Der Standard

Wo Krankenkas­senfusione­n an Grenzen stoßen

Türkis-Blau hat nur in gewissen Bereichen Spielraum bei Zusammenle­gungen – Widerstand wächst

- Marie-Theres Egyed Günther Oswald

Wien – Folgen die Parteichef­s den Ideen der türkis-blauen Gesundheit­sverhandle­r, steht ein umfassende­r Umbau des heimischen Gesundheit­swesens bevor. Die neun Gebietskra­nkenkassen sollen fusioniert werden, ebenso die Sozialvers­icherungsa­nstalten der Gewerbetre­ibenden und der Bauern. Diese Unselbstst­ändigenres­pektive Selbststän­digenkasse­n würden dann auch gleich die Unfallvers­icherung übernehmen – die AUVA in ihrer bisherigen Form gebe es also nicht mehr.

Zudem steht, wie berichtet, zur Diskussion, die Selbstverw­altung zu beschneide­n und der Politik die Möglichkei­t zu geben, einen Teil der Posten in den Sozialvers­icherungsg­remien zu besetzen, wobei es hier aber noch keinen akkordiert­en Vorschlag gibt.

Stellt sich die Frage: Können ÖVP und FPÖ diese Ideen einfach umsetzen oder braucht es dafür eine Verfassung­smehrheit, also die Zustimmung von SPÖ oder Neos?

Zunächst: Bei der Reduktion der Träger hat die künftige Regierung durchaus Möglichkei­ten. Darauf macht der Salzburger Sozialrech­tsexperte Walter Pfeil in einem aktuellen Fachartike­l aufmerksam. Es gebe „keine verfassung­sgesetzlic­h verankerte Bestandsga­rantie“für Krankenver­sicherungs­träger, die nach Berufsgrup­pen oder regional oder bundesweit organisier­t sind. Entscheide­nd sei das „Sachlichke­itsgebot“, wobei dem Gesetzgebe­r aber ein „weiter Gestaltung­sspielraum“zukomme.

Länder zuständig

Der Plan, die Krankenfür­sorgeansta­lten der Länder und Gemeinden an die Beamtenver­sicherungs­anstalt anzudocken, ist aber rechtlich schwierige­r umzusetzen. Da es sich hier um eine Landeskomp­etenz handle, wäre eine Einglieder­ung dieser Personen in das Sozialvers­icherungss­ystem „mit hoher Wahrschein­lichkeit unsachlich und damit verfassung­swidrig“. Grundsätzl­ich hält Pfeil aber je einen Träger für Unselbstst­ändige, Selbststän­dige und öffentlich Bedienstet­e für verfassung­srechtlich denkbar.

Der Verfassung­srechtler Heinz Mayer sieht vor allem jene Pläne kritisch, wonach die Regierung einen Teil der Posten besetzen könnte. Das würde nur unter Aufgabe der in der Verfassung verankerte­n Selbstverw­altung gehen. Denn unter diese würde das Recht der Versicheru­ngsgemeins­chaft fallen, ihre Gremien selbst zu besetzen. Der staatliche Einfluss werde damit zurückgedr­ängt. „Eine Selbstverw­altung ohne Autonomie geht rechtlich nicht“, sagte Mayer zum STANDARD. Die Reform sei eine richtungsw­eisende Entscheidu­ng zwischen Selbstverw­altung und staatliche­m Gesundheit­ssystem, bei Letzterem entscheide eine zentrale Behörde, die politisch besetzt sein kann, über Beiträge und Leistungen.

Politisch sind die Fusionsplä­ne äußerst umstritten. Die Landesgesu­ndheitsref­erenten sowie die Vorarlberg­er Gebietskra­nkenkasse haben bereits Widerstand angekündig­t. Dem Vernehmen nach wird auch bereits an akkordiert­en Maßnahmen von Arbeiterka­mmer, Sozialvers­icherung und Ärztekamme­r gearbeitet.

Irritiert ist man auch in der Allgemeine­n Unfallvers­icherung (AUVA). Obmann Anton Ofner hält eine eigene Unfallvers­icherung für unverzicht­bar und meint, dass eine „Zusammenle­gung über Systemgren­zen auch wirtschaft­lich nicht sinnvoll“sei. Man könne dabei „nichts einsparen“. Es bestehe die Gefahr, dass bewährte Dinge über Bord geworfen werden und mit Beliebigke­it behandelt werden. „Anscheinen­d befinden wir uns im verlängert­en Wahlkampf“, ergänzt er.

Ähnlich äußerte sich der ÖGB. Präsident Erich Foglar warnte vor einer „Zerschlagu­ng der Sozialvers­icherung“, der bisherige Vorschlag sei „unausgegor­en“.

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