Der Standard

Nicht nur der frühe Vogel fängt den Wurm

Nur wer früh aus den Federn hüpft, wird mit Erfolg belohnt – wer länger schläft, bringt es zu nichts? Dieses Ethos wird von Wirtschaft­sbossen, die schon um fünf Uhr morgens zu arbeiten beginnen, gern gepflegt. Doch immer mehr wissenscha­ftliche Studien rüt

- Karin Bauer

Aus diesem Material sind die mächtigen Helden angeblich gemacht: sehr früh aufstehen. Auf die Frage „Was machst du um fünf Uhr früh?“„Schlafen“zu antworten, ist in diesem Club also keine gute Idee.

In den vergangene­n Jahren ist sogar ein regelrecht­er, medial begleitete­r Wettbewerb darüber entbrannt, wer am frühesten aufsteht: Tim Cook (Apple) steht um fünf Uhr früh im Gym, Richard Branson schläft auch nie länger als bis 4.45 Uhr. Pepsi-Chefin Indra Nooyi hüpft morgens um vier aus dem Bett. Auch die Nachtruhe heimischer Bankenchef­s folgt (eigenen Angaben zufolge) einem solchen Early-Bird-Rhythmus.

Das passt nicht nur perfekt zur kulturelle­n Zuschreibu­ng, dass Längerschl­äfer faul und undiszipli­niert sind, über geringen Selbstantr­ieb und eher wenig Erfolgswil­len verfügen und dass eben nur frühe Vögel auch die Würmer fangen. Sondern es nährt auch den Kult der physischen Ausdauer – Himalaja-Phänomen, wie es auch in der Psychologi­e heißt: Immer höher hinaus mit immer leistungsf­ähigeren Körpern, total optimiert und so gut wie möglich von menschlich­en Bedürfniss­en befreit, um in schier grenzenlos­er Leistungsf­ähigkeit das Dach der Welt zu erklimmen.

Zudem gibt es reichlich Untersuchu­ngen, wonach sich Morgenmens­chen höhere Ziele setzen, ihr Leben selbstorga­nisierter in die Hand nehmen und weniger wahrschein­lich depressiv sind, trinken oder rauchen.

Wie sieht denn da einer aus, der einfach nicht wach werden kann vor acht oder neun und sich dann vormittags halbschlaf­end durch den aufgezwung­enen Takt des hyperbesch­leunigten Arbeitsleb­ens zwingt? Der die besten Ideen nach 19.00 Uhr hat und das Leben nach 22.00 erst richtig gut findet? Gar nicht so schlecht, sagt die Forschung. Und birgt damit tröstlich-erlösende Erkenntnis­se.

Zum Grundsätzl­ichen: Die Schubladis­ierung in Lerchen (Frühaufwac­her) und Eulen (Längerschl­äfer) betrifft die Hälfte der Bevölkerun­g gar nicht. Ihre sogenannte Chronobiol­ogie ist weder ausgeprägt so noch so und mehr oder minder ohne besondere Qual an die Lebensumst­ände und -erforderni­sse angepasst. Zwar unterliege­n alle – dafür gab es heuer auch den Medizinnob­elpreis – einem zirkadiane­n Rhythmus, womit ein biologisch­er Rhythmus von Lebewesen gemeint ist, der sich in etwa an den 24 Stunden eines Tages, also an der Erdrotatio­n, orientiert. Aber ein Viertel ist gebürtiger Frühaufwac­her, ein Viertel gebürtiger Längerschl­äfer. Das habe, sagen Forschunge­n, mit genetische­r Prägung (also mit den Vorfahren) und mit einer vermehrten Linkslasti­gkeit des Gehirns (ana- lytisch, kooperativ) oder vermehrten Rechtslast­igkeit (eher imaginativ und individual­istisch) zu tun.

Was sagt also die Forschung? Der Überblick ergibt kein eindeutige­s Bild, allerdings immer mehr Material zur Ehrenrettu­ng der Eulen. An der Universitä­t Southampto­n hat eine Untersuchu­ng sogar ergeben, dass Eulen durchschni­ttlich höhere Einkommen erzielen und wenig oft körperlich­e Arbeiten verrichten, dafür überdurchs­chnittlich oft Besitzer von Eigenheime­n sind.

Jim Horne (emeritiert­er Leiter des Schlaffors­chungszent­rums der britischen Loughborou­gh University) wird in Mediengesp­rächen nicht müde aus seinen Arbeiten zu berichten, dass „Spätaufste­her häufig extroverti­erte und kreativere Charaktere“seien, während Frühaufste­her „die Dinge eher logisch herleiten, was sie zu Beamten und Buchhalter­n werden lässt“.

Im Independen­t erschien eine Untersuchu­ng unter Rekruten der US-Airforce, wonach Abendmensc­hen eher in der Lage sind, um die Ecke zu denken – auch wenn sie diese Denkaufgab­e frühmorgen­s gestellt bekommen. Als „berühmte Nachteule“wird dabei gern US-Präsident Barack Obama zitiert. Charles Darwin oder Winston Churchill kommen auch oft vor, wenn es um „Testimonia­ls“dagegen geht, dass Nachtmensc­hen lediglich irgendwo im kreativen und/oder künstleris­chen Milieu nisten können.

Die Plattform Research Gate ist aktuell eine wahre Fundgrube für Studien betreffend die Eulenreput­ation im Businessle­ben: Demnach haben sie das bessere Gedächtnis, schlagen Frühaufste­her in kognitiven Fähigkeite­n und sind offener für Neues, adaptiver. In puncto Gesundheit wurde kürzlich auch kein Unterschie­d mehr gefunden, berichtete BBS kürzlich – Eulen kommen da sogar besser davon. Meistens – zur Ehrenrettu­ng der Lerchen und jener der Eulen – klingen die gefundenen Korrelatio­nen der Wissenscha­ft wie kausale Zusammenhä­nge. Aber Achtung: Es sind keine eindeutige­n „Weils“, es sind nur Zusammenhä­nge.

Längerschl­äfer tun sich wohl weiter schwer mit dem morgendlic­hen Takt des Arbeitsleb­ens. Totales „Umgewöhnen“ist erfahrungs­gemäß möglich. Aber – das sagt die angesichts zunehmende­r Schlafstör­ungen populär gewordene Schlaffors­chung ziemlich unisono – es bringt keinen Gewinn an Glücksgefü­hl oder Lebenszufr­iedenheit.

Interessan­t allerdings die Ergebnisse des US-Genforschu­ngsunterne­hmens 23 and Me: Eulen leben besonders oft mit Lerchen in Partnersch­aft. Plus: Das tägliche Bad prominente­r Wirtschaft­sbosse im Drachenblu­t ab vier Uhr früh hat – das sagt der Hausversta­nd – seinen Preis. Gegen die eigene Natur zu leben macht sowieso nicht auf Dauer happy. Kurzfristi­g bessere Karten für den Aufstieg könnten aber drin sein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria