Talanoa ist eine Dialogform mit Wurzeln in Ozeanien. Nun soll auch ein Treffen im Vorfeld der Klimakonferenz so benannt werden. Ein vielversprechendes Konzept oder unsensibler, idealisierter Exotismus?
Suva/Bonn/Wien – In einem Halbkreis sitzen zehn Personen zusammen. Eine Frau hält eine Schüssel aus verziertem Kokosnussholz in den Händen, nimmt einen Schluck des traditionellen Wurzelgetränks Kava und fängt an zu sprechen. Rund um sie konzentrierte Gesichter – und Stille.
Talanoa ist eine Dialogform mit Ursprung in pazifischen Inselstaaten wie Fidschi, Samoa und Tonga, die Menschen verschiedener Meinungen im Gespräch zusammenführen soll. Wichtig sind dabei drei Elemente: das Erzählen einer Geschichte, die oben beschriebene Art des Vortrags selbst und die Anforderung, dass allen zugehört wird, ohne sie zu unterbrechen.
Was trivial klingen mag, ist in der Realität ein komplexes soziokulturelles Phänomen, wie der Ethnologe Dominik Schieder von der Universität Siegen erzählt. So kommt eine Dorfgemeinschaft zum Beispiel zusammen, wenn eine Entscheidung getroffen werden muss oder wenn es Streit gibt.
Zwei Kommunikationsformen
Szenenwechsel: Auf einem Podium in Bonn saßen kürzlich acht Politiker. Ihnen zugewandt tausende Abgeordnete, Journalisten und Beobachter, die auf die Rede von Frank Bainimarama, dem Oberhaupt des Inselstaates Fidschi, warten. Die 23. Klimakonferenz (COP 23) unter der Präsidentschaft Fidschis war zwei Wochen von Sitzungen, Diskussionen, Tagesplänen und der Erstellung seitenlanger Protokolle geprägt.
Inmitten dieser strukturierten Veranstaltungen findet sich auch Talanoa wieder: Oliver Hasenkamp, Vertreter der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, erzählt von einem eigens eingerichteten Talanoa-Space. Dabei hatten Konferenzteilnehmer die Chance, Talanoa zu praktizieren, also Kava zu trinken und sich so auszutauschen – ohne den Druck und die hohen Anforderungen der regulierten Vertragsstaatenkonferenz.
Auch im abschließenden Bericht findet sich die Dialogform wieder: ein Treffen im Mai 2018, das als Vorbereitung der kommenden Klimakonferenz im Herbst 2018 im polnischen Katowice dient, wurde zu „Talanoa Dialogue“umbenannt.
Die Vorbereitungsphase dafür beginnt bereits im Jänner. Im Protokoll steht dabei, dass Geschichten konstruktiv und nicht konfrontierend ausgetauscht werden sollen. Beiträge, die dabei entstehen, können auf eine Onlineplattform geladen und in die eigentliche Klimakonferenz eingebunden werden. Wie aber passen pazifische Philosophie und Verhandlungsalltag der Delegierten zusammen?
Übersetzt bedeutet Talanoa „über nichts Besonderes reden“. Während also beim originalen Talanoa-Konzept der Fokus auf dem Prozess selbst liegt, finden die klimapolitischen Veranstaltungen meist innerhalb einer strikteren Rahmengebung statt – in Erwartung eines bestimmten Resultats.
Überraschendes Konzept
Da Talanoa mit einem offenen Gesprächsausgang verbunden ist, zeigt sich Oliver Hasenkamp verwundert: „Mich hat es überrascht, dass Fidschi als vom Klimawandel stark betroffenes Land ausgerechnet Talanoa als Konzept gewählt hat.“Auch der Ethnologe Schieder, der zu Fidschi arbeitet, sieht unterschiedliche Herangehensweisen: „Das dialogische Element des Talanoa wird in der westlichen Politik wahrscheinlich als unproduktiv angesehen, weil es auch langatmig und sehr symbolisch sein kann.“
Manasvini Vaidyula, die für die OECD an Berichten über den bevorstehenden „Talanoa Dialogue“geschrieben hat, sieht dabei keine wortwörtliche Umsetzung der fidschianischen Tradition, sondern Diskussionen, die im Geiste Tala- noas durchgeführt werden: „Ich denke, es geht da viel mehr um ein konstruktives Konzept, bei dem jeder etwas sagen kann, ohne gleich mit dem Finger auf ihn zu zeigen.“Die Vorstellung, dass Teilnehmer des „Talanoa Dialogue“im Halbkreis auf dem Boden sitzen werden, scheint nicht unbedingt zutreffend zu sein.
Die Gefahr liege eher in einer möglichen Idealisierung der Tradition, wie Dominik Schieder anmerkt. Und die schnelle Übernahme des Begriffs wirft bei ihm Fragen zur kulturellen Sensibilität auf: „Man muss da schon vorsichtig sein, dass man nicht Exotismus walten lässt und den Dialog am Ende vielleicht sogar ohne die Leute führt, auf die es eigentlich ankommt.“
Die wesentlichen Elemente, Zuhören und ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen, könnten dabei nämlich verlorengehen. Auch bestehe laut Oliver Hasenkamp das Risiko, dass manche den Begriff zum eigenen Nutzen übernommen haben, ohne sich wirklich mit dem Konzept zu befassen.
In Fidschi wird das Format heute auch politisch genutzt: Si- tiveni Halapua, Parlamentsmitglied Fidschis, schlug bei einem Putsch im Jahre 2000 Talanoa als Werkzeug zur erneuten Demokratiebildung vor, und auch während eines Zyklons 2016 wurde der Dialog laut Schieder angewendet: „Damals ist eine politische Delegation durchs Land gereist und hat sich so mit der Lokalbevölkerung ausgetauscht.“Die Umsetzung des Talanoa-Konzepts im Westen stellt für ihn deswegen keine vollkommene Verklärung der Wirklichkeit in Fidschi dar.
Renate Christ, langjährige Sekretariatsdirektorin des Weltklimarats IPCC, erinnert sich, dass eine solche Begriffsübernahme bei den Klimakonferenzen immer üblich war: „Es geht ja auch darum, dass jedes Gastgeberland seine Marke zurücklassen will.“Schieder verweist auch auf einen positiven Aspekt der Herangehensweise: „Natürlich stellt sich die Frage, wie kulturspezifisch es umgesetzt wird, aber die Bereitschaft, sich auf ein Konzept eines kleinen Inselstaats einzulassen, wird im Pazifik sicher honoriert.“