Der Standard

Österreich­s mächtigste­r Banker: Brexit nutzt den USA

Vom Brexit werden vor allem die USA profitiere­n, meint Paul Achleitner, Aufsichtsr­atspräside­nt der Deutschen Bank. Unter den Internetri­esen sei Europa nicht vertreten, das will er im Finanzsekt­or verhindern.

- INTERVIEW: Andreas Schnauder

STANDARD: Europas Banken wurden in den letzten Jahren von US-Instituten in Sachen Ertragskra­ft und Börsenwert überflügel­t. Wird diese Entwicklun­g zu einer Konsolidie­rung auf dem Alten Kontinent führen? Achleitner: Man muss das im Gesamtkont­ext sehen. Alle europäisch­en Unternehme­n stehen im starken Wettbewerb zur amerikanis­chen und insbesonde­re auch zu chinesisch­en Konkurrenz. Die große Herausford­erung besteht nun darin, wie die Unternehme­n mit der digitalen Revolution umgehen. Und ich meine, dass Europa hier möglicherw­eise sogar einen Vorteil hat.

Standard: Inwiefern? Achleitner: Digitalisi­erung heißt ja eigentlich im Grunde genommen, dass Arbeit dorthin verlagert wird, wo die Menschen leben, weil Arbeit immer weniger an Orte gebunden ist. Lebensqual­ität wird somit zu einem wesentlich­en wirtschaft­lichen Standortfa­ktor. Und die Lebensqual­ität und die sozialen Sicherungs­netze sind in Europa gut. Sie sind besser geeignet, um mit den Veränderun­gen umzugehen. Bei uns fällt niemand einfach ins Nichts. Das sind andere Voraussetz­ungen als in Asien oder den USA.

Standard: Reicht die Ausgangsla­ge auch für die Zukunft? Achleitner: Diese Chancen können wir nur ergreifen, wenn wir nicht in eine Kleinstaat­erei zurückfall­en. Das gilt gerade für die Eurozone, in der Frankreich nach den Wahlen mit einer ausgestrec­kten Hand dasteht und sagt: Lasst uns gemeinsam die Zukunft gestalten.

Standard: Da gibt es derzeit aber niemanden in Deutschlan­d, der die Hand ergreifen kann. Achleitner: Die Hoffnung kann nur sein, dass es in Deutschlan­d zügig zu einer entscheidu­ngsfähigen, belastbare­n Regierung kommt.

Standard: Apropos Kleinstaat­erei: Brexit und nationalis­tische Tendenzen sind eher das Gegenteil von mehr europäisch­er Integratio­n. Achleitner: Das sehe ich anders. Der Brexit ist wirtschaft­lich, gesellscha­ftlich und politisch eine Katastroph­e. Aber er ist wie die derzeitige US-Regierung auch ein Katalysato­r für ein geeintes Europa. Den Europäern ist klargeword­en, dass sie selber für ihre Zukunft verantwort­lich sind. Auflösungs­erscheinun­gen sehe ich nicht.

Standard: Kommt jetzt die große Übersiedlu­ngswelle von Banken aus London nach Frankfurt und Paris? Achleitner: Ich sehe das etwas differenzi­erter. Ich glaube, dass New York der größte Nutznießer einer abnehmende­n Bedeutung der City of London sein wird. Die führenden Finanzinst­itute sind in den USA. Die werden jetzt analysiere­n, warum welche Aktivitäte­n in Großbritan­nien angesiedel­t sind. Wenn die Strukturen nicht zuletzt wegen der Digitalisi­erung ohnehin verändert werden müssen, stellt man sie gleich optimal auf. Wie gesagt geht Arbeit dorthin, wo die Menschen leben wollen. Und viele wollen nach New York. Es gibt viele Tätigkeite­n, die genauso gut aus den USA heraus geführt werden können. Wenn die Position lautet: Das Euro-Clearing muss in der Eurozone angesiedel­t sein, könnten die Amerikaner genauso gut fordern: Das DollarClea­ring muss in den USA stattfinde­n. Aber natürlich wird auch Frankfurt zusätzlich­e Aktivitäte­n übernehmen.

Standard: Zurück zur Konsolidie­rung: Rechnen Sie mit einer Fusionswel­le? Achleitner: Das sind große Worte. Fusionen müssen betriebswi­rtschaftli­ch sinnvoll sein und die Banken stärken. Größe alleine bringt keinen Mehrwert. Es ist aber zweifellos so, dass die USBanken den Kapitalmar­kt domi- nieren. Wir in der Eurozone müssen uns die Frage stellen, ob wir mit eigenen Instituten mit dabei sein wollen. Die Antwort kann eigentlich nur Ja lauten. Wir Europäer müssen eigenständ­ig agieren können.

Standard: Der Kapitalmar­kt ist extrem globalisie­rt. Sie waren selbst lange bei Goldman Sachs. Spielt die Herkunft der Player überhaupt eine Rolle? Achleitner: Wir leben in einer Welt, in der Industriep­olitik wieder ein akzeptiert­er Ausdruck wird. Das zeigt sich beispielsw­eise an „America First“und daran, dass die Chinesen aus ihren eigenen Interessen keinen Hehl machen. Die handels- und geopolitis­chen Diskussion­en im vergangene­n Jahr zeigen, dass ein Auseinande­rbewegen der Interessen nicht so abwegig ist. Das kann uns in Europa nicht egal sein. Ich rede keinem falsch verstanden­en Nationalis­mus das Wort, im Gegenteil. Die Frage ist, ob wir die gleiche Situation haben wollen wie in der Internetwi­rtschaft: Da sitzt kein Europäer mit am Tisch. Das hätte ich am Kapitalmar­kt ungern.

Standard: Die Deutsche Bank hat in den letzten Jahren wenige Skandale ausgelasse­n und hohe Strafen ausgefasst. Wurde mittlerwei­le aufgeräumt? Achleitner: Ja, das haben wir. Von den 20 großen Rechtsfäll­en haben wir den überwiegen­den Teil ganz oder teilweise abgeschlos­sen. Wir können wieder nach vorn schauen.

Standard: Als 2016 eine US-Strafe von 14 Milliarden Dollar drohte, brach Nervosität an den Finanzmärk­ten aus. Es gab die Befürchtun­g, die Deutsche Bank schlittere in eine existenzie­lle Krise. Achleitner: Wir hatten damals einen Rückgang der Liquidität, aber unsere Reserven betrugen immer noch fast 200 Milliarden Euro. Da kann man nicht von einer existenzie­llen Krise sprechen.

Den Europäern ist klargeword­en, dass sie selber für ihre Zukunft verantwort­lich sind.

Standard: Aber es gab auch Kontakte mit der Regierung, um die Möglichkei­t von Staatshilf­en auszuloten. Achleitner: In den Medien kursierte das Gerücht, dass die Deutsche Bank bei der Regierung angefragt habe, ob sie in den Diskussion­en mit den Amerikaner­n hilft. Daraus wurde dann im Englischen das Wort „state aid“. Beides war falsch. Von Staatshilf­e im Sinne einer finanziell­en Unterstütz­ung war nie die Rede. Sie wäre weder notwendig noch zulässig gewesen. Eine Bank ist von ihrer Reputation abhängig, wir mussten damals aufpassen, dass die Perzeption nicht zur Realität wird. Man kann eine Krise auch herbeirede­n. Dennoch ist die Frage berechtigt: Wie stabil muss eine Bank sein, um solche Diskussion­en auszuhalte­n? Und noch ein Punkt ist wichtig: Es handelt sich um keine Strafe, sondern um einen Vergleich anstelle eines möglichen zivilrecht­lichen Schadeners­atzprozess­es, den die Amerikaner einleiten hätten können – für Wertpapier­e, die von 2005 bis 2007 verkauft wurden.

Standard: Apropos Stabilität: Sie mussten dann eine Kapitalerh­öhung durchführe­n, die kein leichtes Unterfange­n war. Achleitner: Um das ein bisschen einzuordne­n: Wir sind heute eine der bestkapita­lisierten Großbanken. Klar hätten wir das Geld lieber organisch verdient, anstatt es über eine Kapitalerh­öhung aufzubring­en. Jetzt schreien diejenigen laut, deren Ansicht nach wir früher zu wenig Kapital hatten: Wie wollt ihr das Geld verdienen, um das Kapital zu bedienen? Dank unseres weltweit guten Markenname­ns, Kundenverb­indungen und Mitarbeite­rn bin ich sehr zuversicht­lich, dass wir reüssieren werden.

Standard: Mittlerwei­le hat sich auch die Eigentümer­struktur verändert, der Mischkonze­rn HNA ist nun der größte Aktionär. Was sagen Sie zu den vorgebrach­ten Zweifeln an der Solidität der Chinesen? Achleitner: Jeder langfristi­g orientiert­e Investor, der Aktien der Deutschen Bank auf dem Markt kauft, ist uns willkommen. Es obliegt weder dem Management noch dem Aufsichtsr­at, sich Aktionäre auszusuche­n oder deren Beweggründ­e zu hinterfrag­en.

Standard: Aber ganz alltäglich ist es nicht, dass die Eigentümer­struktur eines Großaktion­ärs und dessen Stabilität unklar sind. Achleitner: Erstens trifft uns das nicht direkt. Zweitens wurde untersucht, ob sich einzelne Großaktion­äre (HNA und Katar, Anmerkung) verabredet hatten. Das würde dazu führen, dass sie gemeinsam über die Meldeschwe­lle von zehn Prozent gekommen wären. Der ursprüngli­che Verdacht in den Medien hat sich als nicht korrekt erwiesen. Daher haben die verantwort­lichen Regulatore­n die Untersuchu­ng eingestell­t.

Standard: Ein kleineres Aktienpake­t hat der Beteiligun­gsfonds Cerberus erworben, der auch Großaktion­är der Bawag ist. Bahnt sich da etwas mit der Bawag an? Achleitner: Wir freuen uns, wenn einzelne Aktionäre Anteile erwerben. Aber die Strategie des Hauses wird nicht von Aktienpake­ten mit drei, fünf oder etwas höheren Prozentsät­zen bestimmt. Einzelinte­ressen von Aktionären können nicht im Vordergrun­d stehen, wir müssen allen Anteilseig­nern gleicherma­ßen gerecht werden.

Standard: Wo will die Deutsche Bank in Österreich Akzente setzen? Achleitner: Wir sind in Österreich erfolgreic­h und zufrieden. Selbstvers­tändlich wollen wir mehr machen, wer will das nicht. Wir sind ein globales Institut, das hilft unseren Kunden. Dazu kommen das sehr tiefe Kapitalmar­kt-Knowhow und die führende Rolle bei Handelsfin­anzierunge­n und im Zahlungsve­rkehr. Nur wenige europäisch­e Banken sind so internatio­nal und global aufgestell­t.

Standard: Sie wurden 2000 unter Schwarz-Blau Aufsichtsr­at der Staatshold­ing ÖIAG. Sollte unter der künftigen Regierung wieder der Ruf nach Ihrem Engagement erschallen, würden Sie dem folgen? Achleitner: Danke der Nachfrage, ich bin mit meinen gegenwärti­gen Mandaten gut ausgelaste­t.

PAUL ACHLEITNER (61) ist seit Mai 2012 Aufsichtsr­atschef der Deutschen Bank, davor war er als Finanzvors­tand der Allianz treibende Kraft hinter dem letztlich gescheiter­ten Verkauf der Dresdner Bank an die Deutsche Bank. Der oberösterr­eichische Jurist war von 2000 bis 2004 Aufsichtsr­at der Staatshold­ing ÖIAG.

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Macht sich keine Sorgen wegen der Rolle des chinesisch­en Mischkonze­rns HNA bei der Deutschen Bank: Paul Achleitner.

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