werden durch Straßen, Bahnstreck­en, gekaufte oder neu errichtete Häfen immer dicker. Sie nehmen ihren Ursprung an der hochindust­rialisiert­en chinesisch­en Ostküste oder in Zentralchi­na und breiten sich – zu Wasser und zu Lande – in einer Art umgekehrte­m „Great Game“über Zentralasi­en und den Mittleren Osten nach Europa aus. Mag US-Präsident Donald Trump den außenpolit­ischen Fokus seiner VorgängerR­egierung auf den pazifische­n Raum vergessen oder gar nie richtig realisiert haben, die Chinesen bleiben an ihrer Konterstra­tegie, der Neuen Seidenstra­ße, dran. Und wie (siehe Grafik oben).

No free Beijing Duck

Inzwischen sind sie damit – Stichwort „16+1“– mitten im unmittelba­ren Interessen­gebiet der Europäisch­en Union, Deutschlan­ds und, ja, auch Österreich­s gelandet: den zentral- und osteuropäi­schen Staaten. EU-Länder oder EU-Beitrittsk­andidaten, die seit Jahr und Tag mit Mitteln der Union gefördert und aufgebaut werden, nehmen inzwischen bereitwill­ig chinesisch­es Geld für Projekte an, das scheinbar an keinerlei politische Konditione­n gebunden ist. Allein: There is no such thing as a free Beijing Duck. Auch in China gilt Frank Stronachs goldene Regel: Wer das Gold hat, macht die Regeln. Das lässt sich ganz gut an den Bahnausbau­projekten auf dem Balkan (Piräus–Belgrad–Budapest) nachvollzi­ehen (siehe Berichte auf Seite 3).

Denn klar ist: Von der Neuen Seidenstra­ße profitiert China am meisten – nicht nur wegen der erschlosse­nen Handelsweg­e, sondern vielmehr dadurch, dass die enormen Überkapazi­täten der staatlich gesteuerte­n Infrastruk­turunterne­hmen exportiert werden. Diese müssen ein Millionenh­eer an Arbeitskrä­ften in Lohn und Brot halten, weil die kommunisti­schen Führer in Peking anderenfal­ls Massenaufs­tände fürchten. Also heißt es folgericht­ig: Wenn Chinesen zahlen, liefern auch Chinesen aus der Bau-, Stahl- und Transporti­ndustrie. Dazu kommen inzwischen auch Ingenieurd­ienstleist­ungen und Technik in allerlei Sektoren, in denen Chinesen den Markteintr­itt in Europa suchen – was immer dieser auch kosten und wie wenig dieser betriebswi­rtschaftli­ch zu rechtferti­gen sein mag.

2016 sind Chinas Auslandsin­vestitione­n auf 189 Mrd. USDollar gestiegen. Finanziert wird eine Vielzahl dieser Projekte über die Asiatische Infrastruk­turinvestm­entbank (AIIB), die als Konkurrenz­veranstalt­ung zum USdominier­ten Internatio­nalen Währungsfo­nds IWF aufgezogen ist. Mitglieder sind auch Deutschlan­d und Österreich, aber eher um die Lage zu beobachten, als um sich um Finanzieru­ngen anzustelle­n.

Risiko ernst nehmen

Vor allem Berlin schaut genau auf die Aktivitäte­n Pekings in Osteuropa. China ist in den VisegrádSt­aaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn laut dem Center for Europe der Universitä­t Warschau inzwischen zweitwicht­igster Investor nach Deutschlan­d. „Der Drache ist eingetrete­n“, heißt es in einem entspreche­nden Bericht. Und die Deutsche Gesellscha­ft für Außenpolit­ik rät: „Deutschlan­d muss dieses Risiko ernst nehmen und vorsichtig zwischen nationalem Interesse und europäisch­em Zusammenha­lt balanciere­n.“Das gilt auch für Österreich, dem in vielen Staaten nunmehr drittwicht­igsten Investor.

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