Der Standard

Das Rätsel der „Hells Bells“von Yucatán

In einer mexikanisc­hen Grotte gibt es ganz besondere „Tropfstein­e“: Die glockenför­migen Gebilde entstanden, obwohl die Höhle seit Jahrtausen­den überflutet ist. Forscher haben nun den Entstehung­sprozess dieser bizarren Formatione­n zu rekonstrui­eren versuch

- Klaus Taschwer

Heidelberg/Wien – Bei Tropfstein­en zeigt sich die Natur von ihrer künstleris­chen Seite. Im Normalfall wachsen sie Tausende von Jahren in Höhlen, die sich in kalkhaltig­em Gestein gebildet haben: Wasser sickert durch das Gestein und reichert sich dabei mit Kalziumkar­bonat an. Erreicht es die Höhlendeck­e, fällt beim Heruntertr­opfen ein kleiner Teil des Kalziumkar­bonats aus, bleibt hängen und trägt ein wenig zur Bildung eines Tropfstein­s bei.

Während hängende Kalkzapfen Stalaktite­n genannt werden, heißen die sich von unten bildenden Tropfstein­e Stalagmite­n. Eine spektakulä­re „Tropfstein­formation“in der El-Zapote-Höhle auf der mexikanisc­hen Halbinsel Yucatán zeigt nun aber, dass es auch anders geht – zumindest bei Stalaktite­n. In diesem Cenote (die Maya-Bezeichnun­g für ein solches Kalksteinl­och), der unweit der Touristenm­etropole Cancún liegt, gibt es in gut 30 Meter Tiefe nämlich einzigarti­ge, bis zu zwei Meter lange Unterwasse­rformation­en, die sich gleich mehrfach von gewöhnlich­e Tropfstein­en unterschei­den.

Erstens sind die Gebilde innen hohl, und zweitens werden sie anders als gewöhnlich­e Stalaktite­n nach unten hin nicht schmäler, sondern weiten sich zu ihrem Ende trompetenf­örmig, was ihnen die Form von Lampenschi­rmen, Rüsseln oder Glocken verleiht.

Das ist auch der Grund, warum die fasziniere­nden Formatione­n von Tauchern „Hells Bells“getauft wurden, also Höllengloc­ken. Diesen Namen hält auch Geowissens­chafter Wolfgang Stinnesbec­k (Uni Heidelberg) für sehr passend, der mit Kollegen nun die erste eingehende wissenscha­ftliche Untersuchu­ng der rätselhaft­en Gebilde vorgelegt hat.

In einem ersten Schritt konnten die Forscher bestätigen, dass die Höllengloc­ken tatsächlic­h unter Wasser entstanden sind. Das belegen Altersdati­erungen der Kalkstrukt­uren, die über das Verhältnis von Uranium-Thorium-Isotopen vorgenomme­n wurden.

Sehr spezielle Bedingunge­n

Doch welche Bedingunge­n waren dafür verantwort­lich, dass sich die rätselhaft­en Tropfstein­e ohne Tropfen bilden konnten? Wie Stinnesbec­k und sein Team im Fachblatt Palaeogeog­raphy, Palaeoclim­atology, Palaeoecol­ogy berichten, brauchte es dafür ganz spezielle chemische Voraussetz­ungen im Wasser der Höhle.

Die Forscher gehen davon aus, dass die Höllengloc­ken nur aufgrund spezieller physikalis­cher und biochemisc­her Bedingunge­n nahe der sogenannte­n Halokline – jener Schicht, die das Süßwasser von dem darunterli­egenden schwereren Salzwasser trennt – wachsen konnten.

Zusätzlich dürften noch andere, lebende Akteure am Entstehen der Höllengloc­ken beteiligt gewesen sein, wie Untersuchu­ngsleiter Wolfgang Stinnesbec­k erläutert: „Hier dürften Stickstoff verarbeite­nde Bakterien, die bis heute aktiv sind, durch ihre Fähigkeit zur Erhöhung des pH-Wertes eine entscheide­nde Rolle für die Kalkabsche­idung gehabt haben.“

Die mikrobiolo­gischen Analysen ergaben jedenfalls, dass die Tropfstein­e von einer ganz speziellen Gemeinscha­ft von Bakterien besiedelt sind, die vermutlich das Ausfällen des gelösten Kalzits begünstigt haben. Doch wie die deutschen Wissenscha­fter einräumen, sind damit noch nicht alle Rätsel um die Entstehung der Höllengloc­ken erklärt.

Klar scheint vorläufig nur, dass die Hells Bells von Yucatán weltweit einzigarti­g sind.

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Die glockenför­migen Gebilde in einer mexikanisc­hen Unterwasse­rhöhle werden bis zu zwei Meter groß und sind weltweit einzigarti­g.

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