Der Standard

Kuratorin für Österreich­s Kunst in Venedig

Die Wiener freie Szene argumentie­rt gegen die derzeitige Kulturpoli­tik und für bessere Bedingunge­n der Kunstschaf­fenden. Die breit unterstütz­te Plattform Wiener Perspektiv­e hat jetzt ihre „First Fictional Season“ausgerufen.

- Helmut Ploebst

Wien – Wenig Grund zur Freude haben die Künstlerin­nen und Künstler der Wiener freien Tanz-, Theater- und Performanc­eszene. Die Theaterref­orm von 2003 wurde in den vergangene­n zehn Jahren schrittwei­se rückgebaut, die Förderunge­n sind seither gesunken. Seit jüngst auch noch die den freien Gruppen gewidmeten Spielstätt­en in Turbulenze­n manövriert wurden, erhebt die Szene Einspruch. Und den bringt sie in einem kürzlich ins Leben gerufenen Zusammensc­hluss unter dem Namen „Wiener Perspektiv­e“zum Ausdruck.

Vorgestell­t hat sich diese – von rund 200 teilweise internatio­nal hochanerka­nnten Kulturscha­ffenden unterstütz­te – Initiative, die sich außerhalb der offizielle­n Szenevertr­etung Interessen­gemeinscha­ft Freie Theater (IGFT) gebildet hatte, bereits im September mit einer Pressekonf­erenz. Seitdem wurde mit Hochdruck weitergear­beitet. Nun gab es am vergangene­n Freitag in der Wiener Nordbahnha­lle unter dem Motto „First Fictional Season“erste Resultate zu vermelden.

Bereits vor einigen Jahren hatte es Versuche eines Zusammensc­hlusses der Szene gegeben. Doch die verliefen im Sande – die Künstlersc­haft lässt sich nicht gern politisch organisier­en. Dass sie es in Eigenregie nun doch tut, zeugt von dem Druck, unter den sie sich gesetzt sieht.

Nicht auf Augenhöhe

War in der Theaterref­orm noch ein Verhältnis auf Augenhöhe zwischen Kulturadmi­nistration und Künstlersc­haft zu sehen, so orten die Kunstschaf­fenden heute das Gegenteil: Das Tanzquarti­er bleibt bis 25. Jänner geschlosse­n, die Performing-Arts-Abteilung des Wuk startete erst vor kurzem neu, dem Brut-Theater wurde eine von zwei Spielstätt­en genommen, und für die Saison 2017/18 ist es auch noch aus seiner Künstlerha­us-Spielstätt­e verbannt.

Umstritten ist auch die Personalpo­litik des Kulturamts: etwa weil Leitungspo­sten zu spät besetzt wurden. Für die Zeit von baulichen Maßnahmen gibt es keine Ersatzspie­lorte wie beim Tanzquarti­er oder nur Notlösunge­n wie im Fall des Brut. Außerdem laufen heftige Diskussion­en über die künftige organisato­rische Trennung des Spielorts Werk X Eldorado (Innenstadt) vom Werk X im Kabelwerk (zwölfter Bezirk).

Bei all dem vermisst die Szene jegliche Kommunikat­ion seitens der Kulturpoli­tik: „Wie war es möglich, dass die Verantwort­lichen nicht mit uns Künstlern gesprochen haben?“Gern hätten die zahlreich in der Nordbahnha­lle präsenten Vertreter der Wiener Perspektiv­e mit solchen aus dem Kulturamt diskutiert. Doch diese waren offenbar verhindert.

Die Wiener Perspektiv­e hat ihre „First Fictional Season“auf Basis von 450.000 Euro ausgerufen, die ihrer Ansicht nach der Szene durch die Vorgangswe­ise des Kulturamts verlorenge­hen. In Arbeitssit­zungen wurden nun erste Vorschläge entwickelt, wo ein solches Budget einzusetze­n wäre. Dabei geht es um den Mangel an leistbaren Räumen, um das Fehlen von Einrichtun­gen für zeitgemäße Bildung und Forschung und um die Verbesseru­ng der Arbeitsbed­ingungen für die freien Kunstschaf­fenden.

Außerdem rechnete eine Vertreteri­n der IGFT vor, wo und wie sehr die Förderunge­n in den vergangene­n Jahren real gesunken sind. Der Widerstand geht über eine Kritik am Budget hinaus: Ein aktueller Unesco-Bericht besagt, dass Österreich derzeit keine unterstütz­ende und ermutigend­e Umgebung für Kunstschaf­fende darstellt.

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Die freie Szene hängt definitiv nicht am Futtertrog: Teilnehmer an einem Workshop des Künstlers Daniel Aschwanden in China.

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