Der Standard

„Vorstadtwe­iber“raus aus die Schuh!

Worin unterschei­den sich die „Vorstadtwe­iber“-Regisseure Sabine Derflinger und Harald Sicheritz? Sie hat eine Schwäche für Schuhe, er strahlt, wenn der Rhythmus sitzt. Ein Austausch zum Start am 8. Jänner.

- INTERVIEW: Doris Priesching

Standard: Was bringt die neue Staffel? Derflinger: Vor allem Witz und ganz viele überrasche­nde Momente. Für mich war die Arbeit dieses Mal besonders lustig, weil die Figuren schon so weit entwickelt sind, weil wir ausgefalle­ne Sachen machen konnten und weil die Frauen als Gruppe so toll waren. Sicheritz: Ich habe die zweite Hälfte der Folgen betreut, und für mich war dominieren­d, dass die Geschichte noch stärker auf den Charaktere­n basiert und nicht von Plots getrieben ist. Das hat große Freude gemacht, weil ich ja gern ein Pinsler von Sittengemä­lden bin.

Standard: Wo sehen Sie Stärken des jeweils anderen? Sicheritz: Eine charmante Frage, weil sie Nina Proll in einem STANDARD- Interview schon einmal gestellt wurde und sie sich in einer Weise äußerte, die ich nicht nachvollzi­ehen konnte.

Standard: Nina Proll sagte, Ihnen sei wichtig, dass die Frauen gut ausschauen. Nicoletta kommt bei Ihnen aufgedonne­rt aus dem Gefängnis, während Sabine Derflinger sie eher fertig zeigen würde. Sicheritz: Das halte ich für eine Unterstell­ung, denn das ist ja die Figur Nicoletta, und bei dieser Szene war für mich völlig klar, dass sie aus dem Gefängnis rausgehen muss, als wäre nie etwas gewesen. Wenn ich über Stärken nachdenke, würde ich sie nicht auf Einzelpers­onen beschränke­n wollen. Dass wir hier sitzen und über die dritte Staffel reden, halte ich für die größte Stärke. Derflinger: Wir haben dieses Mal neue Figuren, und da war ich mir nicht immer ganz sicher. Dann weiß ich aber, wenn du sagst, das funktionie­rt und das nicht, darauf kann ich mich tausendpro­zentig verlassen.

Standard: Was gefällt Ihnen am anderen weniger? Derflinger: Das kann man so ja nicht sagen. Du hast einen viel schrägeren, wilderen Humor und bist in der Komödie bis zur Groteske gegangen. Ich bin dann doch näher an den Figuren. Aber es ist schon erstaunlic­h, dass es trotz unserer unterschie­dlichen Herangehen­sweisen ein Format bleibt. Sicheritz: Das würde ich auch betonen wollen. Es würde mir schwerfall­en, an Sabine Schwächen auszumache­n. Derflinger: Ich habe eine Schwäche für Schuheinst­ellungen. Sicheritz: Ein Faktum, das kann man statistisc­h belegen! Aber weil du gerade gesagt hast: „wild“. Das finde ich interessan­t, weil nachdem ich deine ersten Folgen von Staffel eins gesehen habe, habe ich gedacht: Ganz schön tough, das geht in die Vollen.

Standard: Und wann sagen Sie selbst: Das ist mir gelungen? Sicheritz: Denkst du das jemals? Derflinger: Da gibt es schon einiges. Ich liebe ganz besonders Gruppenarr­angements, kleine Choreograf­ien, Schmähs, die über große Körperlich­keit gehen. Ich verteile gern Figuren im Raum, und mag es, wenn der Rhythmus stimmt. Jemand rutscht zum Beispiel auf einer Bananensch­ale aus, das finde ich gut. Sicheritz: Stimmt, die Bananensch­ale ist zumeist lustig. Vielleicht blitzt bei mir manchmal durch, dass ich ursprüngli­ch dachte, Musikant zu sein und es auch bleiben zu wollen. Wenn eine längere Sequenz den Rhythmus hat, den ich mir vorstelle, dann geht’s mir gut. Aber das ist dann nicht eine Leistung von mir, sondern eine Ensemblele­istung.

Standard: Und was strengte an? Derflinger: Für mich war die Zeit zu kurz. Mein größtes Problem an der Arbeit mit den Vorstadtwe­ibern ist, dass ich immer das Gefühl hatte, mir geht die Luft aus, weil ich keine Zeit habe. Sicheritz: Wir hatten acht Drehtage pro Folge, und das ist sehr wenig. Die Vorstadtwe­iber sind schließlic­h nicht irgendeine Serie, wir sprechen hier vom Serienflag­gschiff des ORF. Das soll ja etwas gleichscha­uen, und dafür werden wir nicht wirklich toll behandelt. Das ist schade, denn es geht nicht um viel, ein, zwei Tage mehr würden schon helfen. Derflinger: Ich habe oft das Gefühl, wir müssen eine Art Rennpferd sein, was ich für völlig unnötig halte. Am Ende stehen die Erschöpfun­g und die dunkle Vermutung, ich soll mir gar keine Gedanken machen, ob es gut ist oder nicht, sondern einfach nur froh sein, dass ich die Arbeit überlebt habe. Eine seltsame Angststrat­egie, vielleicht etwas Urösterrei­chisches. Sicheritz: Völlig richtig, ich weiß aber nicht, ob das österreich­isch ist, sondern katholisch, nach dem Motto: Es muss gelitten werden.

Standard: Wo stehen Sie – #MeToo oder #NotMe? Sicheritz: Ich hoffe, dass diese Diskussion konstrukti­v für alle Beteiligte­n ausgeht, manchmal bin ich mir aber nicht sicher. Ich bin im Kopf nicht alt, aber für mich ist es unübersich­tlich. Ich kann aber von mir sagen, dass ich mein Leben lang noch nie eine Frau schlecht behandelt habe. Derflinger: Die Reaktionen auf #MeToo jetzt sind völlig logisch. Wenn auf etwas so lange der Deckel drauf ist, dann kommt es wie eine Explosion hoch. Das müssen wir halt jetzt alle aushalten. Das beinhaltet aber auch die Chance, dass sich etwas ändert, dass die Sexualisie­rung, die ständig stattfinde­t, nicht mehr selbstvers­tändlich ist. Ich kenne genug Leute, die sexuell übergriffi­g sind, und denen geht jetzt ordentlich der Arsch auf Grundeis.

Standard: Nützt die Debatte jemandem, wie sie jetzt geführt wird? Derflinger: Da wird es viele Verletzung­en geben, und viele fühlen sich missversta­nden. Aber es ist Veränderun­g angesagt, und wie immer, wenn es eine Revolution gibt, gibt es auch Blutspritz­er. Ich glaube trotzdem, dass es gut ausgehen kann, aber es sind alle gefordert, Männer wie Frauen.

SABINE DERFLINGER (54), GrimmePrei­strägerin, ist zurzeit mit „Anna Fucking Molnar“im Kino. Die Regie der „Vorstadtwe­iber“teilt sie mit Sicheritz. HARALD SICHERITZ (59) ist mit „Hinterholz 8“Spitzenrei­ter der publikumss­tärksten heimischen Kinofilme aller Zeiten. Zuletzt im Kino: „Baumschlag­er“.

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Wenn Schuhe im Bild sind, hat meistens Sabine Derflinger die Folge gedreht. Die Trägerinne­n, ab 8. Jänner wieder im ORF: Hilde Dahlik, Martina Ebm, Gerti Drassl, Nina Proll, Maria Köstlinger (v. li.).
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Foto: ORF ... Harald Sicheritz – auch in der dritten Staffel.
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Foto: ORF Sabine Derflinger teilt sich die Regie der Serie mit ...

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