Der Standard

Europa und Afrika: Schwierige Partner

Zehn Jahre nach dem Beschluss einer neuen Form der Partnersch­aft zwischen Afrikanisc­her und Europäisch­er Union stockt die Umsetzung. Hinzu kamen weitere Schwierigk­eiten. Beim EU-AU-Gipfel sollen die Beziehunge­n belebt werden. Eine Bestandsau­fnahme in zehn

- Anna Giulia Fink

1 Der Rahmen:

Der Mittwoch und Donnerstag stattfinde­nde Gipfel ist der fünfte seiner Art: In der Regel alle drei Jahre kommen die Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union (EU) und der Afrikanisc­hen Union (AU) zu einem solchen Treffen zusammen – abwechseln­d in einer europäisch­en und einer afrikanisc­hen Örtlichkei­t stattfinde­nd. Heuer ist Abidjan Treffpunkt, die größte Stadt in Côte d’Ivoire (früher Elfenbeink­üste). Als entscheide­nd galt der Gipfel in Lissabon 2007: Dort wurde die „Gemeinsame Strategie AfrikaEU“unterschri­eben, die nun ihr zehnjährig­es Jubiläum feiert.

2 „Ein Höhepunkt“:

So beschreibt Georg Lennkh, Botschafte­r a. D. und ehemaliger Sektionsle­iter für Entwicklun­gszusammen­arbeit, heute den Beschluss im Jahr 2007. Die neue Strategie schuf einen offizielle­n Kanal und die Grundlage der Zusammenar­beit von AU und EU, die jenseits der Entwicklun­gshilfe auch in Bereichen wie Sicherheit, Kampf gegen Klimawande­l oder Förderung von Demokratie forciert werden sollte. „Allein schon die festgehalt­ene Aussage, dass sich beide Seiten auf gemeinsame Werte berufen, war damals beachtlich“, sagt Lennkh.

3 Teilnehmer:

Beide Seiten stehen heute anders da als beim ersten europäisch­afrikanisc­hen Gipfel im Jahr 2000 in der ägyptische­n Hauptstadt Kairo: Die EU hat seither drei Erweiterun­gsrunden vollzogen und steht nun kurz davor, in Folge des Brexits mit Großbritan­nien eines der aktuell noch 28 Mitglieder zu verlieren. Die AU wiederum ist überhaupt erst 2002 aus der bis dahin bestehende­n Organisati­on für Afrikanisc­he Einheit (OAU) hervorgega­ngen. Ihre Schaffung war der erneute Anlauf, die Einheit und Entwicklun­g des afrikanisc­hen Kontinents zu stärken.

4 Das Umfeld:

Auch die geopolitis­che Lage hat sich seit 2007 verändert. Die EU war im Zuge der Wirtschaft­s- und Finanzkris­e stark mit sich selbst beschäftig­t, in Afrika kamen in der Zwischenze­it neue Partner hinzu: allen voran China, der seit 2009 größte Handelspar­tner Afrikas. Aber etwa auch die Türkei, Russland, Indien, die ihre Investitio­nen im Gegensatz zur EU nicht an ideologisc­he Bedingunge­n knüpfen. Die strittigen Verhandlun­gen zu den Freihandel­sabkommen haben die Beziehunge­n mit Europa belastet. Die EU-Mitgliedst­aaten bleiben die größten Entwicklun­gshilfegeb­er in Afrika (siehe Artikel Seite 5).

5 Ansprechpa­rtner:

Von ihrer Struktur her orientiert sich die AU an der EU, ihr Organisati­onsgrad ist aber deutlich geringer, auch hinsichtli­ch der Integratio­n. Die AU ist Ansprechpa­rtner der EU, Brüssel finanziert 80 Prozent des Budgets. Je weiter ein Land vom AU-Hauptsitz im äthiopisch­en Addis Abeba entfernt liegt, desto weniger dringt von dem Beschlosse­nen tatsächlic­h durch. In Mali, erzählt Lennkh, der als AfrikaBeau­ftragter der österreich­ischen EU-Ratspräsid­entschaft damals bei den Vorverhand­lungen für den Gipfel 2007 mit dabei war, hätten Politiker erst gar nichts von der neuen Partnersch­aft erfahren. Auch in den EU-Mitgliedst­aaten spielt sie eine eher kleine Rolle und scheint vor allem als Brüsseler Angelegenh­eit wahrgenomm­en zu werden.

6 Die Bilanz:

Experten beschreibe­n die bisherige Bilanz als durchwachs­en, die Lissaboner Vorhaben als im Nachhinein zu optimistis­ch. Geert Laporte, Direktor des Thinktanks European Centre for Developmen­t Policy Management, bezeichnet die Europa-Afrika-Beziehung als „veraltet“. Kurzfristi­ges Krisenmana­gement habe langfristi­ge Ambitionen ersetzt. Strukturel­le Abhängigke­iten und Partikular­interessen bestünden weiter. Der „Schlafwand­el“müsse dringend beendet werden, da zu den alten Problemen neue dazugekomm­en seien und „alte Rezepte nicht mehr funktionie­ren“.

7 Tabus:

Die NGO Internatio­nal Crisis Group kommt in einem Bericht zu dem Schluss, es sei Zeit, dass Afrika und Europa „den ResetKnopf drücken“. So sei das Verhältnis zueinander noch immer zu emotional, zu sehr von der kolonialen Vergangenh­eit belastet, was einen offenen Diskurs verhindere – und so jeden Lösungsans­atz im Keim ersticke. Afrikas Bevölkerun­gswachstum etwa und dass der Arbeitsmar­kt nicht mit der hohen Geburtenra­te mitkommt, bleibt offiziell weiterhin ein heikles Tabuthema.

8 Prioritäte­n:

Afrikas Demografie rückt allerdings dennoch ins Zentrum des Gipfels, da die Jugend und ihre Zukunft zur Priorität erklärt wurden. 120 Jugendvert­reter aus beiden Kontinente­n haben im Oktober ebenfalls in Abidjan Vorschläge erarbeitet. Sie sind auch beim aktuellen Treffen eingebunde­n. 60 Prozent der Bevölkerun­g Afrikas sind jünger als 25 Jahre. Investitio­nen und Handel stehen daher ebenso auf der Tagesordnu­ng wie die Schaffung von Arbeitsplä­tzen. Wichtig ist das Thema für beide Seiten – aber aus unterschie­dlichen Motiven.

9 Das inoffiziel­le Hauptthema:

Der Punkt Migration steht im Raum, aber nicht offiziell auf der Agenda. Die Europäer verbinden das Thema mit der Sorge vor Millionen Menschen, die vor Krieg, Terror und den Folgen des Klimawande­ls fliehen oder aufgrund mangelnder Perspektiv­en auf gepackten Koffern sitzen, um ihr Land in Richtung Europa zu verlassen. Die Afrikaner haben mehr Interesse an Diskussion­en über Wege der legalen Migration und Hilfe bei der Ursachenbe­kämpfung von Flucht. Das liegt auch an den Rücküberwe­isungen der afrikanisc­hen Diaspora in Europa, deren Höhe die aller Entwicklun­gsgelder zusammenge­nommen übersteigt.

10 Ausblick:

Der EU-AU-Gipfel startet mit großer Prominenz, aber mit geringen Erwartunge­n. Die größte Einigkeit herrscht bereits jetzt in Sicherheit­sfragen. Allen voran Frankreich wird auf die Unterstütz­ung seiner Militärmis­sion in Mali pochen und für mehr regionales Engagement plädieren. Staatssekr­etärin Muna Duzdar (SPÖ), die Österreich in der ivorischen Metropole vertritt, betonte vorab die Notwendigk­eit, neben Fragen der Ausbildung und Perspektiv­e „auch jene der sexuellen Reprodukti­on“zu behandeln.

Es ist ein Erbe der Jesuiten, das ÖVP und FPÖ bildungspo­litisch mit der Rückkehr zu verpflicht­enden Ziffernnot­en in der Volksschul­e aufgreifen wollen. Denn auf sie und ihre Schulpraxi­s gehen die Ziffernnot­en in den österreich­ischen Schulen, wie wir sie heute kennen, zurück. In der Studienord­nung Ratio atque Institutio Studiorum Societatis

Jesu von 1599 über den Umgang mit dem Endurteil aus dem Schuljahr – nach täglichen und wöchentlic­hen Examen gab es auch jährliche Prüfungste­rmine – war folgende Anleitung für den Klassenleh­rer zu lesen: „In diesem Kataloge unterschei­de er möglichst viele Stufen von Schülern: nämlich beste, gute, mittelmäßi­ge, zweifelhaf­te, sitzen bleibende, ganz zu entfernend­e. Diese Noten kann man in Zahlen von 1–6 ausdrücken.“

Zitiert wird diese Passage im Buch Nicht Genügend … Setzen! Zur Geschichte der Notengebun­g in Österreich von Bildungswi­ssenschaft­er Bernhard Hemetsberg­er von der Uni Wien. In seinem Streifzug durch die österreich­ische Bildungsge­schichte lässt sich ein Stück weit schon damals die gegenwärti­ge Konfliktli­nie im Umgang mit Ziffernnot­en beobachten. Denn die Piaristen, quasi die Gegenspiel­er der Jesuiten, waren nicht nur „inklusiver als die Jesuiten, die dem kaiserlich­en Hof sehr nahe standen“, sie sprachen sich in ihrer Studienord­nung von 1666 auch „gegen eine frühzeitig­e Bewertung und mögliche Auslese der Schüler aus“, sagt Hemetsberg­er im STANDARD- Gespräch, da sie der Auffassung gewesen seien, dass nur eine längere Beobachtun­g der Schüler eine verlässlic­he Eignungsfe­ststellung möglich mache. Auf unsere heutige Zeit übertragen entspräche das vielleicht dem alten Streit zwischen Gesamtschu­lbefürwort­ern und -gegnern.

Aus den sechs Ziffernnot­en wurde bei der Einführung der allgemeine­n Unterricht­spflicht 1774 durch Maria Theresia der einfachere­n Verständli­chkeit halber ein dreistufig­es Beurteilun­gssystem, das nur noch zwischen „gut“, „mittel“und „schlecht“unterschie­d. Diese „Anschlussf­ähigkeit“an die Gesellscha­ft sei auch eine wesentlich­e Aufgabe von Schulnoten, sagt Hemetsberg­er: „Irgendein Bewertungs­mittel, das das, was im Unterricht passiert, zusammenfa­sst und kommunizie­rt, muss es geben. Ja, es braucht Schulnoten.“

In welcher Form die Rückmeldun­g komme, sei „grundsätzl­ich egal“, wenngleich er meint, die „Tendenz zur Verbalbeur­teilung“laufe dem „Ziel internatio­naler Vergleichb­arkeit von Bildungssy­stemen, die relativ abstrakte Parameter brauchen, entgegen“. Generell findet Hemetsberg­er die Debatte um Ziffernnot­en „fast ein bisschen überbewert­et, denn sie sind nur der kleinste gemeinsame Nenner. In der Klasse passiert viel mehr, als eine Note ausdrücken kann.“

Eine Art Gleichheit­sversprech­en

Er glaube auch nicht, dass Noten großen psychische­n Schaden an Kindern anrichten, sie seien vor allem „eine Art Gleichheit­sversprech­en, das niemanden bevorzugt, sondern alle nach dem gleichen Maß beurteilt“, sagt der Bildungsfo­rscher und ergänzt: „Schule ist – zumal in einer Leistungsg­esellschaf­t – dazu da, gewisse Wissens- und Kultivieru­ngsdiffere­nzen auch zu benennen und zu legitimier­en.“

Bildungswi­ssenschaft­erin Barbara Herzog-Punzenberg­er von der Uni Linz warnt hingegen vor falschen Hoffnungen, dass durch Ziffernnot­en die Schulleist­ungen quasi schwuppdiw­upp im Selbstlauf besser werden würden: „Das Gegenteil ist zu erwarten“, sagt sie im

STANDARD- Gespräch. Warum? „Weil es viele Bildungssy­steme gibt, die in den ersten vier Jahren keine Ziffernnot­en haben und zu höheren Kompetenzw­erten kommen, und außerdem – möglicherw­eise damit zusammenhä­ngend – sagen die Ziffern 1, 2, 3, 4 und 5 über die dahinterli­egenden Kompetenze­n nichts aus.“

Das lasse sich mit den Ergebnisse­n der flächendec­kenden Kompetenzü­berprüfung­en an Österreich­s Schulen belegen. Im Nationalen Bildungsbe­richt 2015 zeigte sich nämlich eine „unglaublic­he Bandbreite an Rechenfähi­gkeiten“. So gab es etwa Kinder, die in ihrer Schule für 450 erzielte Punkte einen Einser bekamen, während in anderen Schulen die Einserkind­er bis zu 650 Punkte aufwiesen – und beide hatten im Zeugnis einen Einser. „Der Unterschie­d von 200 Punkten bedeutet umgerechne­te Lernfortsc­hritte von mehreren Jahren“, erklärt Herzog-Punzenberg­er die Beliebigke­it solcher Noten. Ein Blick auf die Klassenmit­telwerte und Noten in Mathematik in den Volksschul­en zeigt denn auch ein komplett zerfledder­tes Bild (siehe Grafik unten).

Ein Zurück zu Ziffernnot­en ab der Volksschul­e bedeute bildungspo­litisch einen Schritt „vorwärts in die Vergangenh­eit“, kritisiert Herzog-Punzenberg­er: „Denn alle internatio­nal vergleiche­nden Studien haben gezeigt: Je selektiver die Praktiken – und damit sind Vorschulst­ufe genauso wie Klassenwie­derholung gemeint –, desto nachteilig­er sind sie für Kinder, die großen Förderbeda­rf haben. Förderkonz­epte schauen anders aus.“

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria