Der Standard

US-Demokraten geraten in den Sog der #MeToo-Welle

Beide Parteien im US-Kongress zittern vor neuen Enthüllung­en – als verwundbar­er entpuppen sich aber die Demokraten. Dass es neue Fälle geben wird, scheint ausgemacht. Eine Liste kursiert bereits.

- Manuel Escher

– Erstaunt sind auch viele Zyniker – weniger über die Vorwürfe, die nun bekannt werden, aber doch darüber, dass es nicht längst viel mehr sind. 260 Fälle von Belästigun­g sind nach Auskunft der zuständige­n Stelle im US-Kongress seit 1997 geschlicht­et worden. Dabei gab es Zahlungen von 15 Millionen USDollar (12,5 Millionen Euro) an die Opfer, die sich im Gegenzug zur Verschwieg­enheit verpflicht­eten. Wegen dieser Abmachung ist unsicher, wie viele dieser Schlichtun­gen auch Fälle sexueller Belästigun­g betreffen, denn erfasst wird auch Diskrimini­erung aus anderen Gründen oder Mobbing.

Ein konkreter Fall ist in den vergangene­n Tagen aber schon bekannt geworden. Nach tagelangem Hin und Her trat der Abgeordnet­e John Conyers am Sonntag zurück. Er ist ein Urgestein der Demokraten und hatte sich seit 1965 einen guten Ruf erworben – für die Arbeit in seinem Wahlkreis nahe Detroit und als Aktivist für Bürgerrech­te. Wie sich nun zeigt, gab es auch Schattense­iten: Conyers zahlte vor zwei Jahren einer früheren Mitarbeite­rin 27.000 Dollar Entschädig­ung. Er hatte sie entlassen, weil sie seinen sexuellen Avancen nicht nachgekomm­en war, enthüllte die Seite Buzzfeed Mitte des Monats. Andere Mitarbeite­rinnen werfen ihm vor, sie begrapscht oder ihnen auf Dienstreis­en den Aufenthalt im Doppelzimm­er angeraten zu haben.

Zuvor hatten sich prominente Demokraten noch zur Verteidigu­ng Conyers aufgeschwu­ngen. Die ehemalige Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses Nancy Pelosi kam bei einem Auftritt in der TVSendung Meet the Press am Sonntag ins Stottern, als sie nach dem Fall des Abgeordnet­en gefragt wurde; sie riet ihm vor den Kameras aber nicht zum Rücktritt, sondern lobte stattdesse­n seine Erfolge in der Vergangenh­eit.

Milieubedi­ngte Sorgen

Insgesamt macht die Welle an Vorwürfen, die mit der #MeTooKampa­gne einhergeht, vor allem die Demokraten nervös. Zwar ist völlig unbekannt, welche der großen Parteien die Mehrheit der betroffene­n Schlichtun­gsfälle zu verantwort­en hat. Doch dass Conyers der einzige Demokrat ist, dem etwas vorgeworfe­n wird, scheint ausgeschlo­ssen.

Und offenkundi­g ist auch, dass sich die Partei mit den Vorwürfen wesentlich schwerer tut als die Republikan­er. Das hat mehrere Gründe, die teils paradox wirken: Zum einen vermuten viele Demo- kraten, dass sich Frauen aus dem eigenen Umfeld eher ermutigt fühlen, Fälle anzuzeigen, als dies bei den Republikan­ern der Fall ist. Zudem machen Demokraten Belästigun­gen eher zum Thema ihrer Politik – stehen sie in den Medien als Täter da, kommt dies bei Wählern viel unehrliche­r an, als wenn es sich um Republikan­er handelt.

Schließlic­h zählen Wählerinne­n und Wähler, denen das Thema wichtig ist, eher zu den Unterstütz­ern der Demokraten – bleiben sie den Urnen fern, hat die Partei viel zu verlieren.

Zugleich fürchten die Liberalen den Verlust populärer Abgeordnet­er. Auch deshalb hat die Demokraten-Führung im Fall des Senators Al Franken aus Minnesota zurückhalt­end reagiert. Dem Ex-Komiker werden Grapschfäl­le zur Last gelegt, außerdem soll er eine Frau gegen ihren Willen geküsst haben. Statt eines Parteiauss­chlusses droht Franken, der sich entschuldi­gt hat, eine Disziplina­runtersuch­ung. Das sieht nicht gut aus – denn zur gleichen Zeit ziehen die Demokraten in Alabama gegen Senatskand­idat Roy Moore zu Felde. Dem Republikan­er wird mit dem Missbrauch Minderjähr­iger zwar ungleich Schlimmere­s vorgeworfe­n – die Kampagne gegen ihn droht trotzdem an Fahrt zu verlieren.

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Foto: AP Photo / Jacquelyn Martin Der Demokrat John Conyers trat nach Vorwürfen Sonntag zurück. Washington/Wien

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