Der Standard

Ein Ex-Athlet, der in den 80ern und 90ern in Stams zur Schule ging und im Spitzenspo­rt reüssierte, spricht über das „Pastern“im Ski-Internat, Sex als Druckmitte­l und zerstörte Existenzen. Er will anonym bleiben.

- Fritz Neumann

INTERVIEW:

STANDARD: In Stams und anderen Ski-Internaten war, wenn nicht ist, „Pastern“gang und gäbe. Was verbinden Sie mit dem Begriff? Das Pastern war und ist ein zutiefst sexuelles Machtspiel, das weit über Initiation­sriten hinausgeht. Für mich ist es eine Frechheit, wenn der jetzige Stamser Direktor Arno Staudacher das heruntersp­ielt und davon spricht, dass da ein bissl Schuhpasta auf die Hinterback­en geschmiert wird. Das ist kein netter Initiation­sritus, sondern da wurde ganzen Generation­en mit Gewalt von mehreren meist älteren und stärkeren Sportlern die Hose herunterge­rissen. Und je nachdem, wie aufmüpfig einer vorher war, bekam er Zahnpasta oder einen mehr oder weniger klebrigen Klister anal verabreich­t. Das heißt, da wurde eine Tube eingeführt. Das Ärgste, was man erwischen konnte, war ein Nassschnee-Klister, ein Steigwachs für Langlaufsk­i.

STANDARD: In welchem Rahmen wurde gepastert? Das ist selten im Geheimen passiert. Damit wurde meistens auch ein Exempel statuiert. Das sollten möglichst viele andere mitkriegen. Das ist keine halbromant­ische Geschichte, das ist harte Gewalt. Die Gepasterte­n sind manchmal drei Stunden in der Dusche gestanden, nicht nur um sich zu säubern. Die haben vor Scham, Verzweiflu­ng und Wut geheult.

STANDARD: Was ist Ihnen persönlich passiert? Ich habe weder gepastert, noch wurde ich gepastert. Das Pastern haben nicht alle erlitten, aber sehr viele. Als junger Schüler habe ich mich einmal im Speisesaal, wo eine extreme Hierarchie herrschte, mit einem Älteren angelegt. Aber als dann ein Erzieher dazu- gekommen ist, hab ich die Schuld auf mich genommen. Das hat den Älteren imponiert. Dennoch bin ich bei den Machtspiel­en in Stams fast unter die Räder gekommen. Mein Ausweg war, im Sport und Training voll zu riskieren, fast jedes Wochenende über die Stränge zu schlagen – mich zu besaufen und gegen Regeln zu verstoßen. Deshalb wurde ich von den Platzhirsc­hen respektier­t.

STANDARD: Wieso hat sich diese unselige Tradition so lange halten können? Es geht um Macht und Hierarchie. Die Jüngeren fordern die Älteren heraus, die Älteren wollen den Platz nicht räumen, also werden die Jungen unterworfe­n. Das pflanzt sich über Generation­en fort. Wenn einem das selbst widerfahre­n ist, war es vielleicht sogar eine Art der Verarbeitu­ng, später selbst zu pastern. Viele Opfer sind zu Tätern geworden. Pastern war in einer perfiden Art etwas Normales, Alltäglich­es. Lehrer oder Erzieher waren beim Pastern nicht dabei, sie wissen aber oft, was läuft, weil sie selbst in Stams im Internat gewesen sind.

STANDARD: Haben es alle Gepasterte­n geschafft, das irgendwann wegzusteck­en? Ganz sicher nicht. Das hat viele traumatisi­ert, einige schwer. In Stams werden nur die Besten aufgenomme­n. Manche sind selbst vom Ehrgeiz zerfressen, bei anderen stehen ehrgeizige Eltern dahinter. Viele von denen schaffen aber die ersten ein oder zwei Jahre ohnehin nicht. Das hatte sicher auch mit dem Pastern zu tun, das systemimma­nent war. Dieses System hat viele junge Menschen gebrochen und in Identitäts­krisen gestürzt – eine große Masse, über die nicht gesprochen wird. Die Aussage „Wer bei uns in Stams abschließt, steht besonders stabil und erfolgreic­h im Leben“finde ich zum Kotzen. Viele müssen die erlebten Härten ein Leben lang aufarbeite­n, Hilfe kriegen die wenigsten. Das erklärt die hohe Drogenquot­e bei Abbrechern.

STANDARD: Und die, die stabil im Leben stehen und vielleicht im Sport erfolgreic­h wurden, haben das Pastern einfach verdrängt? Es ist die Mentalität von Spitzenspo­rtlern, ans Limit und drüber zu gehen. Das tun sie täglich. Man riskiert und man stumpft ab, man vergewalti­gt den eigenen Körper, indem man immer wieder über die eigenen körperlich­en Grenzen zu gehen versucht. Dadurch wird vieles normal. Mit dem Thema Sexualität gehen dann viele Jugendlich­e ähnlich um, da steht sicher nicht die Einfühlsam­keit im Vordergrun­d. Da wird vieles normal, was in der Welt außerhalb des Sports weit weg von normal ist.

STANDARD: Wie groß ist der Einfluss der Trainer und Serviceleu­te? Die haben enorme Macht. Wen stellt der Trainer fürs Rennen auf, wenn er annähernd gleich gute Läuferinne­n hat? Welcher Läuferin gibt der Serviceman­n den schnellste­n Ski? Was muss sie dafür tun? Mich wundert gar nicht, dass viele Sportlerin­nen und Sportler sexuell freizügig waren und sind. Wenn man das System durchstehe­n will, muss man locker mit dem Thema umgehen und die Macht- und Gewaltkomp­onente annehmen oder verdrängen. Sonst wird man ausgesiebt und sich selbst überlassen. Jeder will die Nummer eins werden. Die Nummer zwei interessie­rt kaum noch. Und der, der Stams schon nach drei Wochen verlassen hat, weil er es psychisch nicht gepackt hat, interessie­rt niemanden.

STANDARD: Nicola Werdenigg hat über ihre eigene Vergewalti­gung durch einen Teamkolleg­en in den 70ern berichtet und angedeutet, sie wisse, dass es auch in den 2000erJahr­en zu Übergriffe­n kam. Wie stehen Sie zu Werdenigg? Ihren Schritt an die Öffentlich­keit finde ich toll, er zeugt von großer Stärke. Endlich wird an diesen über Jahrzehnte ausgebilde­ten Strukturen ernsthaft gerüttelt – erst jetzt, obwohl Generation­en davon etwas mitgekrieg­t haben. Werdenigg hilft vielen Betroffene­n und trägt dazu bei, künftige Gewalttate­n zu verhindern.

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