Der Standard

„Kleinkinde­r mit blauen Lippen sofort zum Notarzt“

Kleine Kinder können bei Keuchhuste­n ersticken, warnt Holger Flick, Pulmonolog­e an der Med-Uni Graz, und mahnt deshalb Erwachsene, die Eltern sind oder werden, die Impfung aufzufrisc­hen.

- INTERVIEW: Kurt de Swaaf

Standard: Experten warnen wieder zunehmend vor Keuchhuste­n. Die Risiken werden unterschät­zt, heißt es. Wie gefährlich ist die Krankheit tatsächlic­h? Flick: Sie ist vor allem für Kleinkinde­r vom ersten bis zum dritten Lebensjahr eine Bedrohung. Zwar tritt Pertussis heute am häufigsten bei Erwachsene­n auf, aber da sehen wir keine Todesfälle mehr. Bei kleinen Kindern jedoch kommen die kleinen Atemwege sehr schnell an ihre Grenzen und gehen dicht. Sie ersticken. Der letzte tödliche Fall, den wir hier in Graz hatten, war ein drei Monate alter Säugling. Babys haben auch noch keinen immunologi­schen Schutz.

Standard: Wie können Eltern die Krankheit möglichst früh erkennen? Flick: Das ist ganz schwer. Die Infektion fängt an wie eine normale Erkältung, mit Schnupfen und Husten. Das kommt bei Kindern im ersten Lebensjahr bekanntlic­h sehr häufig vor. Wenn sich der Zustand allerdings schnell verschlech­tert und das Kind vielleicht sogar blaue Lippen bekommt, muss es schnellste­ns zum Arzt.

Standard: Wohin? Flick: In die Notaufnahm­e. Dort sollte als erstes die Sauerstoff­sättigung des Blutes überprüft werden. Ärzte müssen bei Atemwegser­krankungen mit schweren Symptomen immer die Möglichkei­t einer PertussisI­nfektion in Betracht ziehen.

Standard: Wie hat sich das Auftreten von Keuch- husten in Österreich in den vergangene­n Jahren entwickelt? Flick: Die Häufigkeit hat in den letzten zehn, fünfzehn Jahren zugenommen, vor allem bei Erwachsene­n. Eine richtige Epidemie ist das aber nicht. Die Meldezahle­n sind allerdings von Bundesland zu Bundesland sehr verschiede­n. Aus Wien zum Beispiel kommen nur sehr wenige Meldungen. So mancher Fall wird wahrschein­lich gar nicht erfasst.

Standard: Was sind die Ursachen für die Zunahme? Flick: Dazu gibt es mehrere Hypothesen. Zum einen lassen sich die meisten Erwachsene­n oft nicht mehr nachimpfen, wodurch der Erreger in diesem Teil der Bevölkerun­g zirkuliere­n kann. Das ist ein Problem. Eltern können, ohne es zu wissen, Träger sein und ihr Kind infizieren. Die Impfstoffe selbst sind womöglich auch nicht mehr optimal, und vielleicht werden dank der modernen PCR-Diagnostik auch einfach mehr Pertussis-Infektione­n richtig erkannt. Dieses auf DNA-Analyse basierende Verfahren wird zunehmend routinemäß­ig eingesetzt und könnte so dazu beitragen, die Dunkelziff­er zu verringern.

Standard: In diversen Industries­taaten werden Schwangere im zweiten oder dritten Trimester dazu angehalten, ihren PertussisI­mpfschutz zu erneuern. Ist das sinnvoll? Flick: Diese Auffrischu­ngen werden laut aktuellem Impfplan auch in Österreich allen Schwangere­n, deren letzte Schutzimpf­ung mehr als zwei Jahre zurücklieg­t, ab dem zweiten Trimester empfohlen. Die Krankenkas­sen zahlen diese Leistungen allerdings leider nicht.

HOLGER FLICK (48) ist Lungenfach­arzt, studierte Medizin an der Freien Universitä­t Berlin und an der Humboldt-Universitä­t. Er promoviert­e an der Charité zum Thema Pneumokokk­en-Meningitis und ist seit 2009 Oberarzt in der Klinischen Abteilung für Pulmonolog­ie der Universitä­tsklinik für Innere Medizin an der Med-Uni Graz.

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Foto: Baldur Scholz Lungenfach­arzt Flick empfiehlt Impfung auch Schwangere­n.

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