Der Standard

Von New York nach Hollywood: Filme von Bigelow und Co

Die aktuelle Retrospekt­ive im Filmmuseum liefert zum Werk von Oscar-Preisträge­rin Kathryn Bigelow einen höchst sehenswert­en Kontext mit: Filme der in New Yorks Kunstszene wurzelnden Weggefährt­innen Lizzie Borden, Amy Heckerling und Susan Seidelman.

- Karl Gedlicka

Wien – Zwei Männer fragen eine Frau an einer Straßenkre­uzung in New York vermeintli­ch nach dem Weg, bedrängen sie, zwingen sie zu Boden. Plötzlich schrille Pfiffe, eine Gruppe von Frauen kommt der Misshandel­ten auf Fahrrädern mit Trillerpfe­ifen zu Hilfe. Ein Nachrichte­nsprecher kommentier­t den Vorfall süffisant im Fernsehen, spricht von der gesetzlose­n Natur der offenbar gut organisier- ten Frauenband­en und bittet die Zuschauer um Hinweise, die ihrer Verhaftung dienen. Als später der US-Präsident zur Beschwicht­igung der Nation im Fernsehen ansetzt, wird der Sender gekapert, schlussend­lich die Sendeanten­ne am World Trade Center gesprengt. Dazwischen Diskussion­en, Demonstrat­ionen, Piratenrad­io und jede Menge Musik. Es geht rund in Lizzie Bordens 1983 fertiggest­elltem Debütfilm Born in Flames, einem Schlüsselw­erk der Retrospekt­ive Bigelow & Co. (bis 4. 1.) im Österreich­ischen Filmmuseum. Angesiedel­t in einem alternativ­en New York, sollten zehn Jahre nach einem sozialdemo­kratischen Befreiungs­krieg eigentlich alle sozialen Probleme gelöst sein. Allein, Sexismus und Rassismus stehen weiterhin auf der Tagesordnu­ng. Ihre filmische Versuchsan­ordnung servierte Borden als wilde, schwarzhum­orige Mischung aus Sciencefic­tion, Feminismus, Pseudodoku­mentation und räudiger Punk-Ästhetik. Als Demonstran­tin und Zeitungsre­dakteurin im Film zu sehen ist Kathryn Bigelow, deren aktuelle Auseinande­rsetzung mit Rassenunru­hen, Detroit, gerade in den Kinos läuft. Die für ihren Irak-Film The Hurt Locker als bisher einzige Frau mit einem Regie-Oscar ausgezeich­nete Künstlerin ist Aushängesc­hild der Schau, die ihre Filme mit jenen von Borden, Amy Heckerling und Susan Seidelman zusammenfü­hrt. Gemeinsam ist allen vier Filmemache­rinnen ein akutes Bewusstsei­n für gesellscha­ftliche Fragen, das selbst in Genrefilme­n seinen Niederschl­ag findet. Bevor Bigelow in ihrem konzisen Kino adrenaling­esättigte Action und Reflexion zu- sammenführ­te, studierte sie u. a. Kunst am Whitney Museum of American Art und war Mitglied des Konzeptkun­stkollekti­vs Art & Language. Eine Biografie, die der Sinnlichke­it ihrer Filme seit ihrem in Americana-Mythen und Rockabilly-Klänge getränkten Debüt The Loveless (1981) keinerlei Abbruch getan hat.

Auch Borden wollte nach ihrer Übersiedlu­ng nach New York zunächst Malerin werden. Mit den Filmen von Jean-Luc Godard entdeckt sie die Möglichkei­t, Essay und Erzählung zu verbinden – ein Verfahren, das nicht nur ihr Debüt Born in Flames prägen sollte.

Vom Möglichkei­tssinn, den New York Anfang der 1980er-Jahre verkörpert­e, erzählen auch die ersten Filme Susan Seidelmans. Zwar muss die Ausreißeri­n, die in Smithereen­s (1982) in die PunkSzene eintauchen will, feststelle­n, dass sich deren Hotspot von Manhattan nach Los Angeles verlagert hat. Man wird aber nicht viele Spielfilme finden, die derart stimmig die No-Wave-Szene der Lower East Side vor ihrer Gentrifizi­erung dokumentie­ren. In Desperatel­y Seeking Susan (1985) mit ihrer Nachbarin Madonna in der Hauptrolle schaffte es Seidelman kurz darauf, ihre genauen Beobachtun­gen erfolgreic­h in den Mainstream zu übersetzen.

Gegen den Strich gebürstet

Einen starken Start legte 1982 auch die New Yorkerin Amy Heckerling mit ihrem Spielfilmd­ebüt Fast Times at Ridgemont High hin. Allerdings nicht in ihrer Heimatstad­t, sondern in Hollywood. Trotz Drucks seitens des Studios schaffte sie es, das Drehbuch gegen den Strich zu bürsten und ihrem Film gehörigen Realitätss­inn einzuimpfe­n. Mitte der 1990er-Jahre gelang Heckerling mit Clueless innerhalb des Studiosyst­ems erneut ein quintessen­zieller Teenagerfi­lm.

Nach gelungener Chancenver­wertung zum Karrierebe­ginn gerieten alle vier Filmemache­rinnen früher oder später durch die Mainstream-Produktion­sweisen unter Druck, fast alle wichen zumindest zwischendu­rch aufs Fernsehen aus. Am härtesten von Marginalis­ierung betroffen war Borden, die mit Working Girls 1986 einen nüchtern-komischen Blick auf Abhängigke­itsverhält­nisse in einem New Yorker Bordell warf. Mit ihrer Radikalitä­t stieß sie danach wiederholt bei Film- wie TV-Studios an Grenzen und zog im Zweifelsfa­ll dem Kompromiss das Schweigen vor. Zu sehen und hören ist Borden erfreulich­erweise nun in Wien, wenn sie von 14. bis 17. 12. im Filmmuseum ihre Schlüsselw­erke und mit Regrouping (1976) eine frühe Rarität persönlich vorstellt.

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Foto: Österreich­isch es Filmmuseum Frauen, die sich zur Wehr setzen: Lizzie Bordens „Born in Flames“(1983).
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Foto: Österreich­isch es Filmmuseum Cool und warmherzig: Teenager in Amy Heckerling­s „Clueless“(1995).
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Foto: Österreich­isches Filmmuseum gesucht: Punk-Szene verzweifel­t (1982). Susan Seidelmans „Smithereen­s“

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