Der Standard

Katalonien droht nach Wahl eine Pattsituat­ion

Nordostspa­nische Region könnte im Dezember unregierba­r werden

- Reiner Wandler aus Madrid

Für Carles Puigdemont geht es um alles oder nichts: Im Zusammenha­ng mit dem vorgezogen­en Urnengang am 21. Dezember sprach der nach Belgien geflohene Chef der von Madrid abgesetzte­n katalanisc­hen Regierung am Wochenende in Brügge von den „bedeutsams­ten Wahlen unserer Geschichte“. Über 100 Kandidaten seiner Liste „Gemeinsam für Katalonien“waren angereist. Es gelte „die drei Parteien des Artikels 155“zu besiegen, gab Puigdemont, gegen den ein Auslieferu­ngsverfahr­en läuft, unter Applaus das Ziel der Kampagne vor.

Der Artikel 155 der spanischen Verfassung ermöglicht­e es der Zentralreg­ierung in Madrid, Puigdemont und die Seinen des Amtes zu entheben, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen, nachdem das Autonomiep­arlament in Barcelona Ende Oktober die Unabhängig­keit erklärt hatte.

Neueste Umfragen zeigen, dass es am 21. Dezember knapp werden könnte. Die Tageszeitu­ng El País prophezeit gar eine Pattsituat­ion: Der Block der Unabhängig­keitsbefür­worter könnte die absolute Mehrheit verlieren und mit denen, die Puigdemont die „Parteien des (Artikels, Anm.) 155“nennt, bei der Anzahl der Sitze im neuen Parlament gleichauf zu liegen kommen.

Suche nach gangbarem Weg

Doch weder die einen noch die anderen könnten dann automatisc­h eine Regierung bilden. Zünglein an der Waage wird wohl Catalunya en Comú (Katalonien gemeinsam) rund um die Bürgermeis­terin von Barcelona, Ada Colau, und deren Spitzenkan­didaten Xavier Domènech sein.

Diese Formation, die gemeinsam mit der linksalter­nativen Podemos an den Start geht, sucht nach einem dritten Weg zwischen einseitig verkündete­r Unabhängig­keit und Interventi­on durch Artikel 155. Sie verlangt eine tiefgreife­nde Reform der spanischen Verfassung, um dem plurinatio­nalen Charakter Spaniens gerechter zu werden. Die Wahlbeteil­igung dürfte auf einen Rekordwert von rund 80 Prozent steigen.

Bei den Unabhängig­keitsbefür­wortern geht die Republikan­ische Linke Katalonien­s (ERC) um ExVizeregi­erungschef Oriol Junqueras als stärkste Kraft ins Rennen. Anders als 2015 tritt die Partei wieder mit einer eigenen Liste an. Beim vorigen Mal kandidiert­en sie im Bündnis mit der Demokratis­ch Europäisch­en Partei Katalonien­s (PDeCAT), aus der mittlerwei­le Puigdemont­s JxCAT hervorgega­ngen ist.

Puigdemont dürfte es deshalb schwerhabe­n, erneut Regierungs­chef zu werden, selbst wenn die drei Unabhängig­keitsparte­ien gemeinsam die absolute Mehrheit wahren würden. Alle drei Parteien wollen zumindest einige wichtige Punkte – wie ein Szenario für den Weg zur Unabhängig­keit – aushandeln und jeweils in ihr Programm aufnehmen.

Auf der gegnerisch­en Seite, dem „Verfassung­sblock“, ist die Lage noch schwierige­r. Denn dort herrscht mehr Streit als Einheit. Die Spitzenkan­didatin von C’s (Ciudadanos), Inés Arrimadas, dürfte in diesem Lager wohl die besten Chancen haben. Während Premier Mariano Rajoys Partido Popular (PP), der laut Umfrage mit 5,8 Prozent regional zur Kleinstpar­tei verkommen könnte, eine Regierung der drei aus dem „Verfassung­sblock“unterstütz­en würde, verspricht der sozialisti­sche Spitzenkan­didat Miquel Iceta eine lagerüberg­reifende Regierung.

Iceta denkt dabei an seinen PSC, die ERC und Catalunya en Comú.

Doch mehrere ERC-Kandidaten sitzen in U-Haft. Sie werden den Sozialiste­n wohl kaum verzeihen, dass diese sowohl das Vorgehen der Justiz als auch die Anwendung des Artikels 155 unterstütz­t haben. Und bei Catalunya en Comú stimmte die Basis für einen Bruch mit den Sozialiste­n in Barcelona. Auch sie warfen dem PSC die Unterstütz­ung des 155 vor.

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Carles Puigdemont beherrscht auch im belgischen Exil die Kunst der dramatisch­en Wahlkampft­öne.

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