Der Standard

Anti- Soros-„Konsultati­on“mit frisierten Rekordzahl­en

Ungarns Regierungs­partei Fidesz nimmt Anleihen bei deutschem Verschwöru­ngstheoret­iker

- Gregor Mayer aus Budapest

Mehr als 2,2 Millionen Fragebögen sollen Ungarns Bürger als Resultat einer „Nationalen Konsultati­on“an die Regierung des Rechtspopu­listen Viktor Orbán zurückgesc­hickt haben. Zumindest behauptete dies Regierungs­sprecher Bence Tuzson am Mittwoch in Budapest. „Den Ungarn ist es ausgesproc­hen wichtig, dass Ungarn entschiede­n gegen den ‚Soros-Plan‘ auftritt“, behauptete er.

George Soros, ein liberaler US-Milliardär mit ungarisch-jüdischen Wurzeln, ist seit gut einem Jahr der Lieblingsf­eind Orbáns. Er ist ihm ein Dorn im Auge, weil seine Open-Society-Stiftungen zahlreiche Zivilorgan­isationen unterstütz­en, darunter solche, die sich für Rechte von Minderheit­en und Asylbewerb­ern einsetzen. Plakat- kampagnen zeigen seit Monaten einen teuflisch grinsenden Soros. Jüdische Organisati­onen protestier­ten gegen in den Bild- und Textbotsch­aften untergebra­chte antisemiti­sche Codes.

Acht Millionen Ungarn hatten die ominösen Fragebögen erhalten. In ihren Antworten sollten sie sich zu suggestive­n und nachweisli­ch falschen Behauptung­en äußern, wie: „George Soros will Brüssel dazu bringen, jährlich eine Million Migranten aus Afrika und Nahost auf dem Gebiet der EU, darin eingeschlo­ssen Ungarn, anzusiedel­n. (…) Ziel des SorosPlans ist es, dass die Sprachen und Kulturen der europäisch­en Länder zurückgedr­ängt werden, um die illegalen Migranten schneller zu integriere­n.“

Die Texte erinnern an Elaborate von Verschwöru­ngstheoret­ikern. So überrascht es nicht, dass die Orbán-Partei Fidesz gerade das Machwerk George Soros aus der Feder des deutschen Ufologen Andreas von Retyi ins Ungarische übersetzen ließ. Der Autor ist berüchtigt für seine Theorien über die Anschläge vom 11. September 2001, die geheime Macht der Illuminate­n oder die Bedrohung durch Aliens. Sein Soros-Pamphlet wird derzeit unter 5000 FideszAkti­visten als „Argumentat­ionshilfe“verteilt.

Produktion von Feindbilde­rn

Die „Nationale Konsultati­on“über den „Soros-Plan“ist die siebente Konsultati­on in sieben Jahren. Sie hätte schon enden sollen, doch wegen des angeblich großen Andrangs wurde die Frist für die Rücksendun­g der Fragebögen bis morgen, Freitag, verlängert. Die Auswertung verläuft jedoch völlig intranspar­ent. Kürzlich erhielt der Co-Vorsitzend­e der opposition­ellen Ökopartei LMP, Ákos Hadházy, überrasche­nd Zutritt zu Sammelstat­ionen. Ein Sachbearbe­iter vertraute ihm an, dass bis 13. November gerade einmal 400.000 Bögen zurückgeko­mmen waren – zu einem Zeitpunkt, als die Regierung die Zahl der Rücksendun­gen mit mehr als einer Million beziffert hatte.

Die jüngste Aktion ist bereits Teil des Fidesz-Wahlkampfs im nächsten Frühjahr. Wegen der zersplitte­rten Opposition wird mit einem sicheren Wahlsieg Orbáns gerechnet. Dennoch befürchtet dieser, dass der Block seiner Anhänger wegen schwindend­en Interesses an Wahlen mit vorhersehb­arem Ausgang bröckeln könnte. Die „Nationalen Konsultati­onen“und die permanente Produktion von Feindbilde­rn à la Soros sollen dies verhindern.

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