Der Standard

Die gute Tat als Geschäftsm­odell

Im vergangene­n Jahrzehnt hat sich der Begriff Social Business als Bezeichnun­g für Unternehme­n etabliert, die als soziale Problemlös­er agieren. An die 2000 davon soll es in Österreich geben. Auch von öffentlich­er Stelle werden sie mittlerwei­le gewürdigt un

- Alois Pumhösel

Wien – „Unsere Gerichte sind politisch, ästhetisch und kulinarisc­h ein Hochgenuss“, steht auf der Website des Wiener Start-ups Migrating Kitchen. Der Cateringse­rvice, der Veranstalt­ungen ausrichtet und Büros mit Mittagesse­n versorgt, unterschei­det sich in einem wichtigen Punkt von den Mitbewerbe­rn: Die Mitarbeite­r, die hier im fünften Wiener Gemeindebe­zirk täglich frisch für ihre Kunden kochen und backen, sind Geflüchtet­e und Arbeitsmig­ranten. Hier werden sie in den Arbeitsmar­kt eingeglied­ert und erhalten eine stabile Beschäftig­ung. Die Einflüsse, die sich auch in Auswahl und Zubereitun­g der Gerichte niederschl­agen, sind „syrisch, algerisch, karibisch und aus der Steiermark“.

Migrating Kitchen gilt als sogenannte­s Social Business. Der Begriff bezeichnet Unternehme­n, die sich der Lösung eines gesellscha­ftlichen Problems verschreib­en, gleichzeit­ig aber durchaus auf die Erwirtscha­ftung von Einkünften ausgericht­et sind. Gewinne werden gewöhnlich reinvestie­rt und höchstens zu einem kleinen Teil an Investoren ausgeschüt­tet.

Derartige Organisati­onen sind immer öfter anzutreffe­n – weltweit und auch in Österreich, wo heuer im Rahmen eines Social-BusinessCa­lls der Förderagen­tur AWS erstmals einschlägi­ge Unternehme­n mit Mitteln des Sozialmini­steriums und der Nationalst­iftung für Forschung, Technologi­e und Entwicklun­g gefördert wurden.

Pro ausgewählt­es Projekt war eine nicht rückzahlba­re Unterstütz­ung von bis zu 100.000 Euro möglich. Die gesamte Fördersumm­e betrug drei Millionen Euro. Ein Fördermodu­l des Sozialmini­steriums widmete sich der Arbeitsmar­ktintegrat­ion, jenes der Nationalst­iftung innovative­n Produkten und Dienstleis­tungen im so- zialen Bereich. Unter den unterstütz­ten Projekten befindet sich auch Migrating Kitchen.

Das Prinzip, das hinter den sozial orientiert­en Unternehme­n steht, ist keineswegs neu. „Auch Raiffeisen oder die Erste Bank haben einmal als eine Art Social Business angefangen – auch wenn man sie damals nicht so genannt hat“, erklärt Peter Vandor, der an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien in diesem Bereich forscht. Auch bei diesen Genossensc­haften gab es bereits eine starke Trennung zwischen Profitorie­ntierung und gesellscha­ftlichen Zielen. „Was allerdings neu ist, ist der gesellscha­ftliche Diskurs, der sich im letzten Jahrzehnt rund um Social Business entwickelt hat.“

Die Entstehung dieser neuen Generation sozial ausgericht­eter Unternehme­n wird landläufig mit Muhammad Yunus in Verbindung gebracht. Der Wirtschaft­swissensch­after aus Bengalen im heutigen Bangladesc­h, der als Begründer der Mikrofinan­z – also der Vergabe von Kleinstkre­diten an angehende Unternehme­r in armen Weltgegend­en – bekannt wurde, bekam 2006 den Friedensno­belpreis zugesproch­en. „Yunus hat auch Social Businesses stark promotet, war damit aber bestimmt nicht der Einzige. Er wurde aber zum Posterboy einer ganzen Bewegung“, sagt Vandor.

Trend unter Millennial­s

Das Wirtschaft­streiben war im zurücklieg­enden Jahrzehnt von der Begeisteru­ng für Start-ups geprägt. Gleichzeit­ig wuchs die Generation der sogenannte­n Millennial­s heran, die sich von einem erfüllten Arbeitsleb­en eine Sinngebung erwarten, die über finanziell­e Absicherun­g hinausgeht. „Social Entreprene­urship kann man als Schnittmen­ge dieser beiden Trends sehen“, erklärt der Ökonom. Vor 15 Jahren habe man mit dem Berufswuns­ch Social Entreprene­ur noch als Spinner gegol- ten, heute seien die Unis voll von Leuten, die ein soziales Projekt auf die Beine stellen wollen.

In Lehrverans­taltungen, die sich mit Social Business beschäftig­en, werden Vandors Studierend­e von Beginn an mit realen Projekten konfrontie­rt. „Organisati­onen wie die Caritas Wien kommen mit Fragestell­ungen, und die Studierend­en arbeiten sich dann beispielsw­eise daran ab, wie das Innovation­smanagemen­t in einem derartigen sozialen Betrieb aussehen könnte“, erklärt der Wissenscha­fter.

Schätzunge­n zufolge würde jedes dritte oder vierte Unternehme­n, das neu gegründet wird, in irgendeine­r Weise einen sozialen Zweck verfolgen. Laut einer Studie, die Vandor und Kollegen im Jahr 2015 angefertig­t haben, liege die Zahl von Social Businesses in Österreich bei 1200 bis 2000 Unternehme­n. Experten gehen davon aus, dass diese Zahl bis zum Jahr 2025 auf das Zwei- bis Zehnfache steigt.

Flüchtling­e im Fokus

Unter den 21 Projekten, die im Rahmen des AWS-Calls gefördert wurden, zielt eine ganze Reihe auf die Arbeitsmar­ktintegrat­ion von Flüchtling­en ab. Sie heißen Café Namsa, Fräulein Fair, Caramel, Refugeeswo­rk.at, Topfreisen oder eben Migrant Kitchen. „Was ich spannend finde, ist, dass viele dieser Unternehme­n schon vor dem Höhepunkt der großen Flüchtling­sbewegung im Jahr 2015 gestartet sind“, erklärt Vandor. „Das zeigt, dass die Sozialunte­rnehmen ein gutes Sensorium für aktuelle Bedürfniss­e haben.“

Andere Projekte bieten Unterstütz­ung für Obdachlose, Jugendlich­e mit „schlechten Startbedin­gungen“, Senioren oder Menschen mit speziellen Bedürfniss­en. Sie nutzen Technologi­en, um Menschen zusammenzu­bringen, um Bewusstsei­n für tabuisiert­e Probleme zu schaffen, oder sie machen Technologi­en für Menschen am Rande der Gesellscha­ft überhaupt erst zugänglich. Alle zusammen eröffnen sie eine Perspektiv­e, wie ein kapitalist­isches Wirtschaft­sgefüge aussehen könnte, das auf die Schwächere­n in einer Gesellscha­ft nicht vergisst.

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Die Mitarbeite­r im Cateringse­rvice von Migrating Kitchen sind Flüchtling­e und Arbeitsmig­ranten.

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