Wo Krankenkassenfusionen an Grenzen stoßen
Türkis-Blau hat nur in gewissen Bereichen Spielraum bei Zusammenlegungen – Widerstand wächst
Wien – Folgen die Parteichefs den Ideen der türkis-blauen Gesundheitsverhandler, steht ein umfassender Umbau des heimischen Gesundheitswesens bevor. Die neun Gebietskrankenkassen sollen fusioniert werden, ebenso die Sozialversicherungsanstalten der Gewerbetreibenden und der Bauern. Diese Unselbstständigenrespektive Selbstständigenkassen würden dann auch gleich die Unfallversicherung übernehmen – die AUVA in ihrer bisherigen Form gebe es also nicht mehr.
Zudem steht, wie berichtet, zur Diskussion, die Selbstverwaltung zu beschneiden und der Politik die Möglichkeit zu geben, einen Teil der Posten in den Sozialversicherungsgremien zu besetzen, wobei es hier aber noch keinen akkordierten Vorschlag gibt.
Stellt sich die Frage: Können ÖVP und FPÖ diese Ideen einfach umsetzen oder braucht es dafür eine Verfassungsmehrheit, also die Zustimmung von SPÖ oder Neos?
Zunächst: Bei der Reduktion der Träger hat die künftige Regierung durchaus Möglichkeiten. Darauf macht der Salzburger Sozialrechtsexperte Walter Pfeil in einem aktuellen Fachartikel aufmerksam. Es gebe „keine verfassungsgesetzlich verankerte Bestandsgarantie“für Krankenversicherungsträger, die nach Berufsgruppen oder regional oder bundesweit organisiert sind. Entscheidend sei das „Sachlichkeitsgebot“, wobei dem Gesetzgeber aber ein „weiter Gestaltungsspielraum“zukomme.
Länder zuständig
Der Plan, die Krankenfürsorgeanstalten der Länder und Gemeinden an die Beamtenversicherungsanstalt anzudocken, ist aber rechtlich schwieriger umzusetzen. Da es sich hier um eine Landeskompetenz handle, wäre eine Eingliederung dieser Personen in das Sozialversicherungssystem „mit hoher Wahrscheinlichkeit unsachlich und damit verfassungswidrig“. Grundsätzlich hält Pfeil aber je einen Träger für Unselbstständige, Selbstständige und öffentlich Bedienstete für verfassungsrechtlich denkbar.
Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer sieht vor allem jene Pläne kritisch, wonach die Regierung einen Teil der Posten besetzen könnte. Das würde nur unter Aufgabe der in der Verfassung verankerten Selbstverwaltung gehen. Denn unter diese würde das Recht der Versicherungsgemeinschaft fallen, ihre Gremien selbst zu besetzen. Der staatliche Einfluss werde damit zurückgedrängt. „Eine Selbstverwaltung ohne Autonomie geht rechtlich nicht“, sagte Mayer zum STANDARD. Die Reform sei eine richtungsweisende Entscheidung zwischen Selbstverwaltung und staatlichem Gesundheitssystem, bei Letzterem entscheide eine zentrale Behörde, die politisch besetzt sein kann, über Beiträge und Leistungen.
Politisch sind die Fusionspläne äußerst umstritten. Die Landesgesundheitsreferenten sowie die Vorarlberger Gebietskrankenkasse haben bereits Widerstand angekündigt. Dem Vernehmen nach wird auch bereits an akkordierten Maßnahmen von Arbeiterkammer, Sozialversicherung und Ärztekammer gearbeitet.
Irritiert ist man auch in der Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA). Obmann Anton Ofner hält eine eigene Unfallversicherung für unverzichtbar und meint, dass eine „Zusammenlegung über Systemgrenzen auch wirtschaftlich nicht sinnvoll“sei. Man könne dabei „nichts einsparen“. Es bestehe die Gefahr, dass bewährte Dinge über Bord geworfen werden und mit Beliebigkeit behandelt werden. „Anscheinend befinden wir uns im verlängerten Wahlkampf“, ergänzt er.
Ähnlich äußerte sich der ÖGB. Präsident Erich Foglar warnte vor einer „Zerschlagung der Sozialversicherung“, der bisherige Vorschlag sei „unausgegoren“.