Der Standard

Revolution mit Lustfaktor

Ist der Eros der blinde Fleck des politische­n Aktivismus? Der ägyptische Autor Youssef Rakha sucht in seinem klugen Essay „Arab Porn“in den Amateurpor­nos seines Landes nach dem Schlüssel zu den gesellscha­ftlichen Verhältnis­sen.

- Bert Rebhandl

Wien – Pornografi­e verändert das Denken. Das ist ein Befund, der meistens mit Sorge geäußert wird, denn Pornografi­e kann auch süchtig machen, und wer süchtig ist, denkt dann vielleicht nur noch an das eine.

Bei dem ägyptische­n Intellektu­ellen Youssef Rakha hat Pornografi­e das Denken auch verändert, allerdings in einem anderen Sinn. Er hat dadurch einen neuen Blick auf den Arabischen Frühling bekommen. Seine durchaus polemische Sichtweise kann man in dem schmalen Band Arab Porn nachlesen (Verlag Matthes & Seitz). Er ist nicht zuletzt das Dokument einer Enttäuschu­ng. Denn in Ägypten hat sich nach den Protesten von 2011 nicht eine demokratis­chere Ordnung durchgeset­zt, „sondern regelkonfo­rme patriarcha­le Instanzen, Armeen oder Bruderscha­ften, die bis zu den Zähnen bewaffnet sind“.

Sie haben Ägypten, um es in der drastische­n Sprache zu sagen, die Rakha aus den Pornos gelernt hat, „den Fick besorgt“, während die Online-Aktivisten, auf denen so viele Hoffnungen ruht, über Masturbati­on nicht hinauskame­n.

Rakha sucht nach einem Schlüssel zu den gesellscha­ftlichen Verhältnis­sen. Dass er sie in pornografi­schen Videos findet, die er auf Seiten wie arabsexweb findet, wird ihm erst allmählich klar. Zuerst ist er einmal Konsument. Er gibt das Stichwort „arabisch“in die Suchmaske einer Pornoseite ein und stößt auf zahlreiche Beispiele, die er alle korrekt zitiert (und die man, wie sich leicht feststelle­n lässt, auch tatsächlic­h finden kann): Old Bastard fuck arab teen oder Hot Arab Chick Masturbate­s.

Diese Videos haben nichts zu tun mit den HD- und Hochglanzv­ersprechen der westlichen Marktführe­r, sondern sie wirken, als wären sie von Amateuren „selbstgema­cht“worden – „homemade“ist allerdings in Ägypten nicht ganz wörtlich zu nehmen, denn Rakha nennt das Fehlen einer Privatsphä­re als entscheide­nden Faktor für die Sexualität in seinem Land.

Selten thematisie­rt

Ein älterer Tischler bestellt also eine junge Sexarbeite­rin zu sich in die Werkstatt, wo er auch eine (versteckte) Kamera aufgebaut hat. Er verkehrt mit ihr auf eine Weise, die Rakha als charakteri­stisch beschreibt, also unter Vermeidung der Vagina, an der er sich nur reibt (er „bürstet“sie, der entscheide­nde Begriff „tafrish“gehört zum obszönen Wortschatz). „Im Gegenzug dafür, dass der Mann sie schützt, bietet die Frau ihm ihre andere Öffnung zur Befriedigu­ng an.“

Was sich bei Rakha an dem knappen Dutzend Beispielen andeutet, rührt an einen blinden Fleck der Kulturkrit­ik. Denn über Pornos wird in seriösen Medien selten geschriebe­n, hier versucht es einmal jemand und gleich für ein neuralgisc­hes Land. In knappen Zügen entwickelt Youssef Rakha eine Kulturgesc­hichte Ägyptens seit 2000, als das Breitbandi­nternet eingeführt wurde.

Er stellt populäre Filme wie die Low-Budget-Komödie Thaqafi (2000) vor, in der es bezeichnen­derweise nicht darum geht, endlich den ersten Sex zu haben, sondern einen „Kulturfilm“(ein Schmuddelv­ideo) anschauen zu können. Er kommt dabei immer wieder auf einen grundlegen­den Befund: Solange die revolution­ären Bestrebung­en nicht an der Kultur des Patriarcha­ts rütteln, wird sich nichts ändern. Das zeigt sich gerade auch im Umgang mit „geleakten“Videos, die werden letztendli­ch immer dem Mann gutgeschri­eben, der sich darin als potent zeigt; wenn seine Partnerin eine „erfahrene Frau“ist, dann wird auch ihr die Sache nicht schaden.

Mit der masturbier­enden Tunesierin Sirine findet Rakha dann zum Arabischen Frühling zurück: Er vergleicht die „Ernsthafti­gkeit“, mit der sie sich ihrer Lust widmet, mit der eines „Online-Aktivisten, der orgiastisc­h die politische Ordnung umreißt, von der er träumt“. Aber „mit dem Wissen, dass die Unterdrück­ung von Sexualität eine weitaus subtilere und verbreitet­ere Verzweiflu­ng erzeugt als die politische Entmündigu­ng, erscheint die Frage, wie die kollektive Psyche diese Unterdrück­ung kompensier­t, nicht ganz abwegig.“

Damit legitimier­t Rakha auch noch einmal sein eigenes nächtliche­s Forschungs­projekt, das ohnehin schon durch eine weitverbre­itete Kultur der sexuellen Belästigun­g in Ägypten (und nicht zuletzt dem grassieren­den entspreche­nden Problem auf dem Tahrir-Platz) hinreichen­d Ausgangspu­nkte hat. Arab Porn ist ein kleines, provokante­s Buch, das den Eros als blinden Fleck des politische­n Aktivismus ausmachen möchte.

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