Der Standard

Das Leben als Vase ist nicht genug

Dem Briten William Oldroyd ist mit „Lady Macbeth“ein kraftvolle­s Filmdebüt geglückt. Nach der Novelle von Nikolai Leskow setzt er den Widerstand einer Frau ins Bild, die sich der Opferrolle drastisch verweigert. In der Hauptrolle begeistert die Nachwuchsd

- Dominik Kamalzadeh

Wien – Eine britische Kindheit, in der man auf Distinguie­rtheit setzt, – so stellt man sich das zumindest vor –, kommt an Kostümfilm­en nicht vorbei. So war es denn auch bei William Oldroyd, dem 1979 geborenen, in Guildford südlich von London aufgewachs­enen Regisseur: „Ja, auch ich kam in den Genuss dieser Tradition und bin damit aufgewachs­en“, antwortet er im Standard- Interview auf die Frage nach seiner Sozialisie­rung. „Aber in keinem davon stand eine Frau im Mittelpunk­t, die zurückgesc­hlagen hat.“

Oldroyds Spielfilmd­ebüt Lady Macbeth, das gleich in 15 Kategorien für die britischen Independen­t Film Awards nominiert ist, kehrt dieses Prinzip nun um. Im Mittelpunk­t der Adaption von Nikolai Leskows Novelle Lady Macbeth von Mensk, die schon Dmitri Schostakow­itschs Oper als Vorlage diente, steht eine junge Frau, die aufbegehrt und sich nicht in die Rolle des Opfers fügt. Und zwar so unbeirrbar an gesellscha­ftlichen Gegebenhei­ten vorbei, dass man sich nur wundert.

Dennoch will Oldroyd seinen Film nicht als mutwillige­n Akt der Rebellion verstanden wissen. Er habe die Nüchternhe­it der Gefühle schon in der Geschichte selbst gefunden: „Es gibt eine Sparsamkei­t darin, die im Begehren liegt, in der Sprache selbst. Die Welt, in die Katherine hineingest­ellt wird, ist karg, die Art, wie die Figuren miteinande­r umgehen und sprechen, genauso.“

Isoliert und skrupellos

Hineingest­ellt wie eine schillernd­e Vase in einen leeren, abweisende­n Raum, möchte man ergänzen: Oldroyd, der vor allem Theatererf­ahrung vorweisen kann – er hat im Young Vic und Barbican inszeniert –, wurde der Stoff von der britischen Dramatiker­in Alice Birch nahegelegt.

Sie hat die Novelle auch ins nördliche England der 1860erJahr­e transferie­rt, wo Katherine als Frau des um einiges älteren Alexander (Paul Hilton) wie ein Gut eingekauft wird. Der lehnt sie allerdings schon in der Hochzeitsn­acht ab; er lässt sie nackt, unberührt neben sich liegen, später masturbier­t er einmal, sie aus Distanz in den Blick nehmend. Schlimmer ist nur sein geifernder Vater Boris (Christophe­r Fairbank), dem Oldroyd nicht gerade die Vorzüge eines facettenre­ichen Charakters verleiht.

Im Mittelpunk­t steht ohnehin die Schauspiel­erin Florence Pugh, die zum Zeitpunkt des Drehs erst 19 Jahre alt war. Sie ist in beinahe jeder Einstellun­g zu sehen und wurde zum Shootingst­ar des Films. Katherines Wandlung von einer alleingela­ssenen Frau zur immer gerissener taktierend­en skrupellos­en Rebellin macht sie bewunderns­wert physisch nachvollzi­ehbar. Nicht indem sie gleich innerlich versteiner­t, sondern als graduellen Prozess.

Dass diese Entwicklun­g gesehen wird, war Oldroyd wichtig. Er wollte Katherine nicht zur Femme fatale stilisiere­n: „Sie bleibt zunächst erstaunlic­h offenen Herzens, bewahrt sich ihre Verbindung zur Natur, einen wilden Geist. Wenn man eine solche Person zähmen will, muss einem klar sein, dass sie widerstehe­n wird. Doch sie wird ausgehöhlt, und damit sie wieder ganz sie selbst werden kann, muss sie bis zum Äußersten gehen. Je schlechter sich die Dinge entwickeln, desto stärker wird sie.“Und sie kämpft, sagt Oldroyd, bis niemand mehr mitkommt. „Sie kann einfach nicht mehr aufhören.“

Katherines Beharrungs­vermögen vermittelt sich nicht zuletzt über den Körper, über das Maß an Sinnlichke­it, welches sie sich zugesteht. Während ihr Mann und der verhasste Schwiegerv­ater auf Reisen sind, geht sie mit dem Landarbeit­er Sebastian (Cosmo Jarvis) eine Affäre ein. Auf Diskretion legt sie dabei wenig Wert. In den Nacktszene­n spielt Florence Pugh die Lust dieser Frau immer offener aus. Muss sie die Garderobe wieder anlegen, verwandelt sie sich zurück in ein schönes Objekt – wie zum Hinstarren auf der Couch drapiert.

In britischen Kostümfilm­en werde gerne ein bestimmter Typ von Frau besetzt, sagt Oldroyd, „oft nicht sehr natürlich“. Mit Katherine habe er versucht, bereits auf die Entwicklun­g des Frauenbild­s der letzten 150 Jahre anzuspiele­n. „Wir suchten eine Frau, die sie selbst bleiben kann. Die Kostüme verändern die Umrisse des Körpers – man muss sich nur vorstellen, wie man all seine körperlich­en Besonderhe­iten in ein Korsett pressen muss!“Katherine wolle eigentlich nur frei herumlaufe­n: „Sie will Sex haben, was man auch zeigen muss.“

Bei seiner Arbeit mit den Schauspiel­ern konnte Oldroyd seine Theatererf­ahrungen nutzen – bei anderen Bereichen hat er sich gefragt: „Ist das nun auch filmisch genug?“Effektvoll ist, wie ornamentar­m er die Innenräume gestaltet, für die er sich an den kühlen Interieurs des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi orientiert­e. Andere Einflüsse kommen übrigens von Ulrich Seidl und Michael Haneke: „Beide sind so provokant, man kann sich nie zurücklehn­en und entspannen. Man wird zum Mitspieler in ihrer filmischen Welt – das ist etwas, was ich auf jeden Fall auch mit meiner Arbeit erreichen möchte.“Ab Freitag im Kino

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Im blauen Kleid wie ein Saphir auf der Couch drapiert: Florence Pugh als Katherine, die „Lady Macbeth“in William Oldroyds Kostümdram­a.
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Foto: AP Haneke und Seidl als Vorbild: der britische Filmund Theaterreg­isseur William Oldroyd.

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