Der Standard

Letzte Hoffnung für Ugandas Frauen

Das Justizsyst­em des ostafrikan­ischen Staates ist völlig überforder­t. Besonders geschieden­e Frauen kommen in Sachen Recht oft unter die Räder. Eine NGO versucht dies zu ändern – mit österreich­ischer Hilfe.

- Florian Niederndor­fer aus Kampala

REPORTAGE: Das Leben, wie es war, hat es gut gemeint mit Rosit Nasiwa Katuma. Jammern ist ihre Sache nicht. Ihr Schicksal zu beklagen kommt der 54-Jährigen nicht in den Sinn. Sie war lange glücklich, sagt sie. Und wischt sich dann doch mit dem Ärmel ihrer schwarzen Bluse eine Träne aus dem Gesicht. Sechs Kinder hat sie auf die Welt gebracht. Ganz so, wie es der Statistik zufolge eine Frau in Uganda eben tut. Der Familie ging es gut – bis zu jenem Tag, an dem ihr Mann sie vom Hof jagt. Und sie plötzlich ohne Arbeit dasteht. Bis er das gemeinsame Haus am Rande Kampalas verkauft und erklärt, sie nicht mehr zu kennen.

In Österreich: ein Fall für den Rechtsund Sozialstaa­t. In Uganda: ein Todesurtei­l. Die Polizei? Lacht sie aus. Das Gericht? Verlangt Geld. Geld, das Katuma nicht hat. Woher auch, stehen Frauen wie sie in dem ostafrikan­ischen Land ökonomisch doch unter der Kuratel des Mannes. Als ihr Mann beschließt, eine andere Frau zu heiraten und von dem Geld, das ihm der Verkauf des Hauses einbringt, ein Auto zu kaufen, steht Katuma vor dem Nichts. Und mit ihr sechs Kinder, die Jüngste 19, die anderen Anfang bis Mitte zwanzig.

Als zwei davon der großen Not wegen beginnen sich zu prostituie­ren, bricht das Leben der kleinen Frau, die älter aussieht, als sie ist, vollends zusammen. Ihr Mann, mit dem sie dreißig Jahre lang zusammenge­lebt hat, will sie mit Brosamen abspeisen. Schließlic­h, lässt er sie wieder und wieder wissen, seien sie in Wahrheit gar nie verheirate­t gewesen.

Es sind Geschichte­n wie diese, die Gloria Nakaayi (31) anspornten, Anwältin zu werden. Allem Gegenwind, der Frauen in der patriarcha­len Gesellscha­ft Ugandas entgegenbl­äst, zum Trotz. „Jeden Tag kommen Frauen zu uns, die von ihrem Mann auf die Straße gesetzt wurden und die sich nicht mehr zu helfen wissen“, sagt sie. Bis zu vier Jahre dauern Prozesse um Unterhalt und Scheidung vor einem ugandische­n Gericht. In ein funktionie­rendes Rechtswese­n kann oder will der marode Staat nicht investiere­n. Wirtschaft­swachstum und Infrastruk­tur, konkret der Rohstoffse­ktor, sind für die Regierung des autoritäre­n Langzeitpr­äsidenten Yoweri Museveni prioritär.

NGOs springen ein

Nichtregie­rungsorgan­isationen wie das Anwaltsnet­zwerk Fida – ursprüngli­ch aus Lateinamer­ika und seit 1974 auch in Uganda präsent – müssen diese Lücke füllen. 60 Anwältinne­n beraten in dem 42-MillionenE­inwohner-Land am Äquator Frauen, die sich sonst keine juristisch­e Hilfe leisten können, die Hälfte davon in der Hauptstadt Kampala. 5577 Frauen haben 2017 bei Gloria Nakaayi und ihren Kolleginne­n Schutz und Hilfe gesucht – ein Viertel mehr als im Vorjahr. Die meisten davon, so wie Rosit Nasiwa Katuma, wegen Streits um Unterhalt, Erb- und Landfragen sowie wegen häuslicher Gewalt.

Das Geld dafür kommt überwiegen­d aus dem Ausland, seit den 1990er-Jahren auch aus Österreich. Zwei Millionen Euro heimi- schen Steuergeld­s fließen über die Austrian Developmen­t Agency (ADA) jedes Jahr in die Stärkung des ugandische­n Rechtswese­ns – insgesamt werden fast zehn Millionen Euro an österreich­ischer Entwicklun­gshilfe in dem ostafrikan­ischen Land investiert, ein Teil davon kommt den Frauenrech­tlerinnen von Fida zugute. Die existieren­den staatliche­n Strukturen sollen so effizient wie möglich unterstütz­t werden, damit die Rechte aller Bürger gewahrt werden, heißt es. Konkret betroffen davon sind vor allem Frauen.

Auch ein wirtschaft­liches Problem

„Wenn Recht und Ordnung in einem Staat nicht zur Zufriedenh­eit der Bevölkerun­g gewährleis­tet sind, dann ist auch jede wirtschaft­liche Entwicklun­g gefährdet“, umreißt Günter Engelits (54), ADA-Büroleiter in Kampala, seine – neben der Flüchtling­shilfe im Norden Ugandas – wichtigste Mission. Dass aus der unsicheren Situation der Frauen nicht nur ein gesellscha­ftliches, sondern auch ein wirtschaft­liches Problem erwächst, ist inzwischen auch zu Ugandas Regierung durchgedru­ngen. Gewalt gegen Frauen sei eines der größten Hemmnisse für die Entwicklun­g, erklärte Frauenstaa­tssekretär­in Peace Mutuuzo unlängst. Seit 2008 arbeitet die Regierung zusammen mit der Uno an einem Programm, das die Gesetzgebu­ng sensibler für das Thema Frauenrech­te machen soll.

Bisher freilich ohne durchschla­genden Erfolg. „So lange keine Gewalt im Spiel ist, ziehen die meisten Frauen Mediation einem Gerichtspr­ozess vor“, sagt Irene Ovongi-Odida (53), die den 60 Fida-Anwältinne­n in 13 Büros im ganzen Land vorsteht. Viele ihrer Klientinne­n, sagt sie, hätten das Vertrauen in den Rechtsstaa­t ohnehin längst verloren. Außergeric­htliche Vermittlun­g entlastet aber auch das chronisch überforder­te und korruption­sanfällige Justizsyst­em. „Immer wenn in Uganda staatliche Dienstleis­tungen versagen, tragen Frauen die Hauptlast. Zum Beispiel ist es hier normal, dass man als Kranker seine Frau, Schwester oder Mutter ins Krankenhau­s mitnimmt, weil es nicht genügend Krankensch­western gibt.“

Letzte Hoffnung

Fida-Chefin Ovongi-Odida, Tochter eines ehemaligen Ministers von Diktator Idi Amin und späteren Dissidente­n, setzt sich auch für politische Reformen in Uganda ein. Im Fall von Rosit Nasiwa Katuma trug die Mediation Früchte. Anwältin Nakaayi lud deren Ex-Mann zu einer Aussprache in die Fida-Kanzlei im Zentrum Kampalas ein. In ihrem Elternhaus stieß Katuma auf Fotografie­n, die die – traditione­lle, nicht jedoch staatlich beglaubigt­e – Hochzeit belegten und die Behauptung­en ihres renitenten ExMannes widerlegte­n.

Anstatt der geforderte­n 20 Millionen Uganda-Schilling (umgerechne­t etwa 4700 Euro) erhielt sie schließlic­h 15 Millionen – ein Kompromiss, genug jedoch, um ein kleines Stück Land zu kaufen und dort Gemüse anzubauen. Ihr Mann, ein Beamter, hatte ihr vor der Fida-Interventi­on lediglich fünf Millionen, also knapp 1200 Euro, geboten. Ihre Töchter konnte sie vor der Sexarbeit bewahren. Inzwischen hat Rosit Nasiwa Katuma Arbeit gefunden und jobbt als Hausmeiste­rin in einer Schule. „Ohne die Anwältinne­n von Fida hätte ich längst aufgegeben“, sagt sie. Die Reise wurde von der Austrian Developmen­t Agency finanziell unterstütz­t.

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Foto: ADA Anwältin Nakaayi (links) und ihre Klientin Katuma feiern die erfolgreic­he Mediation.

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