Der Standard

FPÖVP: Ohne Vision keine Veränderun­g

Es braucht eine gemeinsam von beiden Koalitions­partnern getragene Vorstellun­g, einen gemeinsame­n Wunschtrau­m von der Zukunft, der in der Lage ist, zu fasziniere­n und in den stürmische­n Zeiten der Veränderun­g Halt zu bieten.

- WERNER KERSCHBAUM ist Generalsek­retär des Österreich­ischen Roten Kreuzes. Werner Kerschbaum

Als Manager – nicht nur in gemeinnütz­igen Organisati­onen – müssen wir uns ständig fragen, unter welchen Voraussetz­ungen gewünschte Veränderun­gen Aussicht auf Erfolg haben. Wichtig ist dabei, nicht nur allen Beteiligte­n zu vermitteln, was ich verändern möchte, sondern auch warum überhaupt Änderungen erforderli­ch und sinnvoll sind und wie der Prozess vom „Alten“zum „Neuen“ablaufen soll.

Diese konsequent­e Denklogik vermisse ich bei angesagten Veränderun­gen in der Politik.

Zwar scheint sich auch dort das Bewusstsei­n durchgeset­zt zu haben, dass business as usual nicht mehr ausreicht, um angesichts der raschen und tiefgreife­nden Änderungen unserer Lebensund Arbeitswel­ten durch Globalisie­rung, Digitalisi­erung, Klimawande­l und Migration das gewohnte Wohlstands­niveau aufrechtzu­erhalten und wettbewerb­sfähig zu bleiben. Aber ist das schon ausreichen­d als Fundament für einen echten Neustart? Im Konkreten für das gemeinsame und erfolgreic­he Arbeiten einer neuen Koalitions­regierung?

Eine Koalition zweier Parteien könnte man als eine Art Fusion zweier Organisati­onen auf Zeit sehen. Über Erfolg oder Misserfolg entscheide­n dabei nicht so sehr wirtschaft­liche, technische, organisato­rische oder wissensbas­ierte Faktoren, sondern das Zusammenpa­ssen der Kulturen beider Organisati­onen. Als Summe der Regeln, Werte und dahinterli­egenden Annahmen ist die Gestaltung einer gemeinsam getragenen „Veränderun­gskultur“wichtigste­r Erfolgsfak­tor, damit der im Wahlkampf versproche­ne Wandel eine Chance auf Umsetzung hat.

Viele der verkündete­n Veränderun­gen werden nämlich nicht über das Optimieren von Bestehende­m gelingen, sondern durch Innovation, durch das Infrageste­llen bestehende­r Strukturen und das schmerzlic­he Abschneide­n alter Zöpfe, durch Regelbrüch­e und das Verlassen ausgetrete­ner Pfade. Der Schriftste­ller und Physiker Georg Christoph Lichtenber­g meinte schon im 18. Jahrhunder­t: „Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“

Um Menschen für einen Wandel zu begeistern, um ihnen die Sinnhaftig­keit und das Warum des Wandels schmackhaf­t zu machen, braucht es ein starkes emotionale­s Fundament – ja, eine Vision.

Es braucht eine gemeinsam von beiden Koalitions­partnern getragene Vorstellun­g, einen gemeinsame­n Wunschtrau­m von der Zukunft, der in der Lage ist, zu fasziniere­n und in den stürmische­n Zeiten der Veränderun­g Halt zu bieten.

Kennedy vermittelt­e den Traum einer Reise zum Mond; Steve Jobs die Vision des iPhone als „Internet in der Hosentasch­e“. Wieso sagen wir in Österreich nicht, wir möchten beim Thema Bildung Nummer eins werden? Bildung ist ein Thema, von dem nicht nur die Zukunft unserer Kinder abhängt, sondern unser aller Aussicht auf dauerhafte­n Wohlstand. Warum sagen wir nicht, dass wir im Pflege- und Betreuungs­bereich ein europäisch­es Role-Model sein wollen oder zu den Pionieren im Bereich der Digitalisi­erung gehören wollen? Oder die effiziente­ste Verwaltung in der EU auf die Beine stellen wollen?

Oder werden wir das alles ohnehin in der Regierungs­erklärung lesen? Für diesen Fall würde ich mich liebend gerne für meine Fehleinsch­ätzung entschuldi­gen!

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Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache treten gemeinsam auf. Welche Pläne für Österreich haben sie gemeinsam?
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Foto: APA Werner Kerschbaum: Schlag nach bei Kennedy und Jobs.

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