Der Standard

„Hat er schon wieder eines fertig?“

Die Künstlerin Amina Handke ist seit 1969 die Tochter des Schriftste­llers Peter Handke, der am 6. Dezember 75 Jahre alt wird. Der Versuch eines Interviews über den berühmten Vater. INTERVIEW:

- Manfred Rebhandl

Standard: Frau Handke, Sie haben gerade einem Bettler für eine absurd hohe Summe gebrauchte Taschentüc­her abgekauft. Handke: Ja, aber ist das wirklich ein guter Anfang für unser Gespräch?

Standard: Durchaus. Haben Sie diese Großzügigk­eit von Ihrem Vater geerbt? Handke: Also das kann man echt von ihm lernen, großzügig ist er wirklich, vor allem, was Geld angeht. Er schimpft ja immer mit mir, wenn ich dem Taxifahrer nicht mindestens fünf Euro Trinkgeld gebe, er selbst übertreibt dann immer, aber er kann es sich halt auch leisten im Gegensatz zu mir. Ich war ja immer total gerührt, wenn irgendwo ein Straßenmus­iker herumstand mit Akkordeon, da fange ich immer gleich an zu heulen. Aber mein Vater hat mich dann immer total ermutigt, er wollte mir das Weinen ja nicht abgewöhnen, das war schon sehr wichtig, dass er mir nichts abgewöhnen wollte. Und nachdem ich selbst kein Kleingeld hatte, hat er mir immer welches gegeben und gesagt: „Jetzt geh schon hin!“Das war mir dann immer peinlich, wenn er mich da vorgeschic­kt hat.

Standard: Haben Sie früh mitbekomme­n, dass Ihr Vater kein ewiger Stipendiat bleiben wird, sondern ein wohlhabend­er Weltstar ist? Handke: Na ja, er war ja schon erfolgreic­h, als ich geboren wurde, da hatte er bereits Die Hornissen geschriebe­n. Er hat also nie gekellnert oder so, das ging ja zack bei ihm mit dem Erfolg. Als Kind nimmt man das aber alles nicht so wahr, da denkt man sich im Kindergart­en eher: Die anderen haben aber echt komische Eltern, wo der Vater die ganze Woche arbeitet oder weg ist. Erst viel später merkt man, dass der eigene Vater nicht der Norm entspricht. Aber mit drei Jahren denkt man nicht so viel darüber nach, was das ist: ein Weltstar, oder ein Schriftste­ller. Erst viel später habe ich ihn mal gefragt, was gewesen wäre, wenn er nicht berühmt geworden wäre, er hatte ja damals auch Jus studiert. Und wer weiß, vielleicht wäre er gar nicht so schlecht gewesen, so als Philipp-Marloweähn­licher Jurist. Getrunken hätte er sicher mehr. Ich glaube, ihm wär’s nicht gutgegange­n dabei.

Standard: Immerhin wäre er dann Dr. Handke gewesen. Handke: Doktor ist er ja mittlerwei­le eh, Ehrendokto­r der Uni Stadt Klagenfurt. Und dann wollte ihm das Land Kärnten einen Orden verleihen, aber nur den Silbernen, und dann hieß es: Aber der Udo Jürgens hat den Goldenen gekriegt, also was soll der Scheiß? Wurde alles noch mal zurückgezo­gen, und jetzt, glaube ich, diskutiere­n sie wieder. Aber wenn alle ehemaligen Kärntner Landeshaup­tleute automatisc­h den Orden in Gold kriegen, dann würde er sich insgeheim schon geärgert haben über den Silbernen, außerdem hat er ja eh auch schon den Nobelpreis nicht gekriegt! Der wäre ihm, glau- be ich, sogar wichtiger gewesen als das Ehrenzeich­en in Gold, nachdem ihn ja die Jelinek gekriegt hat, und das bedeutet: Es ist möglich! Auch als Österreich­er! Aber nach der Jelinek dann halt praktisch unmöglich, weil die so schnell keinen Österreich­er mehr nehmen werden. So oder so erfahre ich das aber nie von ihm selbst, wenn er einen Preis kriegt oder irgendwas, sondern zum Beispiel über meinen ehemaligen Tierarzt, dem ich regelmäßig begegne, der ruft mir dann über die Gasse zu: „Na, Ihr Vater hat ja schon wieder was gekriegt!“Und ich rufe dann zurück: „Was denn?“Und er ruft dann: „Na, waaß i jetzt a net so genau!“

Standard: Haben Sie an seinem Geburtstag immer die Kerzen in die Torte gesteckt und „Happy Birthday“für ihn gesungen? Handke: Kerzen nie, Happy Birthday auch nie! Aber zum Muttertag mussten wir in der Schule einen Kochlöffel anmalen, und den habe ich halt dann sechs Monate später meinem Vater geschenkt, den hat er auch brauchen können, weil er hat ja wirklich gut gekocht für mich, und damit war das mit dem Schenken auch erledigt. Hauptsache, er hat etwas Selbstgeba­steltes gekriegt. Er ist ja doppelter Schütze im Sternzeich­en …

Aber zum Muttertag mussten wir in der Schule einen Kochlöffel anmalen, und den habe ich halt sechs Monate später meinem Vater geschenkt, den hat er auch brauchen können ...

Standard: … Schwierige­r Typ? Handke: … Ganz schwierig, vor allem mit Frauen! Und Geschenke, das muss schon etwas sehr Spezielles sein, aber Spezielles findet er eh selber, eben Schwammerl oder Vogelfeder­n oder Steine oder irgendwas, also schwierig. Zu seinem 70er habe ich ihm mit einem Jahr Verspätung ein besticktes Tischtuch geschenkt, aber nicht so normal mit Blümchen, sondern so in Grau mit Fliegen drauf und Flecken. Er selbst stickt ja auch und stopft, seine Shirts zum Beispiel sind oft so voll mit ausgebesse­rten Stellen, dass man ihn manchmal fragt, von welchem Designer er die hat.

Standard: Da fühlt er sich nicht in seiner Männlichke­it beschnitte­n, wenn er stopft? Sein Verleger Unseld hätte wohl nicht gestopft. Handke: Das beschneide­t ihn überhaupt nicht, und Unseld war halt auch kein Künstler. Der hat immer „Nich wahr!“gesagt und war irrsinnig laut und hatte einen roten Kopf. Mein Vater hat ja bis heute keinen Sekretär und beantworte­t auch seine Post selbst, er ist nicht wie diese Künstlerkü­nstler, die nicht mal ihr Telefon bedienen können. Er macht alles selbst, obwohl er ja nicht in allem so geschickt ist …

Standard: Hat er sich mal beim Glühbirnen­wechseln verletzt? Handke: Nein, aber vor kurzer Zeit hat er sich die Hand gebrochen, als er gegen den Gartenzaun geschlagen hat in seinem Haus in Charville. Der Hund vom Nachbarn hatte so laut gebellt, und da ärgert er sich immer, also schlug er mit einem dicken Goethe-Buch in der Hand gegen den Zaun und brach sich den Mittelhand­knochen. Er hat, glaube ich, panische Angst vor Hunden, und richtig aufregen kann er sich über das laute Bellen. Die Nachbarn hatten einen Schäferhun­d als Alarmanlag­e in der Garage eingesperr­t, der war total gaga. Einmal ließen sie ihn raus, da hat er gleich mich angefallen, sie konnten ihn gerade noch zurückreiß­en, und dann kam natürlich der Spruch: „Der tut ja eh nichts!“Auf Französisc­h.

Standard: Sind Sie als Kind mit ihm Einkaufen gegangen? Handke: Na ja, er hat mich nach der Schule immer abgeholt, dann sind wir meistens essen gegangen, viel Chinesisch. Und einkaufen? Hosen? Ja, doch, da hat er mich nach meiner Meinung gefragt. Vielleicht war er deswegen oft so komisch bunt angezogen, fällt mir jetzt ein, vielleicht habe ich ihm das aufgeschwa­tzt? Ich kann mich erinnern, dass er manchmal gefragt hat: „Passt die Hose zu dem Hemd?“Und ich habe halt immer sehr gerne Farben gehabt als Kind, und mir war nicht bewusst, dass das halt vielleicht für Männer … na ja, aber da war ich vielleicht vier Jahre alt.

Standard: er? Handke: Hm, mal nachdenken. Gab’s da schon die Krone? Nein, die Krone hat er nicht gelesen, mehr so französisc­h. Aber was mir jetzt einfällt: Er hat die Zeitungen immer so genommen und durchgeblä­ttert, aber so richtig gelesen hat er sie, glaube ich, nicht, mehr so geblättert, geblättert, geblättert … Und, ach ja, er las natürlich den Spiegel. Einmal, es muss in den 70er-Jahren gewesen sein, zeigte er mir die Bestseller­liste, die er ge-

Welche Zeitungen las Die Zeit ist reif, uns von lieben alten Überzeugun­gen zu trennen. Jahrhunder­telang haben wir geglaubt, unsere Erde sei eine – oben und unten angedepsch­te – Kugel, die sich wie eine Art kosmischer Germknödel um ihre eigene Achse rotierend durch die Weiten des Alls bewegt. Nun mehren sich die Anzeichen, dass dieses Weltbild nicht der Wirklichke­it entspricht. Vielmehr scheinen wir es mit Fake-News zu tun zu haben, die von Sonderling­en wie Galilei, Kopernikus und Konsorten fahrlässig in Umlauf (!) gebracht wurden.

Ehe die szientisti­schen Schlaumeie­r unter meinen Lesern Protestsch­reie ausstoßen: Schon einmal selber da oben gewesen? Den angebliche­n „Erdball“mit eigenen Augen gesehen? Na eben. Dann sind Ihnen gewiss auch die sensatione­llen Forschunge­n des Amerikaner­s Mike Hughes unbekannt, der sich dieser Tage mit einer selbstkons­truierten Rakete in der kalifornis­chen Wüste in die Luft schießen wird, um den Beweis zu erbringen, dass die Erde doch eine Scheibe ist. Wie Hughes dies genau bewerkstel­ligen will, hat er nicht verraten. Vermutlich hofft er darauf, bei seinem Flug aus dem Orbit dicke Schichten von Scheibenkl­eister am Horizont zu entdecken.

Jedes bahnbreche­nde Forschungs­projekt beginnt mit einer Frage, die einem Pionier keine Ruhe mehr lässt. Im Fall von Hughes lautete diese Frage: Wie kann es möglich sein, dass ein kugelförmi­ger Planet einen Flachkopf wie mich hervorbrin­gt? Auch ein misslungen­er rade anführte. Und als er dann nicht mehr drauf war, war ich ziemlich enttäuscht irgendwie ziemlich böse auf den Spiegel …

Standard: Kinder erinnern sich an den Geruch der Eltern. Handke: Mein Vater hat ja nie geraucht. Aber wenn er fortging, dann hatte er die Angewohnhe­it, dass er, wann immer auch, in der Nacht noch auf einen Sprung zu mir ins Zimmer kam und mich fragte: „Schläfst du?“Was ich natürlich nicht mehr tat. Und zwar nachdem er mich aufgeweckt hatte! Er strich mir dann über den Kopf und roch dabei nach Zigaretten und Wein, auch nach Essen. Das war ein schönes Ritual, von dem wir mehrere hatten. Das war immer ein sehr schönes Aufwachen. Standard: Haben Sie ihm einmal gesagt: „Schreib nicht so viel!“? Handke: Als ich angefangen habe, seine Bücher zu lesen, habe ich mir das schon manchmal gedacht. Kaum hatte ich eines fertig gelesen, waren schon wieder drei neue heraußen …

Standard: Wieder zwei che“über irgendwas.

Die Versuche gingen ja noch, die waren ja dünn. Aber nicht diese 900-Seiten-Teile. Da hab ich mir dann schon gedacht: Na, geh bitte! Jetzt muss ich das auch lesen, ich würde gerne mal was anderes lesen! Aber ich les eh viel anderes auch …

„Versu-

Standard: Haben Sie denn alles gelesen von ihm?

Ja schon. Aber nicht mit dem Ehrgeiz, alles lesen zu müssen, sondern aus Interesse. Ich möchte ja wissen, was er macht, und da er eh nicht viel redet, ist das eine Chance, etwas über ihn zu erfahren. Dann denke ich mir beim Lesen: „Aha. Ah so. Wieso?“Ich mag seine Bücher ja, er schreibt nicht so Dicke-Hose-Literatur. Und ich mag seine stummen Stücke wie Das Mündel will Vormund sein total gerne, das finde ich irrsinnig witzig, das hat was von Chaplin. Ich find’s ja total super, wenn nicht gesprochen wird am Theater, das ist für mich das Schwierigs­te überhaupt am Theater, dass da nie auch nur eine Minute die Klappe gehalten wird. Ich habe dann mal für die Gruppe 80 die Ausstattun­g gemacht, und Das Mündel fängt ja damit an, dass das Mündel auf der Bühne sitzt und einen Apfel isst, aber so richtig mit Butzen und allem. Und dann ist der Apfel aufgegesse­n, und das Mündel kramt in seiner Tasche ganz lange herum und holt einen erster Flugversuc­h samt Absturz, nach dem sich Hughes länger mit Dingen wie Liegegipse­n und Krückengeh­en beschäftig­en musste, konnte ihn nicht von seinem Forscherdr­ang abbringen. Natürlich schlug ihm auch die Häme der Skeptiker entgegen: „Was ist der Unterschie­d zwischen einem Auto und Mike Hughes? Das Auto hat einen Scheibenwi­scher, Mike Hughes hat einen Scheibenhu­scher.“

Leider sind inzwischen hässliche Gerüchte aufgekomme­n, Hughes ginge es gar nicht um einen Scheibenbe­weis, sondern darum, im Internet mit einer Pay-per-View-Site seiner Experiment­e ein paar Dollars zu machen. Wie auch immer: Wenn Hughes mit seinen Raketenflu­gplänen scheitert, kann er sich ja immer noch um den Posten des Wissenscha­ftsministe­rs in unserer neuen Regierung bemühen. Dort hat man für alle Retroideen großes Verständni­s. zweiten Apfel heraus und fängt an, auch den zu essen. Und in dem Moment, wo es in den zweiten Apfel hineinbeiß­t, ist die Hälfte des Publikums hinausgera­nnt, die haben das nicht ausgehalte­n, dass da nichts gesprochen wird. Dass mein Vater da mit einem Apfel etwas Unerwartet­es hergestell­t hat, das fand ich schon genial.

Standard: Dann ist Ihr Vater ein Genie in etwas zu bunten Kleidern? Handke: Das weiß ich jetzt nicht. Ich weiß ja nicht, was ein Genie ist. Aber hab ich mal was kritisiert an ihm, dann kam aus irgendeine­r Ecke jemand daher und sagte: „Er ist doch ein Genie!“Als wäre das ein Grund, ihn super zu finden! „Oh, der verkochte Reis ist von einem Genie! Da schmeckt er doch gleich viel besser!“Es gibt Dinge, für die ich ihn bewundere, und es gibt Dinge, wo ich mir denke: „So ein Depp.“Wenn einem jemand so nahe ist und man ihn liebt, dann ist es ja unmöglich, Dinge zu übersehen, die blöd sind. Es sei denn, man ist selber total verpeilt.

Standard: Wie gefällt Ihnen denn sein neues Buch? Handke: Was, welches Buch? Hat er denn schon wieder eines fertig?

Standard: Ja, er ist wieder gewandert! Haben Sie einmal gedacht: Der mit seinem Wandern! Handke: Weiß ich gar nicht. Er geht ja jeden Tag, er wird ja stinksauer und ungenießba­r, wenn er nicht gehen kann. Aber irgendeine­n Grund wird es schon haben, dass ich selbst total ungern spazieren gehe, das kann ich überhaupt nicht leiden. Zum Glück haben meine Eltern ein Hüftproble­m bei mir nicht rechtzeiti­g kuriert, insofern kann ich das jetzt vorschütze­n, weil, wenn ich ein paar Stunden gehe, so wie neulich, dann tut mir alles weh. Ich war natürlich beim Orthopäden, und der hat gesagt, man wird halt nichts mehr machen können außer operieren. Und ich habe gefragt: „Und wie schaut’s aus mit Yoga?“Da hat er gesagt: „Ist auch okay.“Also mache ich jetzt erst mal Yoga.

Standard: Der Vater ist nach wie vor in Topform? Handke: Bis auf die Zehen, die ihm mal fast abgefroren sind, und sein Herz, na ja. Und die Zähne sind auch nicht mehr so toll.

Standard: Aber Haare hat er noch genug. Beinahe mehr als sein Freund Wim Wenders. Handke: Ja, Haare haben sie beide genug.

Standard: Jetzt unter uns: Hat er das Reißen in den Waden? Duscht er nachts kalt, um schlafen zu können? Handke: Nein, nein. Aber er nimmt gerne Vitamin-C-Präparate, von denen glaubt er, dass sie gegen Schlaflosi­gkeit helfen.

Amina Handke ist Künstlerin und lebt in Wien. Sie ist die Tochter von Libgart Schwarz und Peter Handke, aufgewachs­en ist sie bei ihrem Vater. Sie hat einige Bühnenbild­er zu seinen Stücken und viele Umschlagze­ichnungen für seine Bücher gestaltet. Sie arbeitet derzeit u. a. an einer filmischen Bearbeitun­g von „Kaspar“.

Manfred Rebhandl, geboren 1966, lebt als Autor in Wien. Er schreibt Krimis, Drehbücher und Reportagen für Zeitungen, u. a. für den ALBUM Mag. Mia Eidlhuber (Redaktions­leitung) E-Mail: album@derStandar­d.at

Ich mag seine Bücher ja, er schreibt nicht so Dicke-Hose-Literatur. Und ich mag seine stummen Stücke wie „Das Mündel will Vormund sein“total gerne, das finde ich witzig ...

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„Zu seinem 70er habe ich ihm mit einem Jahr Verspätung ein besticktes Tischtuch geschenkt, aber nicht so normal mit Blümchen, sondern so in Grau ...“
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Vater und Tochter: der Schriftste­ller Peter Handke mit Amina 1971. Handke: Handke:
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