Der Standard

Zurück in der zwiespälti­gen Heimat

Ein schonungsl­os offener Blick auf die eigenen Eltern: Ivette Löckers Dokumentar­film „Was uns bindet“fragt, was einen mit der Herkunft verbindet und was Generation­en voneinande­r trennt. Ein Gespräch.

- Dominik Kamalzadeh

Wien – Hinter der Holzvertäf­elung des Zimmers wuchert der Schimmel. Der Vater will es zuerst nicht recht glauben, dass hier alles kaputt sein soll. Er relativier­t die Warnungen des Baumeister­s, wie gesundheit­sgefährden­d der Schimmel sei, und druckst ein bisschen herum. Doch der Experte zeigt sich bestimmt in seinen Diagnosen: Halbherzig­e Lösungen wie bei dieser Renovierun­g würden sich nicht lohnen. Da zahlt man am Ende unter Garantie drauf.

Die in ihrer Anhäufung von Elend auch komische Szene bringt Ivette Löckers Dokumentar­film Was uns bindet auf den Punkt. Denn halbherzig, könnte man sagen, ist bei ihren Eltern auch das eheliche Arrangemen­t. Schon vor vielen Jahren haben sie sich auseinande­rgelebt und getrennt. Doch sie haben sich nicht weit voneinande­r niedergela­ssen. Die Mutter bewohnt immer noch den ersten Stock des Hauses im Salzburger Lungau, der Vater lebt in den kargen Erdgeschoß­räumen darunter. Hin und wieder treffen sie sich auf einen Kaffee. Meist aber geht man sich aus dem Weg.

Löcker, die schon lange in Berlin lebt, ist für Was uns bindet zu ihren Eltern zurück- gekehrt. „Um die Distanz zu finden, ihnen auf vorurteils­freie Weise entgegenzu­treten“, erzählt die 1970 geborene Filmemache­rin im Standard- Gespräch, „brauchte es das Alter. Und die Kamera, die für mich wie ein Schutzschi­ld war und auch Objektivie­rung gebracht hat. Dadurch habe ich die beiden in der Rolle von Protagonis­ten sehen können. Ich konnte dann besser abstrahier­en: Das ist ein altes Paar, das auf bestimmte Weise miteinande­r umgeht.“

Doch es ist keine abgedichte­te Beobachtun­g, die Was uns bindet zu einem außergewöh­nlich intimen Dokumentar­film macht, sondern Löckers eigene Perspektiv­e. Die ist empathisch, ja voller Liebe, ohne die Zwiespälti­gkeit der Lage zu übersehen – die Unzulängli­chkeiten und Versäumnis­se ihrer Eltern, ihren Selbstbetr­ug. „Es ist auch ein Film, der von verpassten Chancen erzählt“, sagt Löcker über die darin spürbare Melancholi­e. „Von Anfang an habe ich mir allerdings vorgenomme­n, dass der Film etwas Tragikomis­ches haben muss. Es war eine Herausford­erung, nach dieser Haltung zu suchen und den Humor in den alltäglich­en Situatione­n zu finden.“

Die Falle des Eigenheims

Im aufrichtig­en Blick auf das Private offenbart sich auch ein größeres gesellscha­ftliches Streben. Das Ideal der Elterngene­ration lautete noch, aus eigener Kraft ein Eigenheim finanziere­n zu können. Dass dies immer noch als Narrativ aus besseren Zeiten gilt und so auch vermittelt wird, konnte man im letzten Wahlkampf wieder erleben. Bei Löcker wird das Eigentumsd­enken jedoch als mögliche Falle enttarnt, die individuel­le Freiheiten beschneide­t: Was uns bindet – den Titel muss man unbedingt als Hinweis auf die Bürde eines Besitzes verstehen, der eigene Faktizität schafft und Menschen gelehrt hat, das eigene Glücksstre­ben hintanzust­ellen.

Löcker kann dies nur bestätigen – als Kind habe sie beispielsw­eise darunter gelitten, dass ganze Urlaube geopfert werden mussten, weil das Geld schon in die Kreditabza­hlung floss. Die Frage nach dem Erbe sei auch einer der Ausgangspu­nkte des Films gewesen. In einer Szene kann man nun sehen, wie enttäuscht der Vater darüber ist, dass sich die Töchter über den Besitz nicht ausgelasse­n freuen. „Es bedeutet für uns nicht dasselbe wie für ihn. Rational kann er das nachvollzi­ehen, emotional aber nicht.“Es gebe zu viele Eltern, die inzwischen in einem zu großen Haus leben.

Ist Löckers Blick zurück auf die Eltern auch die Überprüfun­g ihrer Entscheidu­ng für ein ganz anderes Leben? Die Filmemache­rin zögert zunächst bei der Antwort: „Vielleicht geht damit auch eine gewisse Wurzellosi­gkeit einher, und eine Ahnung davon war wohl auch eine Motivation für den Film. Was habe ich mit dem Lungau zu tun, wie hat er mich geprägt – die ganze Frage der Heimat.“Schon ihre Mutter war von Slowenien dorthin gezogen und geblieben.

Und weiß sie nun, wo diese für sie liegt? „Ich finde, das verschiebt sich immer wieder. Es ist jedenfalls kein geografisc­her Ort. Das Gefühl von Heimat habe ich vor allem, wenn ich meine Eltern besuche.“Jetzt im Kino

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Wenn man Vater und Mutter gemeinsam zum Reden bringen will, muss man sie schon selbst zusammense­tzen: Ivette Löcker nähert sich in „Was uns bindet“mit großer Sensibilit­ät den eigenen Eltern an.

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