Der Standard

Trickreich gezeichnet­e Ohnmacht

Der Animations­film „Teheran Tabu“erzählt von Repression und Scheinmora­l im Iran

- Michael Pekler

Wien – Die Stadt, in der sich Schicksale kreuzen, ist für Literatur und Film seit jeher ein Schauplatz der ungeahnten Möglichkei­ten. Verführeri­sch und vielfältig sind die Gelegenhei­ten, die sich für die Erzählung auftun, wenn sich lose Handlungss­tränge zu einem komplexen Geflecht verbinden.

Diesem sogenannte­n ShortCuts-Prinzip folgt auch Teheran Tabu: Vier junge Menschen begleitet der Film des in Deutschlan­d lebenden gebürtigen Iraners Ali Soozandeh durch ihren Alltag. Ort des Geschehens sind überwiegen­d die Straßen, Plätze und Nachtclubs Teherans, das Soozandeh als pulsierend­e Metropole zeichnet. Doch dieser Alltag folgt seinen eigenen Gesetzen, die der Gottesstaa­t seinen Bürgern vorschreib­t. Teheran Tabu erzählt vom Kampf des Einzelnen innerhalb eines Systems, das die Handlungsr­äume einengt.

Da wäre etwa Pari, deren im Gefängnis sitzender Mann sich weigert, die Scheidungs­papiere zu unterzeich­nen, weshalb die junge Mutter versucht, als Prostituie­rte über die Runden zu kommen – und in den Fängen des für sie zuständige­n Richters landet. Ihre schwangere Nachbarin Sara wiederum muss sich mit ihrer streng religiösen Schwiegerm­utter ausei- nandersetz­en. Der Musiker Babak hat nach einem One-Night-Stand ein völlig anderes Problem: Er muss das Geld für eine Operation auftreiben, um Danya wieder zur Jungfrau werden zu lassen.

Direkte Anklage

Anhand dieser locker miteinande­r verknüpfte­n Geschichte­n entwirft Teheran Tabu sein offen zur Schau gestelltes Gesellscha­ftsbild, das von Doppelmora­l, Angst und Machtmissb­rauch geprägt ist. Soozandeh, der auch das Drehbuch verfasst hat, verzichtet auf subtile Andeutunge­n, sondern erhebt direkt Anklage. Teheran Tabu lässt weder Interpreta­tionsspiel­raum, noch lässt er Fragen offen.

Weil ein solcher Film selbstvers­tändlich nicht in Teheran hätte entstehen können, hat Soozandeh auf das tricktechn­ische Verfahren der Rotoskopie zurückgegr­iffen: Gedreht wurde mit echten Schauspiel­ern im Studio, die Hintergrün­de wurden danach mittels Animations­programm digital eingearbei­tet. Das Ergebnis erinnert an Ari Folmans vielbeacht­eten dokumentar­ischen Trickfilm Waltz with Bashir über den LibanonKri­eg: Flächige Körper und Räume, satte, grelle Farbgebung, erhalten bleiben aber die realistisc­hen Bewegungen der Schauspiel­er.

Eine Verfremdun­g, die gleicherma­ßen eine Identifika­tion mit den Figuren erlaubt und eine Distanz zu ihnen erzeugt, die aber auch als Mittel zum Zweck dienen muss: Dem Anspruch eines Realfilms würden die wenig ausdiffere­nzierten Erzählunge­n und eindimensi­onalen, stereotype­n Charaktere nicht genügen.

Dennoch: Teheran Tabu wirft als deutsch-österreich­ische Koprodukti­on einen ungewohnte­n Blick von außen auf ein Land, dessen nonkonform­istisches Kino meist nur über Umwege auf europäisch­en Festivals landet und das über Regisseure wie Jafar Panahi nach wie vor Berufsverb­ote und Haftstrafe­n verhängt. Ein Protestfil­m, um, so Soozandeh, „das Schweigen zu brechen“. Ab Freitag

 ??  ?? Die Freiheiten von Pari, ihrem Sohn Elias und ihrer Nachbarin Sara halten sich in engen Grenzen. Ein abendliche­r Restaurant­besuch bleibt in „Teheran Tabu“die Ausnahme.
Die Freiheiten von Pari, ihrem Sohn Elias und ihrer Nachbarin Sara halten sich in engen Grenzen. Ein abendliche­r Restaurant­besuch bleibt in „Teheran Tabu“die Ausnahme.

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