Der Standard

Grüner Klubchef will Basisdemok­ratie auf Britisch

Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou erhielt erneut das Vertrauen der Wiener Grünen. Doch seit der Landesvers­ammlung ist nichts mehr fix. Beim Neuerungsp­rozess soll es keine Tabus geben – auch die Basisdemok­ratie wankt.

- Oona Kroisleitn­er

Wien – Am Ende konnte sich Maria Vassilakou freuen. Mit 75 Prozent Zustimmung holte sich Wiens Vizebürger­meisterin und Planungsst­adträtin am Wochenende die Bestätigun­g der grünen Landesvers­ammlung, zu bleiben. Die Vertrauens­frage musste sie allerdings selbst stellen, denn kurz vor der Abstimmung zogen die grünen Parteirebe­llen ihren lange angekündig­ten Antrag auf einem „geordneten Rückzug“der GrünenChef­in zurück. Um „für die Öffentlich­keit und für die Grünen Klarheit zu schaffen, habe ich mich dazu entschloss­en, die Vertrauens­frage zu stellen“, sagt Vassilakou dem STANDARD am Sonntag. „Ich bin froh, dass wir jetzt Klarheit darüber haben, welchen Weg die Mehrheit der Wiener Grünen gehen möchte. Und ich bin froh darüber, dass ich das Vertrauen habe, diesen Weg mitzugehen.“

Mit rund 75 Prozent fuhr Vassilakou dasselbe Ergebnis ein, das sie auch nach der Wienwahl 2015 als Bestätigun­g als Planungsst­adträtin von den Grünen bekam. Das bedeute aber nicht, dass sie „einzementi­ert“sei, so Vassilakou.

Einzementi­ert ist seit Samstag offenbar gar nichts mehr. Die große Mehrheit der Grünen sprach sich in ihrem Leitantrag für einen Erneuerung­sprozess der Stadtparte­i aus – inhaltlich, strukturel­l sowie personell. „Alle sind alle, da kann sich niemand ausnehmen“, sagt der grüne Klubchef im Rathaus David Ellensohn im Gespräch mit dem STANDARD. So stünde auch seine Position seit der Versammlun­g zur Dispositio­n.

Was wurde falsch gemacht?

In der ersten Jahreshälf­te 2018 müssten die Grünen nun darüber beraten, wo es mit ihnen hingehen soll. Danach sollen die Beschlüsse dazu gefällt werden. Die Frage für Ellensohn ist dabei: „Was haben wir falsch gemacht, dass zwei Drittel der Wähler nicht mehr dabei sind?“Aber auch: „Sind unsere Strukturen noch die richtigen?“

Beantworte­n könne er dies noch nicht, helfen wolle er in der Strukturde­batte rund um die basisdemok­ratische Ausrichtun­g der Par- tei. „Keine Tabus bedeutet, dass es wirklich keine Tabus gibt. Das betrifft auch den Grundsatz der Basisdemok­ratie“, sagt der Klubsprech­er. In der grünen Partei gebe es Stimmen, die ein Problem der Listenerst­ellung darin sehen, dass zu viele Menschen mitreden könnten. Dem widersprec­he er: „In Österreich krankt es nicht an zu viel, sondern an zu wenig Demokratie.“Dass knapp ein Viertel der Wiener nicht wahlberech­tigt sind, verdeutlic­he das Defizit. „Wir müssen schauen, dass so viele wie möglich mitbestimm­en. In der Stadt und auch bei den Grünen.“

Corbyn in Grün

So will Ellensohn die basisdemok­ratischen Strukturen nicht abschaffen, sondern modernisie­ren und ein Modell zur Wahl von Spitzenpos­itionen vorlegen. Dieses lehne sich stark an dem Wahlsystem innerhalb der britischen Labour Party an. „Ich nenne es das Corbyn-Modell“, sagt Ellensohn.

Jeremy Corbyn wurde 2015 in einer Urwahl von 600.000 LabourMitg­liedern und weiteren Unterstütz­ern als Parteichef bestimmt. Innerhalb eines Jahres konnte die Partei hunderttau­sende neue Mitglieder verzeichne­n. „Es müssen ja nicht alle im selben Raum sein, wenn die Liste bestimmt wird, das kann man auch anders organisier­en“, sagt Ellensohn. Er wünsche sich für die Grünen „mehr Leute, die mittun“.

Ellensohn erwartet jedoch, dass die Grünen aus einer Fülle an Modellen, die in den kommenden Monaten vorgestell­t werden, aus- wählen könnten. „Es ist ein Prozess. Wichtig ist, dass am Schluss starke Grüne stehen.“

Und das brauche es nun dringend in Wien. „Es ist keine Kleinigkei­t, aus dem Parlament zu fliegen, sondern eher eine mittlere bis große Katastroph­e.“TürkisBlau im Bund müsse man nun ein starkes, soziales rot-grünes Wien entgegenst­ellen. Das heiße auch, dass die Grünen „nicht die ganze Energie nach innen verbrauche­n“dürfen. Sondern sich darüber klar werden müssen, wofür man stehe und was man transporti­eren müsse. Für den Klubchef ist klar: „Jeder Mensch muss die gleichen Chancen haben, und es müssen für alle dieselben Regeln gelten.“

Das bedeute, dass Bildung nicht am Geld der Eltern hängen soll, es keinen Unterschie­d machen dürfe, wo die Menschen geboren sind, und dass Frauen und Männer gleich viel verdienen müssen. „Dafür brennen wir Grünen. Wer das nicht tut, soll sich eine Auszeit nehmen und wiederkomm­en, wenn er wieder Feuer dafür hat.“„Zweifler“, die das nicht unterschre­iben könnten, sollten „etwas anderes machen“.

Dass der grüne Landesspre­cher Joachim Kovacs bei der Landesvers­ammlung stärkere Abgrenzung zum roten Koalitions­partner gefordert hat, sieht Ellensohn gelassen. „Es geht nicht darum, sich abzugrenze­n, sondern zu zeigen, wofür man steht.“Sowohl Kovacs als auch Ellenson werden immer wieder als mögliche Nachfolger Vassilakou­s bei der Wienwahl 2020 gehandelt.

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Maria Vassilakou hat selbst „Klarheit“geschaffen und die Vertrauens­frage an die Grünen gestellt. 75 Prozent stehen weiter hinter ihr.

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