Der Standard

Erpressung­sprozess um Tschetsche­nen und das Codewort „Marmelade“

Acht Männer sollen Friseur und Ex-Arzt unter Druck gesetzt haben

- Michael Möseneder

Wien – Wega-Beamten mit Sturmgeweh­r, ein Metalldete­ktor, Kontrolle durch Verfassung­sschützer: Für österreich­ische Verhältnis­se ist das Verfahren gegen acht Tschetsche­nen, das am Freitag vor einem Schöffense­nat unter Vorsitz von Andreas Böhm begonnen hat, ein Hochsicher­heitsproze­ss. Die Männer sollen eine kriminelle Vereinigun­g gebildet und Erpressung­en begangen haben, wirft ihnen die Staatsanwä­ltin vor. Vorwürfe, die das Oktett wie die Verteidige­r abstreiten. „Es gibt hier wenige Beweise, nur viele Mutmaßunge­n“, formuliert es beispielsw­eise Anwalt Andreas Strobl. „Die Anklage wird zusammenbr­echen wie ein Kartenhaus“, prophezeit er.

Wirklich ins Rollen gekommen ist die Sache im Februar. Damals trafen sich zwei Gruppen von rund 30 Tschetsche­nen auf der Donauinsel. Passanten kamen die teils bärtigen Männer verdächtig vor, die Polizei kam und kontrollie­rte. Im Schnee wurden einige Waffen, darunter eine Maschinenp­istole gefunden, worauf sich die Ermittler näher für die Teilnehmer des Treffens zu interessie­ren begangen und deren Kontakte prüften und Telefonges­präche abhörten.

Nun geht es im Kern um zwei Vorwürfe: Ein Friseur soll von Jänner bis Sommer in Wien-Floridsdor­f erpresst worden sein – er sollte seinen Salon entweder schließen oder Schutzgeld zahlen, vermutet die Anklägerin. Der zweite Fall betrifft einen ehemaligen Arzt. Dem Mann wurde 2013 die Zulassung entzogen, dennoch stellte er weiter Rezepte aus. Der Verdacht: Die Angeklagte­n und eine zweite Gruppe stritten, wer die Rezepte bekommen sollte und die Medikament­e weiterverk­aufen durfte. Die Angeklagte­n sollen den ehemaligen Arzt mit einem Video von einer Rezeptüber­gabe erpresst und schließlic­h 50.000 Euro gefordert haben – die Auseinande­rsetzung zwischen den Gruppen gipfelte schließlic­h im Treffen auf der Donauinsel.

Hört man die persönlich­en Daten der Angeklagte­n, zeigt sich, dass zwei Umstände sie einen: Die zwischen 27 und 40 Jahre alten Männer sind anerkannte Flüchtling­e und arbeitslos. Zwei von ihnen sind unbescholt­en, die anderen haben bis zu sechs Vorstrafen, teils einschlägi­g.

Bei einigen der Angeklagte­n, etwa dem Mandanten von Verteidige­r Strobl, scheinen die belastende­n Indizien überschaub­ar. Er war zwar bei dem Treffen auf der Donauinsel, aber nur als Begleiter, der überhaupt keine Ahnung hatte, um was ging, behauptet er. Vor allem müsste er der gegnerisch­en Gruppe angehören, deren Chef laut Aussage eines anderen angeblich ein Polizeispi­tzel ist. In Telefonges­prächen kommt Strobls Mandant nie vor; ein Mitarbeite­r des Friseursal­ons hat ihn auf einem Foto identifizi­ert – der Besitzer selbst sagt allerdings, der Angeklagte sähe einem Erpresser ähnlich, sei es aber nicht.

Anderersei­ts vermutet die Staatsanwä­ltin, dass die Zeugen eingeschüc­htert seien. Und sie kann auf Protokolle von Telefonges­prächen verweisen, die beispielsw­eise drei Angeklagte verdächtig erscheinen lassen. Dort wird nämlich über den Besuch beim Friseur gesprochen und dass dieser zusperren solle, danach heißt es in einem Telefonat, dass man nun zu seinem Verteidige­r werde. „Ich wurde kontaktier­t, dass der Friseur Probleme mit Tschetsche­nen hat“, sagt einer der Angeklagte­n. „Wir sind aus Interesse hin und haben gesagt: ,Was wir machen können, werden wir machen.‘“Das sei aber als Vermittlun­gsangebot und nicht als Erpressung gemeint gewesen.

In einem anderen abgehörten Telefonat geht es zum Amüsement der Sprecher um die beste Quelle für „Marmelade“, die gut zu Tee schmecke und Grippe heile. Dass es sich dabei um ein Codewort handelt, wie die Staatsanwä­ltin vermutet, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Nur: Wofür, bleibt zunächst offen. Der Prozess ist vorerst auf drei Tage anberaumt.

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