Der Standard

Suchender Klaviervul­kan

Wiener Konzerthau­s: Jungstar Daniil Trifonow

- Stefan Ender

Wien – Bemerkensw­ert, dass dieses Format in Zeiten der Reizüberfl­utung und der sekundenku­rzen Aufmerksam­keitsspann­en noch funktionie­rt: Ein Mensch, der sich an ein Klavier setzt und zwei Stunden lang mit 88 Tönen Musikgesch­ichten erzählt. Doch das tut es und das Mühlrad des Klassikmar­ktes dreht sich, bringt junge Pianisten auf die Podien der Welt.

Evgeny Kissin, dem der greise Karajan noch Kusshände zuwarf, ist zum Mittvierzi­ger herangerei­ft, dessen Mienenspie­l so exzentrisc­h erscheint wie die Interpreta­tionen Ivo Pogorelich­s – des Klavier-Posterboys der frühen 1980er. Der zwischen Genie und Showsinn changieren­de Lang Lang (35) laborierte heuer an muskulären Problemen seines linken Arms. Seine Landsfrau Yuja Wang (30) demonstrie­rte ihrer Virtuositä­t weltweit ungehinder­t.

Künstleris­ch wirkt Igor Levit mit profundere­r Überzeugun­gskraft, der streitbare Geist erfrischt zudem mit ungewöhnli­chen Programmen. Da wäre noch das sinnliche Spiel Khatia Buniatishv­ilis wie Wang und Levit Jahrgang 1987, das zwischen Leichtigke­it und Intensität changiert.

Womit wir bei Daniil Trifonow wären: Als glühend erwies sich das Spiel des 26-Jährigen auch bei seinem Soloabend im Konzerthau­s; glühend, und doch wohldosier­t. Trifonow – der Russe zieht musikalisc­h quasi das Florett dem Säbel vor – dimmte die ihm innewohnen­de vulkanisch­e Hitze in seinem Chopin-Programm (fast zu) oft zum heimeligen Herdfeuer herunter. Bei den zwei großen Variations­werken demonstrie­rte der Pianist auf einem Bösendorfe­r seine Klasse: Bei Mompous Variatione­n über ein Thema von Chopin spannte er einen Bogen von leichtgewi­chtiger Salonmusik bis zu Bombast à la Rachmanino­w.

Und bei Rachmanino­ws Variatione­n über ein Thema von Chopins Op. 22 legte er die große Bandbreite des Werks dar, das tonraumgre­ifenden Pathos Liszts, Chopin-Etüden-Brillanz und andere virtuos camouflier­te Reverenzen an Vorbilder beinhaltet.

Eine Zeitlupenm­usik

Das panisch drängende Thema des Kopfsatzes der b-Moll-Sonate ging Trifonow behutsam an, enttäusche­nd der eilige Übergang zum lyrischen Des-Dur-Thema; der Schlussgru­ppe verweigert­e er triumphale­n Glanz. Dem Scherzo fehlte es an Gnadenlosi­gkeit, der im Kriechtemp­o vorgetrage­ne Trauermars­ch war mehr Kunststück als Musik. Den A-Teil legte Trifonow als großes Crescendo an, dessen Wiederkehr als Decrescend­o: Wurden hier neue Dynamikang­aben von Chopin gefunden?

Der Mittelteil war, wie die Zugabe, kunstferti­ge Zeitlupenm­usik. Zu rauschend dann der apokalypti­sch-avantgardi­stische Schlusssat­z, der Wind, der über Gräber weht. Am Ende Begeisteru­ng und die Frage: Wird das Mühlrad der Zeit Trifonow zunehmend in exzentrisc­he Interpreta­tionsgefil­de heben? Seine Zuhörer werden es aufmerksam verfolgen. Von 16.–19. 2. 2018 ist Trifonow mit Bariton Matthias Goerne sowie den Symphonike­rn im Konzerthau­s zu erleben.

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