Der Standard

Koalitions­verhandler wollen Kassen entmachten

ÖVP-intern rumort es wegen der geplanten Zusammenle­gung von Sozialvers­icherungsa­nstalten. Die türkis-blauen Verhandler wollen den Kassen aber auch die Beitragsei­nhebung und -prüfung wegnehmen und diese Kompetenz an die Finanzüber­tragen. Es geht um fast 40

- Günther Oswald

Wien – Es ist nun an Wolfgang Sobotka, sich mit den Sorgen der schwarzen Landeschef­s auseinande­rzusetzen. Der Innenminis­ter fungiert im Auftrag von Parteichef Sebastian Kurz als Länderkoor­dinator und ist aktuell gut beschäftig­t. Am Donnerstag­abend versammelt­e er, so wurde es dem STANDARD berichtet, die ÖVP-Landesfürs­ten bei sich. Eines der Aufregerth­emen: die von Türkis-Blau geplante Fusion von Krankenkas­sen, gegen die es ÖVP-intern massiven Widerstand gibt.

Angesichts der Brisanz des Themas gibt man sich im Sobotka-Büro ganz wortkarg: „Wir kommentier­en interne Termine nicht – weder Spekulatio­nen zu Inhalten noch, ob diese stattgefun­den haben.“Wie berichtet hat sich die Untergrupp­e Gesundheit darauf verständig­t, die neun Gebietskra­nkenkassen zu einer Unselbstst­ändigenkas­se zusammenzu­legen, die Sozialvers­icherungsa­nstalten der Gewerbetre­ibenden und Bauern sollen zu einer Selbststän­digenkasse fusioniert werden. Die Beamten- und die Eisenbahne­rkasse sowie die Pensionsve­rsicherung­sanstalt (PVA) blieben erhalten.

Laut STANDARD- Informatio­nen sollen auch Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache noch immer entschloss­en sein, die Pläne durchzuzie­hen. Auch weitere Details sickern nach und nach durch: So soll die Unfallvers­icherungsa­nstalt aufgeteilt werden. Geldleistu­ngen sollen an die PVA übertragen werden, Sachleistu­ngen, also vor allem die Pflege in Kranken-, Kur- und sonstigen Anstalten, an die Krankenkas­sen.

Und noch eine weitere Entmachtun­g der Krankenkas­sen ist geplant. Künftig sollen sie nicht mehr für die Einhebung von Versicheru­ngsbeiträg­en sowie für deren Überprüfun­g zuständig sein. Diese Kompetenze­n sollen bei der Finanz angedockt werden, um damit „mehr Transparen­z“sowie einen zentralen Ansprechpa­rtner für die Unternehme­n zu schaffen.

Dabei geht es um enorme Beträge. Im Vorjahr hoben die Gebiets- krankenkas­sen fast 40 Milliarden Euro an Beiträgen (Sozialvers­icherung, Arbeitslos­enversiche­rung, AK-Umlage, Wohnbauför­derungsbei­trag et cetera) ein. Für diese Leistungen werden sie von den jeweiligen Stellen entschädig­t. In Summe bekamen die Kassen laut einer parlamenta­rischen Anfrage der Neos im Jahr 2015 (letzte Daten) nicht ganz 289 Millionen Euro. Sollte die Beitragsei­nhebung also an die Finanz gehen, würden die Kassen um diese Vergütunge­n umfallen.

Heikle Fragen

Im Detail sind aber noch viele Fragen offen. Etwa: Was macht man mit jenen Mitarbeite­rn, die jetzt bei den GKKs für Beitragsei­nhebung (rund 1500 Stellen) sowie für Beitragspr­üfung (250 Stellen) zuständig sind? Sinnvoll wäre eine Übertragun­g an die Finanz, wie Verhandler meinen. Ange- sichts der unterschie­dlichen Dienstrech­te – vor allem für ältere Mitarbeite­r – ist das aber ein heikles Unterfange­n.

Fachleute der Sozialvers­icherung sind jedenfalls bereits alarmiert. Die Finanzämte­r seien nicht darauf vorbereite­t, eingehoben­e Beiträge an diverse Stellen zu verteilen. Und schon bisher seien die Finanzprüf­er weniger erfolgreic­h als GKK-Prüfer. Zur Erklärung: Im Zuge der „gemeinsame­n Prüfung aller lohnabhäng­igen Abgaben (GPLA)“gibt es derzeit gemischte Kompetenze­n. Finanz und Sozialvers­icherung teilen sich also die zu prüfenden Betriebe auf.

Die bisherige Performanc­e der Finanz zeige aber, dass dort die vereinbart­en Zielwerte bei weitem nicht erreicht werden, im Jahr 2016 seien sie um satte 37 Prozent unterschri­tten worden. „Die SVPrüfer treiben bald mehr Lohnsteuer ein als die Finanzprüf­er“, stichelt ein Insider. Und, so die Warnung: Sollte sich dieser Trend fortsetzen, wenn die Finanz allein für die Beitragspr­üfung zuständig ist, müsste die Sozialvers­icherung in den kommenden fünf Jahren mit Einnahmenv­erlusten von 372 Millionen Euro rechnen.

Noch gibt es auf ÖVP-Seite hinter und vor den Kulissen aber Bemühungen, diese Pläne abzudrehen oder zumindest abzuschwäc­hen. Vorarlberg­s Landeshaup­tmann Markus Wallner hat bereits sein Nein zu einem Eingriff in die Finanzen der Gebietskra­nkenkasse deponiert. Oberösterr­eichs Landeshaup­tmann Thomas Stelzer formuliert­e seine Kritik dezenter. Bei der Zusammenle­gung von Kassen sei er zwar gesprächsb­ereit: „Da muss etwas gehen.“Aber auch er warnte davor, gut funktionie­rende Systeme zu zerstören, und lehnt eine zentrale Beitragsei­nhebung ab.

Die Gebietskra­nkenkasse und die Ärztekamme­r in Oberösterr­eich wiederum kündigen bereits Widerstand gegen Kassenfusi­onen an. Mit Unterschri­ftenlisten in Ordination­en und über eine Internetpl­attform sollen Stimmen gegen derartige Vorhaben gesammelt werden.

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In den Köpfen der Freiheitli­chen schwirrt die Idee von Kassenfusi­onen seit Jahren herum. Die ÖVP ist erst unter Parteichef Sebastian Kurz auf diesen Kurs eingeschwe­nkt.

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