Der Standard

EU und Afrika: Migration und überholte Konzepte

Mit seiner Kolonialge­schichte und dem Wohlstands­gefälle ist ein Beitrag Europas zur Entwicklun­g Afrikas ein moralische­r Imperativ. Doch Schuldgefü­hle allein ergeben keinen guten Businesspl­an. Anmerkunge­n zur „Almosenind­ustrie“und zum EU-Afrika-Gipfel.

- Gunther Neumann

Und wieder treffen sich die Chefs von EU und Afrika. Frieden und Sicherheit sind in Abidjan die Themen, Investitio­nen, Handel, Demokratie, Menschenre­chte – und Migration. Letzteres überschatt­et alles. Mit seinem abschrecke­nden „extraterri­torialen Migrations­management“wolle die EU wenig zimperlich­e Potentaten als ausgelager­te Türsteher Europas anheuern, warnen Kritiker. Weg vom Mittelmeer – aus dem Auge, aus dem Sinn.

Beim Ziel „Fluchtursa­chenbekämp­fung“– d. h. Perspektiv­en junger Afrikaner verbessern – herrscht Einigkeit. Über das Wie weniger. Mit der brutalen Kolonialge­schichte und dem eklatanten Wohlstands­gefälle war Entwicklun­gszusammen­arbeit für Europa ein moralische­r Imperativ. Doch Schuldgefü­hle allein ergeben keinen guten Businesspl­an. NGOs leisteten Pionierarb­eit und fördern lokale Initiative­n. Rasante Fortschrit­te wurden in Asien erzielt, kaum in Afrika, dem Hauptempfä­nger von Entwicklun­gsgeldern: Seit 1960 war es die Summe von sechs Marshallpl­änen, stellt der skeptische Ghanaer George Ayittey fest. Die Stimmen afrikanisc­her Kritiker wie Dambisa Moyo („Dead Aid“) oder James Shikwati („Fehlentwic­klungshilf­e“) ähneln einander in zentralen Punkten: Nach zwei Billionen Dollar an Entwicklun­gsgeldern stehe Afrika schlechter da als zu Beginn der „Almosenind­ustrie“. Der Kontinent bewege sich in einem Hamsterrad aus Abhängigke­it und Korruption.

Europäisch­e Besserwiss­erei

Weniger um Transferza­hlungen geht es, als um faire Handelsbed­ingungen, lautet die aufgeklärt­ere Version europäisch­er Bringschul­d. Die schwankend­en Weltmarktp­reise für Afrikas Erze wie Coltan oder Kobalt haben sich vervielfac­ht – doch sie verfestige­n Abhängigke­iten, alimentier­en Eliten, schüren Konflikte und helfen ohne Investitio­nen in Bildung, Infrastruk­tur und Industrie kaum der breiten Masse. So bleibt der Kontinent Geisel der Rohstoffe. Dass Bildung, speziell für Frauen, der nachhaltig­ste Weg für Wirtschaft­swachstum und langsamere Bevölkerun­gszunahme ist, haben Länder wie Thailand binnen einer Generation bewiesen. Doch müssen Frauen dann Arbeitsplä­tze finden. Liegen Lösungen weniger in europäisch­er Besserwiss­erei als in asiatische­n Modellen?

Chinas Aufstieg ist ein entwicklun­gspolitisc­hes Reizthema: Peking agiere als egoistisch­er Ressourcen­sicherer und reiße sich ganze Länder unter den Nagel: Ackerland werde Bauern entzogen und treibe diese in die Slums der Städte. „Hartnäckig­e Internetmy­then“, schreibt die Expertin Deborah Brautigam in Will Africa Feed China?. Gerade einmal 2500 km² habe China erworben.

Bei der Suche nach Schuldigen geraten Ursache und Wirkung durcheinan­der. Afrikanisc­he Slums explodiere­n, weil die Bevölkerun­g dank besserer Gesundheit exponentie­ll gewachsen ist und die traditione­lle Wirtschaft eine rasant wachsende Bevölkerun­g nicht aufnehmen kann. Afrika ist nicht wegen der Globalisie­rung arm, sondern weil der Welthandel am Kontinent vorbeiflie­ßt. Sein Anteil lag 1948 bei 7,4 Prozent, heute bei zwei, ohne Nordafrika und der Republik Südafrika sind es gar nur bei 0,8 Prozent.

Die lange zu Recht kritisiert­en EU-Agrar-Exportsubv­entionen nach Afrika gibt es nicht mehr. Afrika sind Marktschut­zmaßnahmen erlaubt. Ghana erhöhte die Zölle auf Geflügelfl­eisch. Nigeria, Kamerun oder Senegal haben den Import verboten.

Gerne projiziere­n wir unsere Vorstellun­gen von feinen Biomärkten auf Afrikas ländlichen Raum. Als habe Asiens grüne Revolution – besseres Saatgut, Bewässerun­g, auch ohne GlyphosatE­insatz – nie stattgefun­den, betreibt Afrika großteils Subsistenz­landwirtsc­haft, die den Kontinent kaum ernähren kann. Afrika könnte asiatische Erfahrunge­n gut gebrauchen: Thailand allein exportiert mehr Agrarprodu­kte als Subsahara-Afrika zusammen.

Small is not helpful

Entwicklun­gspolitik sah in China oder Brasilien Direktinve­stitionen vor, während Afrika hilfsbasie­rte Politik zuteilwurd­e. Eine Kultur der Ausgrenzun­g wurde geschaffen: Selbstvers­orgung statt Diktat der Märkte, Fair Trade als einwandfre­ies Modell. Small mag beautiful sein, aber nicht immer helpful. Was Afrika benötigt, sind Investitio­nen, die Technologi­e und Jobs bringen, meint selbst Joseph Stiglitz, einst Kronzeuge der Globalisie­rungskriti­ker. Es brauche keine neuen Geschäftsm­odelle, sagte der Unternehme­r Mo Ibrahim kürzlich beim 5. AfricaCEO-Forum: „Wir müssen nur Korruption und staatliche Misswirtsc­haft loswerden, stattdesse­n Rechtssich­erheit schaffen.“

Kein Zwanzigste­l an ausländisc­hen Direktinve­stitionen weltweit entfällt auf Schwarzafr­ika. Doch China bestreitet dort mittlerwei­le mehr als EU und USA zusammen. Skeptiker wittern skrupellos­e Ausbeutung der Bodenschät­ze, neue Umweltdesa­ster, Lohndumpin­g, Kinderarbe­it. Klar, Peking stillt seinen Rohstoffhu­nger, will Absatzmärk­te und inszeniert sich als weise Weltmacht. Länder wie Äthiopien oder Ruanda nehmen die Angebote gerne auf, statt sich von Europa bevormunde­n zu lassen.

Private Investoren schauen genauer, was mit ihrem Geld geschieht, als EU-Staaten, die gegenüber ihren Steuerzahl­ern selten nachweisen können, dass die Auf- wendungen tatsächlic­h nachhaltig sind. Die Vernetzung lokaler Technologi­e-Start-ups schafft neue Dynamiken, etwa im „Silicon Savannah“in Kenia. Marktwirts­chaft bleibt das effiziente­ste System zur Schaffung von Wohlstand, aber nicht allein das beste für dessen gerechte Verteilung. Ungezügelt­er Raubtierka­pitalismus ohne Rechtsstaa­t ist überall verheerend, doch Abschottun­g festigt archaische Strukturen.

Konsumente­n sind gefordert

Für Konfliktve­rhütung, Flüchtling­e aus Südsudan in Uganda, aus Somalia in Kenia ist internatio­nale Unterstütz­ung unabdingba­r. EU-Geldzahlun­gen an dubiose Partner, um uns Afrikaner vom Leib zu halten, sind kaum nachhaltig. Nicht nur globale Warenström­e, auch universell­e Werte müssen die Modernisie­rung prägen. Europas Konsumente­n und die Zivilgesel­lschaft sind ebenso gefordert. Ethik und entspreche­nde Politik haben nicht ausgedient.

GUNTHER NEUMANN ist Vizepräsid­ent des Kelman Institute for Interactiv­e Conflict Transforma­tion. Er hat mehrere Jahre im Auftrag von EU, Uno und Rotem Kreuz für Entwicklun­gs- und Demokratie­projekte in Afrika und Asien gearbeitet.

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Afrikaner, die es nach Spanien geschafft haben: Im Hafen von Algeciras haben sie EU-Land unter den Füßen. Der Aktionspla­n der Union soll unkontroll­ierte Migration beenden.

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