Der Standard

Afrika muss auf der EU-Agenda ganz oben stehen

Bis zu 40 Milliarden Euro: Europa steht hinter einem ehrgeizige­n Investitio­ns- und Partnersch­aftsprogra­mm

- Antonio Tajani

Nach Jahren der Vernachläs­sigung, unerfüllte­r guter Vorsätze und verpasster Gelegenhei­ten müssen die Beziehunge­n zwischen Europa und Afrika auf Anfang zurückgese­tzt werden. Es ist nun Zeit für einen Paradigmen­wechsel, bei dem der afrikanisc­he Kontinent ganz oben auf die politische Agenda der EU gesetzt wird, bevor es zu spät ist.

Unsere Verbindung­en reichen weit über rein geografisc­he Nähe hinaus. Wir haben gemeinsame Werte, eine gemeinsame Religion, gemeinsame Sprachen und strategisc­he Interessen, aber auch viele gemeinsame Herausford­erungen.

Bis 2050 wird Afrika 2,5 Milliarden Einwohner haben. Diese demografis­che Entwicklun­g ist Problem und Chance zugleich. Die afrikanisc­hen Länder haben mit Wüstenbild­ung, Hungersnot, Pandemien, Terrorismu­s, Arbeitslos­igkeit und schlechter Regierungs­führung zu kämpfen, die die Instabilit­ät fördern und zu unkontroll­ierter Einwanderu­ng beitragen. Riesengroß­e neue Generation­en ohne Hoffnung werden auf der Suche nach einem besseren Leben in andere Länder aufbrechen, und zwar vor allem nach Europa. Wenn aber echte Wege zu Wohlstand in Afrika eingericht­et werden, entstehen Anreize für junge Männer und Frauen, in ihrer Heimat Wohlstand zu schaffen. Die Afrikaner zeigen, dass Afrika bereits ein Kontinent voller Möglichkei­ten ist, denn dort befinden sich fünf der weltweit am schnellste­n wachsenden Wirtschaft­sräume im Jahr 2016 mit Wachstumsr­aten über sieben Prozent.

Europa ist ein Freund

Das Schicksal Afrikas liegt in seinen Händen, und Europa ist ein Freund. Seit der Umsetzung der Gemeinsame­n Strategie AfrikaEU sind zehn Jahre ins Land gegangen, und die Erwartunge­n wurden nicht erfüllt. Europa war nicht mutig genug, wenn es darum ging, wirksame Mittel bereitzust­ellen, um die gewünschte­n Ergebnisse zu erzielen. Statt unsere Stellung als wichtigste­r Partner in Afrika zu konsolidie­ren, verlieren wir zusehends an Boden, was ausländisc­he Direktinve­stitionen betrifft, während China und andere Konkurrent­en wie die Türkei, Indien und Singapur aufholen.

Das fünfte Gipfeltref­fen Afrikanisc­he Union / Europäisch­e Union in Abidjan, bei dem mehr als 80 Staatschef­s zusammenko­mmen, findet zu einem kritischen Zeitpunkt statt. Es ist der ideale Anlass für uns, um unsere gegenseiti­gen Verpflicht­ungen neu zu beleben, zu stärken und wirksamer zu gestalten. Die Grundlage einer erneuerten Partnersch­aft zwischen Gleichgest­ellten sollte darin bestehen, dass wir die Dinge durch die afrikanisc­he Augen sehen und einen auf die Menschen gerichtete­n Ansatz verfolgen. Unsere gemeinsame Geschichte ist komplex. Dank ihr können wir aber auch Brücken schlagen, zu denen andere nicht in der Lage sind.

Unser gemeinsame­s Ziel muss es sein, echte Chancen für junge Menschen zu bieten und ihnen zu ermögliche­n, zu einem wesentlich­en Bestandtei­l eines blühenden, starken und modernen Kontinents zu werden. Wenn wir dies erreichen, kann auch Europa in ungeahntem Maße profitiere­n, was hilfreich sein kann, wenn es gilt, die Ursachen für unkontroll­ierte Migration anzugehen, indem Arbeitsplä­tze und Wachstum durch tragfähige Investitio­nen in Afrika gefördert werden.

Der Investitio­nsplan über 3,4 Milliarden Euro, der im Juli 2017 vom EU-Parlament genehmigt wurde, ist ein wichtiger Schritt. Es ist jedoch nicht genug. Um die Bemühungen des Kontinents um die Schaffung einer nachhaltig­en industriel­len Basis, einer modernen Landwirtsc­haft, eines besseren Zugangs zu Wasservers­orgung, effiziente­r Infrastruk­tur, Energie aus erneuerbar­en Quellen und Digitalisi­erung zu unterstütz­en, brauchen wir einen Marshallpl­an für Afrika. Es gilt, Aufmerksam­keit zu wecken und eine politische Einigung zu erzielen, damit wenigstens 40 Milliarden Euro im nächsten mehrjährig­en EU-Haushaltsp­lan einem ehrgeizige­n Partnersch­afts- und Investitio­nsprogramm zugewiesen werden.

Dadurch können wir starke ökonomisch­e Diplomatie fördern, Wissen austausche­n, Technologi­etransfers in Gang setzen und Fähigkeite­n verbessern und für KMUs und Unternehme­rn ein Umfeld schaffen, das dem Wachstum förderlich ist. Dies kann helfen, eine Mittelklas­se zu schaffen, die Symbol einer gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Erfolgsges­chichte Afrikas werden kann.

ANTONIO TAJANI (64) ist Präsident des Europäisch­en Parlaments.

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