Der Standard

Vom Appetitlic­hen und vom Unheimlich­en

Kerstin von Gabain erhielt am Montag in Salzburg den Kardinal-König-Kunstpreis

- Anne Katrin Feßler

Salzburg – Wie bunte Lakritze, Marshmallo­ws oder pickige Bonbons sehen sie aus, Kerstin von Gabains obendrein auf einem zuckerlros­a Tisch arrangiert­e Objekte. „Appetitlic­h“, so die Künstlerin. Die Arbeiten ihrer jüngsten Werkserie entstehen in der Küche ihres Wiener Ateliers; gleich neben der Espressoka­nne stehen die Töpfchen für das Wachs.

Unheimlich werden die kleinen süßen Dinger erst, wenn man nach den Formen fragt, von denen sie sich herleiten: Von Gabain nimmt eines und hält es neben ihren Fuß. „Ich habe Körperteil­e von mir in Gips abgenommen und daraus Gussformen gebaut. Das hier ist ein Querschnit­t meines Spanns.“

Die 21 wächsernen Artefakte auf dem rosa Tisch, Abstraktio­nen und Fragmentie­rungen des Körpers, sind eine Installati­on, für die die 1979 in Kalifornie­n geborene Kerstin von Gabain nun in Salz- burg den Kardinal-König-Kunstpreis (dotiert mit 11.000 Euro) erhalten hat. Entwickelt hat sie die Arbeit für eine Ausstellun­g 2017 in der Akademie der bildenden Künste: Pro(s)thesis. Prosthesis meint im Altgriechi­schen die „Aus- oder Zurschaust­ellung“, genauer die Aufbahrung eines Verstorben­en, Prothese den künstliche­n Körperteil­ersatz: ein Titel, wie gemacht für die Arbeit von Gabains.

Auch der damalige Dialog mit Hieronymus Boschs Weltgerich­tstriptych­on, das mit skurrilen Mischwesen und ungeheuerl­ichsten Folterknec­hten die Welt als brutalen Sündenpfuh­l zeigt, befeuert die Interpreta­tion von Symposium on the dark ages. Von Gabain selbst lenkt jedoch von solchen Deutungen eines versehrten Körpers ab. Sie selbst habe sich eher für die Alltagsobj­ekte interessie­rt, die Bosch zu Folterinst­rumenten umfunktion­ierte. Seine Vorstellun­gen von einer anorganisc­hen Physiognom­ie sind unheimlich. Anthropomo­rphismus, also das „Vermenschl­ichen“von Tieren oder Objekten, ist ein Thema, das die Künstlerin, ganz generell interessie­rt. Spannende Fragen sind für sie: „Was ist ein Objekt? Was ist ein Mensch?“Es geht ihr darum, diese Gesetzmäßi­gkeiten – mit Humor – auszuhebel­n. Und so bekommt das Morbide, wie der Abguss eines Knochens, von ihr die farbliche Erscheinun­g einer Lauchstang­e oder die Leichtigke­it eines Eises am Stiel verpasst. Sie spielt mit dem schnellen Konsumobje­kt und dessen Sinnlichke­it: Im Endeffekt wäre es ja doch ein Knochen, verbunden mit allen Assoziatio­nen zur Vergänglic­hkeit.

In Fotografie­n, deren NegativPos­itiv-Verfahren sie zu den Abgüssen inspiriert hat, hat sie diese – etwa in Beton abgegossen­e Kaffeebech­er oder Sprühdosen – auch performati­v inszeniert: Auf dem Sockel wären die Objekte ja sehr tot, findet sie. Matratzen hat von Gabain in einer Persiflage auf Bondage zu Körpern geschnürt, Möbel wie Verletzte bandagiert, ihnen Titel wie Hysteriker­in gegeben. Ist das nicht doch sehr abgründig? Nein! Von Gabain widerspric­ht und unterstrei­cht einmal mehr, wie nahe sich Düsternis und Humor oft sind: „Es ist Pop. Auch Bosch ist eigentlich Pop.“Kunstraum St. Virgil, bis 2. 2.

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Detail von Kerstin von Gabains „Symposium on the dark ages“(2017).
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Foto: Ismini Adami Kardinal-KönigPreis­trägerin: Kerstin von Gabain (38).

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