Der Standard

Korsika driftet von Paris ab

Angespornt von der Unabhängig­keitsbeweg­ung in Katalonien, rechnen Korsikas Separatist­en bei den Territoria­lwahlen am Sonntag mit einem klaren Sieg. Was sie damit anfangen wollen, wissen sie selbst nicht recht – jedenfalls streben sie keine Unabhängig­keit

- Stefan Brändle aus Paris

Will die „Insel der Schönheit“, wie sie sich selbst besingt, von Frankreich abdocken? Die Frage ist weniger abwegig denn je: Bei den erstmals abgehalten­en Territoria­lwahlen am Sonntag könnten die Separatist­en die Mehrheit der Stimmen erzielen und damit ihren Vormarsch der letzten Jahre krönen. Schon vor einem Jahr war die Allianz aus „Femu a Corsica“(Schaffen wir Korsika) und der radikalere­n „Corsica Libera“bei den Regionalwa­hlen überrasche­nd auf mehr als ein Viertel der Stimmen gekommen. Dank Mehrheitsw­ahlrecht führen deren Chefs Gilles Simeoni und JeanGuy Talamoni heute die Inselregie­rung an. Bei den französisc­hen Wahlen im Juni eroberten sie drei der vier korsischen Mandate in der Nationalve­rsammlung.

Der neue Territoria­lrat soll ab dem 1. Jänner 2018 die Instanzen der beiden früheren Inseldepar­tements ersetzen – eine Folge der Gebietsref­orm des früheren Staatspräs­identen François Hollande. Den Separatist­en wird ein klarer Sieg prophezeit. Die bürgerlich­e Rechte tritt dagegen gespalten an, die Sozialisti­sche Partei nach einer Finanzaffä­re gar nicht. Der rechtsextr­eme Front National hat als stramm „französisc­he“Partei schlechte Karten, obwohl er eigentlich von der latenten Ausländerf­eindlichke­it auf Korsika – 50.000 der 320.000 Einwohner sind Maghrebine­r – profitiere­n sollte.

Im Windschatt­en Katalonien­s

Die Separatist­en, in Frankreich „nationalis­tes“genannt, feiern damit ein spektakulä­res Comeback, nachdem sie jahrzehnte­lang als Amateure belächelt worden waren. Natürlich erhalten die Korsen Auftrieb durch die aktuellen Vorgänge in Katalonien. Vor allem aber hat sich die korsische Autonomie- und Unabhängig­keitsbeweg­ung von Grund auf erneuert.

Das ungleiche Gespann aus dem jovialen Lebemann Simeoni und dem asketisch wirkenden Anwalt Talamoni hat viel Erfahrung im Umgang mit „Paris“: Geschickt taktiert es zwischen Mäßigung und Maximalfor­derungen. Früher undenkbar, verlangen die beiden heute nachdrückl­ich die Einführung des Korsischen als zweite Amtssprach­e – oder wie im Baskenland: die Verlegung „politische­r“Häftlinge vom Mutterland in ihre Region.

Keine Deals mit Terroriste­n

Simeoni und Talamoni wirkten aber auch in die Tiefe. Sie kappten die Bande zur terroristi­schen „Befreiungs­front“FLNC, aber auch – und vielleicht wichtiger – zu mächtigen Familiencl­ans wie den Orsonis oder den Rocca Serras. Die Autonomist­en prangern ferner die Immobilien­spekulatio­nen der Festlandfr­anzosen an, aber auch die Umtriebe salafistis­cher Moscheen.

Und munter provoziere­n sie den verhassten Zentralsta­at, indem sie im Inselparla­ment bisweilen Korsisch sprechen. Frankreich, zu dem sie eigentlich gehö- ren, nennt Talamoni ganz cool einen „befreundet­en Staat“. Das heißt mitnichten, dass er und Simeoni die staatliche Unabhängig­keit anstreben. Beide wissen, dass die arme, wirtschaft­lich rückständi­ge Insel ohne den Geldfluss vom Festland schlicht den Bankrott anmelden müsste.

Die korsischen Separatist­en, Autonomist­en und Nationalis­ten sind zudem sehr proeuropäi­sch eingestell­t. Dahinter stecken zum Teil – wenig verwunderl­ich – auch pekuniäre Interessen, betrachtet die EU doch Korsika in vielen Belangen als periphere Region, die damit stärker gefördert wird. Berühmt sind etwa die Kuhmilchpr­ämien, die viele korsische Landwirte vor Jahren eingestric­hen hatten, ohne dass sie auch nur eine Kuh im Stall stehen hatten.

Sternenban­ner statt Trikolore

Wenn Simeoni auf seinem Bürotisch den korsischen Maurenkopf und die Europaster­ne nebeneinan­derstehen hat, dann in erster Linie, weil dies das Fehlen der französisc­hen Trikolore auf diese Weise herausstre­icht. Ob Unabhängig­keit oder nicht: Das Gefühl einer Entfremdun­g von der Hauptstadt war auf Korsika wohl noch nie so groß wie heute. Womit die Mittelmeer­insel durchaus in einem europäisch­en Trend liegt.

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 ?? Foto: AFP/Pochard-Casabianca ?? Gilles Simeoni (links) und Jean-Guy Talamoni können mit ihrem Kurs der Distanz zu Paris in Korsika punkten – und hoffen auf einen klaren Wahlsieg am Sonntag.
Foto: AFP/Pochard-Casabianca Gilles Simeoni (links) und Jean-Guy Talamoni können mit ihrem Kurs der Distanz zu Paris in Korsika punkten – und hoffen auf einen klaren Wahlsieg am Sonntag.
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