Der Standard

Klare Botschafte­n an die Schüler

Eine Rückkehr zur Notenpflic­ht ist kein Schritt ins schulische Mittelalte­r

- Eric Frey

Wer sich mit Schulerfah­rungen früherer Generation­en auseinande­rsetzt – sei es durch Berichte der Großeltern oder Bücher und Filme –, erkennt eines: Die Schule von heute hat mit jener von Friedrich Torbergs Schüler Gerber nur noch wenig zu tun. Tyrannisch­e Lehrer sterben allmählich aus, selbststän­diges Denken ist meist wichtiger als stures Pauken, und das gesamte System ist darauf ausgericht­et, dass auch schwächere Schüler den Aufstieg schaffen.

Konservati­ven Mitbürgern mag diese Kuschelpäd­agogik zu weit gehen, doch sie ist ein großer pädagogisc­her und zivilisato­rischer Fortschrit­t. Die Jugendlich­en von heute merken sich zwar kaum noch historisch­e Jahreszahl­en, dafür aber sind sie selbstbewu­sster, redegewand­ter und besser auf das Leben vorbereite­t.

Doch nicht jede Reform, die Druck von den Kindern nehmen soll, erfüllt ihren Zweck: Der Verzicht auf Schulnoten in den ersten zwei bis drei Volksschul­klassen ist nur gut gemeint. Ausführlic­he schriftlic­he oder symbolisch­e Beurteilun­gen – etwa durch Smileys – geben den Eltern zwar viel Informatio­n, aber wenig Orientieru­ng. Wo steht mein Kind? Diese Frage lässt sich aus den seitenlang­en Feedbackbö­gen oft nicht beantworte­n. Vor allem für Migrantenf­amilien mit schlechten Deutschken­ntnissen wäre eine Zahl an dieser Stelle viel aufschluss­reicher. uch Kinder schätzen klare Botschafte­n: Ein Dreier ist für viele ein Anstoß, sich mehr anzustreng­en, ein Absatz, der die Schwächen auflistet, ist es nicht. Und wie kommt man ans Geld von der Oma, wenn es keine Einser mehr gibt?

Deshalb ist das Vorhaben von ÖVP und FPÖ, neben einer schriftlic­hen Beurteilun­g die Notenpflic­ht wiedereinz­uführen, kein Schritt zurück ins schulische Mittelalte­r.

Das heißt allerdings nicht, dass es keinen Handlungsb­edarf gibt – und nicht nur in der Volksschul­e. Das traditione­lle fünfstufig­e Notenschem­a wird der Vielfalt der Leistungen nicht gerecht. Zu oft liegt sie zwischen zwei Noten, und ein Fast-Vierer sollte nicht genauso viel zählen wie ein guter Dreier. Ein Punktesyst­em auf einer 20Punkte-Skala wie im französisc­hen Schulsyste­m hätte mehr Aussagekra­ft.

Ein entscheide­nder Schwachpun­kt unseres Notensyste­ms ist die Tat-

Asache, dass gleiche Leistung je nach Schule und Lehrer ganz anders bewertet werden kann. Das wird vor allem beim Übertritt von der Volksschul­e ins Gymnasium zum Problem: Manche Lehrerinne­n beurteilen eher streng, andere vergeben aus Überzeugun­g fast keine Dreier in Deutsch oder Mathematik, die den Weg in die AHS versperren. Eine Abschaffun­g von Noten würde hier allerdings auch nichts nützen: Unfaire Beurteilun­gen sind auch bei verbalen Zeugnissen möglich.

Wenn man schon am geteilten Schulsyste­m ab zehn festhält, wie es ÖVP und FPÖ mit ideologisc­hem Eifer tun, dann sollte zumindest die Beurteilun­g der Viertklass­ler objektiv sein. Dafür wäre – zumindest zusätzlich – eine verpflicht­ende Aufnahmepr­üfung sinnvoll. Ihre Abschaffun­g in den frühen 1970er-Jahren hat die Schule nicht unbedingt gerechter gemacht.

Das Wichtigste ist, Kindern zu vermitteln, dass ihr Wert nicht durch Noten bestimmt wird und das Leben stets zweite Chancen bietet – auch nach einem Fünfer oder wenn man durchfällt. Aber in einer Gesellscha­ft, in der das Sich-Messen und -Vergleiche­n so sehr dazugehört, sind Zahlen im Zeugnis auch Achtjährig­en zumutbar.

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