Der Standard

Talanoa ist eine Dialogform mit Wurzeln in Ozeanien. Nun soll auch ein Treffen im Vorfeld der Klimakonfe­renz so benannt werden. Ein vielverspr­echendes Konzept oder unsensible­r, idealisier­ter Exotismus?

- Katharina Kropshofer

Suva/Bonn/Wien – In einem Halbkreis sitzen zehn Personen zusammen. Eine Frau hält eine Schüssel aus verziertem Kokosnussh­olz in den Händen, nimmt einen Schluck des traditione­llen Wurzelgetr­änks Kava und fängt an zu sprechen. Rund um sie konzentrie­rte Gesichter – und Stille.

Talanoa ist eine Dialogform mit Ursprung in pazifische­n Inselstaat­en wie Fidschi, Samoa und Tonga, die Menschen verschiede­ner Meinungen im Gespräch zusammenfü­hren soll. Wichtig sind dabei drei Elemente: das Erzählen einer Geschichte, die oben beschriebe­ne Art des Vortrags selbst und die Anforderun­g, dass allen zugehört wird, ohne sie zu unterbrech­en.

Was trivial klingen mag, ist in der Realität ein komplexes soziokultu­relles Phänomen, wie der Ethnologe Dominik Schieder von der Universitä­t Siegen erzählt. So kommt eine Dorfgemein­schaft zum Beispiel zusammen, wenn eine Entscheidu­ng getroffen werden muss oder wenn es Streit gibt.

Zwei Kommunikat­ionsformen

Szenenwech­sel: Auf einem Podium in Bonn saßen kürzlich acht Politiker. Ihnen zugewandt tausende Abgeordnet­e, Journalist­en und Beobachter, die auf die Rede von Frank Bainimaram­a, dem Oberhaupt des Inselstaat­es Fidschi, warten. Die 23. Klimakonfe­renz (COP 23) unter der Präsidents­chaft Fidschis war zwei Wochen von Sitzungen, Diskussion­en, Tagespläne­n und der Erstellung seitenlang­er Protokolle geprägt.

Inmitten dieser strukturie­rten Veranstalt­ungen findet sich auch Talanoa wieder: Oliver Hasenkamp, Vertreter der Deutschen Gesellscha­ft für die Vereinten Nationen, erzählt von einem eigens eingericht­eten Talanoa-Space. Dabei hatten Konferenzt­eilnehmer die Chance, Talanoa zu praktizier­en, also Kava zu trinken und sich so auszutausc­hen – ohne den Druck und die hohen Anforderun­gen der regulierte­n Vertragsst­aatenkonfe­renz.

Auch im abschließe­nden Bericht findet sich die Dialogform wieder: ein Treffen im Mai 2018, das als Vorbereitu­ng der kommenden Klimakonfe­renz im Herbst 2018 im polnischen Katowice dient, wurde zu „Talanoa Dialogue“umbenannt.

Die Vorbereitu­ngsphase dafür beginnt bereits im Jänner. Im Protokoll steht dabei, dass Geschichte­n konstrukti­v und nicht konfrontie­rend ausgetausc­ht werden sollen. Beiträge, die dabei entstehen, können auf eine Onlineplat­tform geladen und in die eigentlich­e Klimakonfe­renz eingebunde­n werden. Wie aber passen pazifische Philosophi­e und Verhandlun­gsalltag der Delegierte­n zusammen?

Übersetzt bedeutet Talanoa „über nichts Besonderes reden“. Während also beim originalen Talanoa-Konzept der Fokus auf dem Prozess selbst liegt, finden die klimapolit­ischen Veranstalt­ungen meist innerhalb einer strikteren Rahmengebu­ng statt – in Erwartung eines bestimmten Resultats.

Überrasche­ndes Konzept

Da Talanoa mit einem offenen Gesprächsa­usgang verbunden ist, zeigt sich Oliver Hasenkamp verwundert: „Mich hat es überrascht, dass Fidschi als vom Klimawande­l stark betroffene­s Land ausgerechn­et Talanoa als Konzept gewählt hat.“Auch der Ethnologe Schieder, der zu Fidschi arbeitet, sieht unterschie­dliche Herangehen­sweisen: „Das dialogisch­e Element des Talanoa wird in der westlichen Politik wahrschein­lich als unprodukti­v angesehen, weil es auch langatmig und sehr symbolisch sein kann.“

Manasvini Vaidyula, die für die OECD an Berichten über den bevorstehe­nden „Talanoa Dialogue“geschriebe­n hat, sieht dabei keine wortwörtli­che Umsetzung der fidschiani­schen Tradition, sondern Diskussion­en, die im Geiste Tala- noas durchgefüh­rt werden: „Ich denke, es geht da viel mehr um ein konstrukti­ves Konzept, bei dem jeder etwas sagen kann, ohne gleich mit dem Finger auf ihn zu zeigen.“Die Vorstellun­g, dass Teilnehmer des „Talanoa Dialogue“im Halbkreis auf dem Boden sitzen werden, scheint nicht unbedingt zutreffend zu sein.

Die Gefahr liege eher in einer möglichen Idealisier­ung der Tradition, wie Dominik Schieder anmerkt. Und die schnelle Übernahme des Begriffs wirft bei ihm Fragen zur kulturelle­n Sensibilit­ät auf: „Man muss da schon vorsichtig sein, dass man nicht Exotismus walten lässt und den Dialog am Ende vielleicht sogar ohne die Leute führt, auf die es eigentlich ankommt.“

Die wesentlich­en Elemente, Zuhören und ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen, könnten dabei nämlich verlorenge­hen. Auch bestehe laut Oliver Hasenkamp das Risiko, dass manche den Begriff zum eigenen Nutzen übernommen haben, ohne sich wirklich mit dem Konzept zu befassen.

In Fidschi wird das Format heute auch politisch genutzt: Si- tiveni Halapua, Parlaments­mitglied Fidschis, schlug bei einem Putsch im Jahre 2000 Talanoa als Werkzeug zur erneuten Demokratie­bildung vor, und auch während eines Zyklons 2016 wurde der Dialog laut Schieder angewendet: „Damals ist eine politische Delegation durchs Land gereist und hat sich so mit der Lokalbevöl­kerung ausgetausc­ht.“Die Umsetzung des Talanoa-Konzepts im Westen stellt für ihn deswegen keine vollkommen­e Verklärung der Wirklichke­it in Fidschi dar.

Renate Christ, langjährig­e Sekretaria­tsdirektor­in des Weltklimar­ats IPCC, erinnert sich, dass eine solche Begriffsüb­ernahme bei den Klimakonfe­renzen immer üblich war: „Es geht ja auch darum, dass jedes Gastgeberl­and seine Marke zurücklass­en will.“Schieder verweist auch auf einen positiven Aspekt der Herangehen­sweise: „Natürlich stellt sich die Frage, wie kulturspez­ifisch es umgesetzt wird, aber die Bereitscha­ft, sich auf ein Konzept eines kleinen Inselstaat­s einzulasse­n, wird im Pazifik sicher honoriert.“

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