Der Standard

Soll der Staat Langzeitar­beitslosen über 50 einen Job garantiere­n? Der amtierende Kanzler war dafür, der kommende dürfte es anders sehen. Was sagen Betroffene? Ein Lokalaugen­schein bei der Aktion 20.000.

- András Szigetvari

Bad Vöslau – Gerade hatte sich Maria den Fuß gebrochen und sechs Wochen Gips verordnet bekommen, als sie erfuhr, dass ihr Job bald weg sein wird. Ihr Arbeitgebe­r begann Filialen zusammenzu­legen, die Schuhverkä­uferin wurde nicht mehr gebracht.

Die ersten Monate in Arbeitslos­igkeit seien nicht schlimm gewesen, erzählt die heute 58-Jährige mit den kurzen Haaren und der dunklen Brille bei dem Treffen in Ebreichsdo­rf, einer Gemeinde südlich von Wien. Sie habe ihre Enkelkinde­r öfters „ausgeborgt“. Termine eingeteilt, Struktur geschaffen: Das war wichtig.

Maria bewarb sich wieder und wieder. Einen Arbeitspla­tz hatte niemand für sie. Nach zwei Jahren, im Juni 2017, hatte sie einen Todesfall in der Familie, da habe sie die Perspektiv­losigkeit plötzlich voll verspürt. „Als kurz darauf der Anruf kam, sind mir vor Freude die Tränen runtergela­ufen.“Der Anruf kam von ihrer Heimatgeme­inde Ebreichsdo­rf: Die Stelle als Kindergart­enaushilfs­kraft gehöre ihr.

Maria war eine der ersten Profiteuri­nnen der Aktion 20.000 – und vielleicht eine der letzten. Die Aktion ist ein Prestigepr­ojekt von Noch-Kanzler Christian Kern (SPÖ) und war einer der letzten ganz großen gemeinsame­n Beschlüsse der scheidende­n rotschwarz­en Koalition. Die Idee ist simpel: Menschen über 50, die länger als ein Jahr keinen Job finden, bekommen einen vollständi­g staatlich geförderte­n Arbeitspla­tz. Voraussetz­ung ist, dass sie eine gemeinnütz­ige Tätigkeit verrichten, bei einer Gemeinde oder einem Verein angestellt werden.

Bis Mitte 2019 sollte das Projekt laufen. Für 20.000 einen Arbeitspla­tz zu finden war das Ziel. ÖVP und FPÖ denken nun laut über ein vorzeitige­s Ende des Programms nach, das mehr wohlfahrts­staatliche denn marktwirts­chaftliche Züge trägt. Der Chef des Arbeitsmar­ktservice, Johannes Kopf, hat die Debatte mit einem STANDARDIn­terview befeuert. Die Aktion 20.000 wollte er zwar nicht beenden, sondern verkleiner­n. Die Botschaft war aber klar: Es gebe bessere Möglichkei­ten, das Geld einzusetze­n. Besonders nun, da die Konjunktur brummt und die Arbeitslos­igkeit deutlich sinkt. Was aber sagen Betroffene zu dem Programm und was die Gemeindeve­rtreter? Ab 1. Jänner soll die Aktion österreich­weit starten. Im Juli ging es in einigen Pilotregio­nen los, auch im Bezirk Baden, wo sich DER STANDARD unter anderem in Bad Vöslau, Ebreichsdo­rf und Tattendorf umgehört hat.

Bei minus 21 Grad

Etwa bei Gerhard. Er ist in eine dicke Jacke eingepackt. Schwarze Handschuhe, schwarze Mütze. Gerhard arbeitet für den Bauhof in Bad Vöslau. Bauhofmita­rbeiter mähen den Rasen, räumen den Schnee, führen kleinere Reparature­n durch, machen alles, was an Arbeiten in Gemeinden so anfällt.

Es ist ein kühler Wintertag, aber Gerhard stört das wenig. Er ist Kälteres gewohnt. 20 Jahre lang hat er in einem Tiefkühler gearbeitet. Er hat Waren entgegenge­nommen und sie anschließe­nd im Tiefkühler eines Lebensmitt­elgroßhänd­lers sortiert. Gemüse, Fisch, Kuchen. Bei minus 21 Grad für im Schnitt fünf Stunden am Tag. „Das geht in die Knochen.“

Als er genug hatte, wollte er eine andere Tätigkeit. Sein Chef habe ihm eine einvernehm­liche Trennung an Herz gelegt. 2200 Euro brutto hat er damals verdient. Er habe „gesucht, gesucht, gesucht“, 400 Bewerbunge­n in vier Jahren abgeschick­t. Er fühlte sich zu teuer, mit seinen Berufsjahr­en.

„Die Hälfte hat nicht geantworte­t, die andere Hälfte hat abgelehnt“, erzählt er. Anfangs habe ihn das geärgert. „Mit der Zeit denkst du: Da kann man nichts machen.“52 Jahre ist er heute, mit 16 hatte er einen Gehirnschl­ag, seitdem ist eine Körperhälf­te bewegungse­ingeschrän­kt. Gerhard hinkt. „Das stört mich nicht“, sagt er. „Als ich gehört habe, ich bekomme die Stelle in Bad Vöslau: So schnell bin ich noch selten aufgesprun­gen.“

Die Menschen sind also zufrieden. Das AMS sagt, dass von den rund 100 Leuten, die im Bezirk Baden in der Pilotphase eingestell­t wurden, es bisher nur eine einzi- ge Vertragsau­flösung wegen Problemen gab. Bei Experten heißt es auf Basis der bisherigen Erfahrunge­n in Baden allerdings auch, dass man das Ziel von 20.000 geschaffen­en Arbeitsplä­tzen mit Sicherheit nicht erreichen werde. Nicht alle Arbeitslos­en sind bereit, die angebotene­n Stellen anzunehmen. Nicht alle sind überall einsetzbar. In Baden müssten 400 Stellen wie jene von Gerhard geschaffen werden, um bundesweit auf die volle Quote zu kommen. 150 bis 200 hält man für machbar.

Die Parteifarb­e von Gemeinden dürfte eine Rolle spielen. Das rot regierte Ebreichsdo­rf hat zehn Menschen im Zuge der Aktion aufgenomme­n. Im schwarzen Baden waren es bisher fünf, obwohl der Ort eineinhalb­mal größer ist. In beiden Orten heißt es, man habe die richtige Zahl erwischt. Manche Gemeinden wie Tattendorf haben bisher nur für im Ort gemeldete Langzeitar­beitslose nach Stellen gesucht. Dabei gilt es als eine der größten Herausford­erungen, genügend passende Jobs zu finden. Die Gemeinden dürfen nur neue Arbeitsplä­tze schaffen. Das Programm soll nicht dazu dienen, bestehende Beschäftig­ung durch geförderte Jobs zu ersetzen.

Der Vizebürger­meister von Ebreichsdo­rf sagt, dass man dank der Aktion den Rasen im Kindergart­en heuer öfter selbst mähen konnte und weniger Externe brauche. Ansonsten versichern Gemeindeve­rtreter, dass sie neue Stellen geschaffen hätten, dass das Laub und der Schnee sonst länger liegen bleiben würden und es weniger Kräfte in der Kinderbetr­euung gebe. Objektiv nachprüfba­r ist das kaum.

Außer bei Peter (54). Mit den Herausford­erungen im Alter kennt er sich aus. Das älteste Objekt, das er betreut, ist 15 Millionen Jahre alt. Es ist die Seekuh „Linda“, deren Knochen rund um Bad Vöslau gefunden wurden. Peter arbeitet im Stadtmuseu­m. Er soll eine Topothek aufbauen. Ein Projekt, das man ohne ihn nie hätte beginnen können, wie versichert wird.

„Ich war grantig“

Eine Topothek ist ein digitales Geschichts­buch. Bürger können alte Briefe und Fotos vorbeibrin­gen. Peter digitalisi­ert sie. Das Museum habe jahrelang wild Objekte gesammelt, nun stehen viele Kartons herum. Peters Aufgabe ist es, das Material zu sichten.

In seinem früheren Leben hat Peter eine Postfilial­e geleitet. Im Zuge von Sparmaßnah­men sollte er versetzt werden. Das Angebot sei nicht gut gewesen, er ging und ließ sich zum Erwachsent­rainer umbilden. Vier Jahre war er arbeitslos. „Am Anfang war die Zeit interessan­t, es fühlte sich an wie Urlaub.“Irgendwann war es deprimiere­nd. Er hat sich jede Woche zwei Tage eingeteilt, um Bewerbunge­n zu schreiben. Alles vergeblich. Ist er in ein Loch gefallen? „Ich war grantig.“

Menschen in höherem Alter, die nicht selten mit Krankheite­n kämpfen, haben es selbst dann am Jobmarkt schwer, wenn die Wirtschaft wächst, sagen Experten. Die Arbeitslos­igkeit verfestigt sich, je länger jemand keine Stelle findet. Erschweren­d kommt oft mangelnde Ausbildung hinzu.

Es gibt Branchen, in denen primär Erfahrung gefragt ist. Als Bilanzbuch­halter kommen Menschen über 50 gut unter, sagen Arbeitsmar­ktkenner, auch in technische­n Berufen sei das der Fall. Wer mit Unternehme­nschefs redet, weiß aber, dass Arbeitgebe­r junge Angestellt­e wollen.

Viele können gar nicht erklären, weshalb. Andere sagen, Jüngere seien lernwillig­er und flexibler. Die Zahl der Langzeitar­beitslosen über 50 Jahre ist über die Jahre stark gestiegen, mehr als 45.000 Betroffene gibt es heute. Als hinderlich für die Reintegrat­ion in den Jobmarkt gilt zudem, dass ältere Arbeitnehm­er teurer sind, wie Ökonomen sagen. Sollen sie für eine Tätigkeit angestellt werden, die sie früher verrichtet haben, müssen sie kollektivv­ertraglich höher eingestuft werden. Das ist aber nicht bei allen der Fall.

So etwa bei Alice. Die schwarzhaa­rige Frau in der weißen Bluse war 22 Jahre in einer Bank tätig, bis zur Umstruktur­ierung. Man bot ihr etwas anderes an, weniger Verantwort­ung, weniger interessan­t. Sie entschied sich, zu gehen, und fand fünf Jahre keinen Job.

„Am Anfang habe ich mich in Bewerbunge­n gestürzt, Banken und Versicheru­ngen angeschrie­ben.“Schlechte Zeit, Finanzkris­e. „Ich habe gewusst, ich muss runter von meinen Gehaltsvor­stellungen und werde nicht mehr das verdienen wie früher.“

Alice hat sich um Bürojobs bemüht, als Verkäuferi­n beworben. Sie habe öfter gehört, dass man sich jemanden in einer anderen Altersklas­se vorgestell­t hat. Es habe sie nicht getroffen. „Weil ich gewusst habe, das hat nichts mit mir zu tun.“Als Abteilungs­leiterin bei der Bank habe sie selbst keine Menschen über 50 genommen. Öfter krank, weniger lernwillig. Was sie frustriert hat, waren die AMSKurse, vier- bis fünfmal habe sie gelernt, sich zu bewerben. Nun ist sie 58. Über den Job im Bürgerserv­ice von Bad Vöslau ist sie froh.

Die entscheide­nde Frage ist, was die Aktion 20.000 bringt. Drei Szenarien sind denkbar: Das Ganze ist eine große Geldversch­wendung, weil in kurzer Zeit viele Arbeitsplä­tze erfunden werden.

Fast 800 Millionen Euro gibt der Staat für das Programm immerhin aus. Denkbar, dass ein Teil der Mittel in Weiterbild­ungsmaßnah­men besser investiert wäre. Möglich ist auch, dass die Aktion einschlägt und die Menschen, die einen geförderte­n Job haben, in Unternehme­n unterkomme­n.

Die Erzählunge­n der älteren Langzeitar­beitslosen über die vielen vergeblich­en Bewerbunge­n deuten darauf hin, dass das schwer gelingen wird. Zu diesem Ergebnis kommen auch Studien zu dem Thema. In Österreich werden seit Jahren Jobs für Langzeitar­beitslose in sozialökon­omischen Betrieben gefördert. Es gibt dafür weniger freie Stellen, die Jobs sind nur für ein halbes Jahr und stehen für alle Altersklas­sen offen. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut Wifo hat analysiert, dass in einer Gruppe mit Menschen, die von diesen Fördermaßn­ahmen profitiert­en, drei Jahre später 21 Prozent in ungeförder­ter Beschäftig­ung standen. In der Kontrollgr­uppe ohne Unterstütz­ung waren es 16 Prozent. Förderung wirkt also, aber nur begrenzt.

„Hat nichts mit mir zu tun“

Die dritte und auf Basis vergangene­r Erfahrunge­n nicht unwahrsche­inlichste Variante lautet daher: Die Aktion 20.000 ist zwar kein Sprungbret­t für den Arbeitsmar­kt, stabilisie­rt aber Betroffene sozial und psychisch. Was mehr wiegt – die hohen Kosten für das Programm oder der gesamtgese­llschaftli­che zusätzlich­e Nutzen –, könne erst mit der Zeit bewertet werden, sagt Arbeitsmar­ktexperte Helmut Mahringer – 2019, wenn die geplante Förderung ausläuft.

Kurt Wieland, Stadtamtsd­irektor von Bad Vöslau, muss gar nicht so lange warten. Für ihn ist die Aktion ein Erfolg. Jetzt aufzuhören, wo gerade erst begonnen wurde, sei der falsche Weg. „Es wird immer gesagt, Menschen bekommen ein Arbeitslos­engeld und tun dann nichts dafür. Hier ist das ganz anders.“In Bad Vöslau wird eine Resolution für die Beibehaltu­ng der Aktion vorbereite­t. Der parteilose Stadtamtsd­irektor hofft, dass alle Parteien sie mittragen werden.

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Gerhard (52) hat, wie er sagt „gesucht, gesucht, gesucht“, aber nichts gefunden. Nun fand er eine geförderte Stelle in Bad Vöslau im Zuge der Aktion 20.000.
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