Skihauptschule im Visier
ÖSV musste über Zustände Bescheid wissen
Innsbruck – Die von der Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg beschriebenen Missbrauchsfälle in der früheren Skihauptschule Neustift im Stubaital mussten dem Österreichischen Skiverband (ÖSV) bekanntgewesen sein. Wie der Standard erfuhr, stieß der Tiroler Skiverband (TSV), damals Träger der Einrichtung, im Bemühen um Aufklärung auf Unterlagen, die nahelegen, dass Mitte der 1970er-Jahre die Vorgänge Thema waren, vermutlich auch in einer Sitzung, bei der ÖSV-Funktionäre als Teilnehmer vermerkt sind. Bemerkenswert ist das plötzliche Verschwinden des Heimleiters in der Folge dieser Sitzung vor dem Schuljahr 1976/77. Thomas Wirth, Direktor der heutigen Skimittelschule Neustift, bedauerte in einem Schreiben an Werdenigg deren Leidensweg und versprach Aufarbeitung. (red)
Innsbruck – Langsam kommt immer mehr Licht in die Angelegenheit. Seit die ehemalige ÖSV-Athletin Nicola Werdenigg vergangene Woche den Schritt an die Öffentlichkeit gewagt hat, meldeten sich weitere ehemalige Schüler der Skihauptschule in Neustift, die Werdeniggs Ausführungen bestätigten. Auch Thomas Wirth, seit 1987 als Lehrer an der Schule und seit 2013 Direktor der Einrichtung, zweifelt nicht an Werdeniggs Schilderungen. In einem Schreiben an sie bedauert er, was ihr widerfahren ist, und verspricht Aufarbeitung.
Zentrale Figur im Missbrauchsskandal scheint der ehemalige Heimleiter P. zu sein, der bis Ende des Schuljahres 1975/76 in Neu- stift angestellt war. Wirth sagte dem STANDARD schon vergangenen Freitag, es gäbe Hinweise darauf, dass sich P. vor allem an Buben vergriffen habe. Dies bestätigen nun weitere Recherchen, die zugleich aufzeigen, dass schon damals höchste Verbandskreise über die Vorgänge informiert gewesen sind. Denn beim Tiroler Skiverband (TSV), damals Träger der Einrichtung, tauchten nun Unterlagen auf, die belegen, dass der Heimleiter aufgrund nicht näher benannter „Vorfälle“in den Fokus gerückt sei.
Einer dieser Vorfälle scheint den Sohn eines hohen Sportfunktionärs betroffen zu haben, der zu dieser Zeit ebenfalls Schüler in Neustift war. Der TSV fand in seinem Archiv ein Protokoll einer Sitzung, an dem vier Personen – darunter eben dieser hohe Sportfunktionär sowie der damalige Präsident des TSV – teilgenommen haben. Was genau dort besprochen wurde, ist unklar. Aber Zeitzeugen, die damals ebenfalls in diesen Kreisen tätig waren, erinnern sich daran, „dass der Heimleiter schnell entfernt werden musste“.
Ehemalige Schüler berichten, dass der bereits verstorbene Funk- tionär offenbar aufgedeckt hat, dass der Heimleiter Übergriffe verübt habe. Der Sohn des Funktionärs wollte auf Anfrage des STANDARD keine Stellungnahme zu den Vorfällen in den 1970ern abgeben. Er habe „diese Sache“aus seinem Gedächtnis gestrichen und wolle nicht mehr darüber sprechen. Andere ehemalige Schüler bestätigen ebenfalls, dass es zu Übergriffen gekommen sein soll, doch auch sie wollen nicht mehr darüber sprechen.
Beim TSV zeigt man sich betroffen und will mithelfen, die Vorfälle von damals „lückenlos aufzuklären“. Doch die Unterlagen im Archiv sind spärlich, und oft ist nicht mehr klar, wer damals beteiligt oder informiert war. Zudem sind viele Involvierte bereits verstorben. Laut Sitzungsprotokoll des zuvor genannten Treffens soll auch ein hochrangiger ÖSV-Funktionär an der Besprechung zu den Vorwürfen gegen den Heimleiter teilgenommen haben. Er ist der einzige der vier Sitzungsteilnehmer, der noch lebt. Doch er schloss am Montag auf Standard- Anfrage dezidiert aus, an einer solchen Sitzung teilgenommen zu haben oder von dem Fall zu wissen.
Klar ist, dass der Heimleiter kurz nach dieser Sitzung sehr plötzlich Neustift verlassen hat. Interne Aufzeichnungen verdeutlichen, wie überstürzt dies passiert sein muss, da man zu Beginn des Schuljahres 1976 „plötzlich ohne Heimleitung dastand“. Die Spur des Mannes verliert sich allerdings nach dieser Kündigung, angeblich soll er nach Vorarlberg gegangen sein.