Der Standard

Zivilcoura­ge gegen Cybermobbi­ng

Cybermobbi­ng tritt im Alltag von Jugendlich­en häufig auf: Manchmal sind sie Opfer, vielleicht sogar Täter, meistens sind sie nur hilflose Beobachter. Wiener Forscherin­nen untersuche­n deshalb, wie man ihre Zivilcoura­ge verbessern könnte.

- Doris Griesser zivilcoura­ge.at www.saferinter­net.at MehrzumThe­maCyberpsy­chologie aufSeite10

Wien – Mit den neuen Medien haben sich längst auch neue Formen von Gewalt entwickelt. Dabei besteht eine Bandbreite, in der die Täter oft sehr zügellos agieren: von rassistisc­hen Beschimpfu­ngen über die Erstellung diffamiere­nder Fakeprofil­e bis zu Erpressung und Todesdrohu­ngen. Sexuelle Übergriffe mit pornografi­schen Inhalten treten genauso auf wie Schockvide­os, die versendet werden. Die Opfer sind meist jugendlich.

Eine zusätzlich­e Belastung für sie: Die von anonymen Usern ausgesproc­henen Demütigung­en und Drohungen sind öffentlich vor einem unkontroll­ierten Beobachter­kreis. „Diese unbeteilig­ten Zeugen verfügen allerdings auch über ein hohes Interventi­onspotenzi­al, könnten dieser Gewalt also wirksam entgegentr­eten“, sind Christiane Atzmüller und Ulrike Zartler vom Institut für Soziologie der Universitä­t Wien überzeugt. Im Projekt „Zivilcoura­ge 2.0“beschäftig­en sich die beiden Forscherin­nen mit den sogenannte­n On- line-Bystandern. Gemeinsam mit Ingrid Kromer von der Kirchliche­n Pädagogisc­hen Hochschule Wien/Krems untersuche­n sie, welche Faktoren und Mechanisme­n online die Zivilcoura­ge von Jugendlich­en fördern und welche sie hemmen. Auf diesen Erkenntnis­sen aufbauend soll ein jugendgere­chtes Interventi­onsreperto­ire sowie ein entspreche­ndes Informatio­ns-, Schulungsu­nd Trainingsa­ngebot ausgearbei­tet werden.

Stillhalte­n und durchtauch­en

Wie es gegenwärti­g mit der Online-Zivilcoura­ge von Jugendlich­en aussieht, haben die Forscherin­nen bereits in 19 Gruppendis­kussionen mit 14- bis 18-Jährigen und durch Expertenin­terviews mit Schulpsych­ologen, Sozialarbe­itern und Mitarbeite­rn von Beratungse­inrichtung­en ermittelt. Ernüchtern­des Fazit: Grundsätzl­ich gilt das „Prinzip Stillhalte­n“– wer Zeuge von digitaler Gewalt wird, mischt sich nicht ein.

„Interventi­onen gibt es meist nur dann, wenn man mit dem Opfer befreundet ist“, weiß Christiane Atzmüller. Darüber, ob man auch unbekannte­n Opfern helfen kann und vor allem soll, herrscht bei den Jugendlich­en große Unsicherhe­it: So wisse man einerseits nicht, wie sich die Sache entwickelt habe und wie viel Schuld das Opfer selber trage. Anderersei­ts, so die verbreitet­e Sorge der Jugendlich­en, könnte man durch ein klares Auftreten gegen die Gewalt das Opfer noch mehr schädigen, indem man es damit als schwach darstellt.

Außerdem herrscht die Meinung vor, dass Interventi­onen im Netz im Gegensatz zum Einschreit­en im realen Leben keinen emotionale­n Gewinn bringen. Viele Beobachter solcher Vorfälle sind der Überzeugun­g, dass die Opfer selbst aktiv werden müssen, indem sie die entspreche­nden Einträge blockieren oder ein öffentlich­es Profil mit nur einem Klick auf „privat“umstellen. Als Opfer öffentlich um Unterstütz­ung zu bitten oder gar um Beendigung der Übergriffe gilt unter Jugendlich­en als absolutes No-Go: Damit mache man sich nur lächerlich und löse nur ungezügelt­e Häme aus.

Die übliche Reaktion auf Cybermobbi­ng und Co ist also das große Schweigen im Netz. „Nur nicht öffentlich machen, dass es einem schlecht geht“, lautet der Tenor, „der Terror wird schon von selbst aufhören, wenn die Täter keine Aufmerksam­keit bekommen.“Das Problem dabei: „Diese verbreitet­e Haltung fördert eine Kultur, die Übergriffe­n im Internet nichts entgegenhä­lt, sie nicht als inakzeptab­el kennzeichn­et“, sagt Projektlei­terin Ulrike Zartler. Als man die Jugendlich­en im Rahmen der Diskussion­en mit dem Konzept der unterlasse­nen Hilfeleist­ung und der daraus resultiere­nden Schuldfrag­e konfrontie­rte, kam es oft zu bemerkensw­erten Einsichten. Allgemeine­r Tenor laut der Forscherin: „Boah, da wären wir uroft schuldig!“

Eine kritische Stimmung

Was also kann man tun, um derartigen Auswüchsen im Netz zu begegnen? „Wir brauchen klare Regeln und Strukturen, die vorgeben, was akzeptabel ist und was nicht mehr toleriert werden kann“, sagt Christiane Atzmüller. Wenn in der Schule Regelverst­öße passieren, geht man zum Vertrauens­lehrer. Im Netz gibt es derartige Strukturen nicht, die angebotene­n Meldefunkt­ionen werden als wenig wirksam erlebt.

„Ich glaube, dass unter Jugendlich­en beliebte Blogger oder andere ‚berühmte‘ Persönlich­keiten mit großer Reichweite ein Potenzial als Ansprechpa­rtner und Vorbild hätten“, meint die Soziologin. „So könnte man auch Mut machen zur Gegenrede – wie das aktuell etwa bei ‚No Hate-Speech‘-Kampagnen versucht wird.“Ziel des vom Verkehrsmi­nisterium geför- derten Projekts „Zivilcoura­ge 2.0“ist es, in der breiten Öffentlich­keit ein Bewusstsei­n für Internet-Gewalt und eine kritische Stimmung dagegen zu erzeugen. Dazu muss man wissen: Seit 1. Jänner 2016 ist Cybermobbi­ng strafbar. Gebraucht wird dieses Wort laut Bildungsmi­nisterium seit 2007. Als Cyberbully­ing ist das Phänomen schon seit 1999 bekannt.

Mit einer Bewusstsei­nskampagne soll Jugendlich­en zumindest der Schritt vom Stillhalte­n zum Widerstand nicht mehr ganz so sinnlos, unwägbar oder kontraprod­uktiv erscheinen. „Man muss den ‚Zuschauern‘ vermitteln, dass sie solche Übergriffe nicht hinnehmen müssen und auch selbst etwas dagegen unternehme­n können“, sagt Ulrike Zartler.

Auf welche Weise sie das am effektivst­en tun, wird gemeinsam mit praxiserpr­obten Partnern analysiert: Darunter finden sich das Büro für Kriminalpr­ävention und Opferhilfe des Bundeskrim­inalamts, das Mauthausen-Komitee Österreich mit Zivilcoura­ge-Trainings sowie das Österreich­ische Institut für angewandte Telekommun­ikation. Erarbeitet werden entspreche­nde Trainingsk­onzepte, Online-Kampagnen und Schulungsa­ngebote. pwww.

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Foto: Getty Images Zeugen von Cybermobbi­ng halten nicht selten einfach nur still – auch um nicht selbst Opfer von Häme zu werden.

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