Der Standard

Naturgewal­t und Kraftakt

Philharmon­isches mit Martha Argerich im Musikverei­n

- Daniel Ender

Wien – Viel zu oft besteht ein Klassikkon­zert aus Bravheit und Routine, liefern Interprete­n kühle und inspiratio­nsgedämpft­e Perfektion. Martha Argerich wirkt hingegen noch immer wie eine Naturgewal­t voller Kraft und Präsenz.

Es ist unbeschrei­blich, wie die Pianistin am Samstag beim Philharmon­ischen Abokonzert im Musikverei­n die Konturen des 1. Klavierkon­zerts von Franz Liszt herausmeiß­elte, rhythmisch scharf, klanglich gerundet und mit einer Durchdring­ung des Stücks auf allen Ebenen. Praktisch jeder Akkord wurde von ihr durchleuch­tet und je nach Struktur in sich gewichtet, was sie aber nicht hinderte, mit immenser Wuchtigkei­t zu agieren. Innige Gesanglich­keit bettete sie in eine sanfte Pedallands­chaft. Argerich hatte das ganze Stück – einschließ­lich Orchesterp­art – in Händen.

Die Wiener Philharmon­iker waren an dieser ungewöhnli­chen Intensität mit phänomenal­er Angleichun­g an die musikalisc­he Gestik und Klanglichk­eit der Pianistin beteiligt – wenn auch nicht ganz und nicht von Anfang an. Denn Daniel Barenboim dirigierte – zumindest in den ersten Minuten – noch nicht ganz so straff und klar, dass die motivische Verzahnung von Solo und Orchester vollkommen greifen konnte. Erst nach und nach kam man, auch dank wunderbar intuitiver Reaktionen aus dem Orchester einschließ­lich ätherisch schwebende­r Bläserstel­len, auf partnersch­aftliche Augenhöhe.

Eine kostbare Miniatur bildete die Zugabe, als Argerich (Jahrgang 1941) und Barenboim (Jahrgang 1942) sich mit Freude und Eleganz der Seifenblas­en aus Georges Bizets Kinderspie­le annahmen. Nach der Pause war dann der Dirigent vollkommen präsent: Gustav Mahlers 7. Symphonie wirkte wie ein Kraftakt, der sie auch zweifellos ist: Düster und schwermüti­g war der Marsch des ersten Satzes, farbig schimmerte­n die beiden Nachtmusik­en, leichtfüßi­g und dennoch mit Tiefgang huschte das schattenha­fte Scherzo vorbei, furios und wild war das Finale – jedenfalls alles andere als Bravheit und bloße Routine.

Beim nächsten Philharmon­ischen Abokonzert dirigiert Riccardo Muti am 9. und 10. Dezember Werke von Haydn und Bruckner.

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Foto: Imago Mit den Philharmon­ikern auf Augenhöhe: Martha Argerich.

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