Zwei Versuche einer Begegnung
Notizen einer Annäherung: Bald 50 Jahre begleitet Peter Hamm als Kritiker und Freund Handkes Werk. Rolf Steiner gerät über das Schwärmen nicht hinaus.
Mit den Jahren wurde es eine Lebensfreundschaft, und wohl hat keiner so lange und intensiv auf Handkes Bücher reagiert. Dabei hat es 1968 keineswegs amikal begonnen: 1968 bezog Peter Handke in einem Aufsatz gegen den Jargon des SDS Stellung und nannte ihn schamlos. In einer Erwiderung bezeichnete Peter Hamm Handkes Diskussionsbeitrag „Totgeborene Sätze“als „preziös“. Das alles spielte sich in der Zeit ab, für den Kritiker, Essayisten und Lyriker Hamm war es die erste Auseinandersetzung mit Handke, folglich steht sie in seinem Sammelband Peter Handke und kein Ende auch ganz am Anfang, allerdings ohne jede Erklärung, ohne jeglichen Kommentar. Wer bitte weiß heute, was der SDS war? Und würde man sich von einem solchen Buch nicht einen Anhang, einen literarhistorischen Apparat erwarten, der dem heutigen Leser die damaligen Hintergründe bekanntmacht?
Hier zur Info: Der SDS war der Sozialistische Studentenbund Deutschlands, ein Sammelbecken der Neuen Linken in Westdeutschland, das in der Studentenbewegung der 1960er-Jahre eine wichtige Rolle spielte.
Auch in Hamms folgendem Beitrag, einem 1969 in der Zeitschrift Konkret erschienenen Aufsatz, in dem weniger Handke selbst als dessen „modisches Image“analysiert wird, wird auf den Konflikt mit dem SDS eingegangen – da war offenbar viel Reibung in einer ohnehin spannungsgeladenen Atmosphäre, und mittendrin Handkes Werk: Als 1969, in der Inszenierung von Claus Peymann, sein Stück Der Mündel will Vormund sein in Frankfurt uraufgeführt wurde, kam es zu massiven Tumulten, weil SDS-Mitglieder die Aufführung störten. Er sei „halt auch ein Kind der Zeit“gewesen, bemerkte Handke später einmal.
Literatur diente damals eben nicht der Unterhaltung, es gab, und zwar heftig, einen „Diskurs“, den Hamm – und das ist der Wert dieses wichtigen Buches – stetig fortgeschrieben hat. Eine Entwicklung, der sich nicht nur Handke aussetzte, die auch Peter Hamm mit der Zeit vom HandkeKritiker zum Handke-Versteher werden ließ. „Jetzt kann er ich sagen“, schrieb er 1972 wohlwollend im Spiegel, als Der kurze Brief zum langen Abschied erschien. Schon bei der Angst des Tormanns beim Elfmeter, so Hamm, habe sich ein „Umschwung“angekündigt: „Handke war erst einmal ein Fall, sehr viel später ein Autor.“
Von nun an auf dem Weg zu den höheren Weihen, wird er von Hamm mit kritischer, fast akribischer Treue begleitet. 1995 hält Hamm die Laudatio anlässlich der Verleihung des Schiller-Preises und ruft dabei Kafkas Prozess in Erinnerung, denn Handkes erzählerisches Werk, so Hamm, wolle ihm „als der immer neue Versuch einer Zurücknahme von Kafkas Prozess erscheinen“, mehr noch als „Erlösung Kafkas, mithin Erlösung des Zeitalters“– oder wie es bei Handke heißt, des „verfluchten Jahrhunderts“. Vielleicht wurde darauf der Fokus noch zu wenig gelegt, dass sich Handkes Werk als Gegenposition zum Existenzialismus versteht, denn nicht nur habe er „das Schwierigste und Höchste gewagt, was ein Schriftsteller nach Kafka überhaupt wa- gen konnte, nämlich erzählend wieder für Weltvertrauen zu werben und Weltvertrauen zu schaffen“, sondern das „Daseinsverhängnis“als „Daseinsgabe“, eigentlich „Daseinsaufgabe“aufzufassen und anzunehmen. Dafür steht auch Handkes Hinwendung zur Natur, die Bezüglichkeit zu Goethe, Stifter oder Cezanne, aus der eines der beeindruckendsten Handke-Bücher hervorgegangen ist: Die Lehre der Sainte Victoire.
Was das „Schöne, Wahre und Gute“, fern dem Klassikpathos, nun ist, das hat Hamm mit der Klarsicht eines Montaigne zu Papier gebracht: Seine Lobrede aus dem Jahr 1995 ist ein so elementarer und luzider Essay, dass es sich allein darum lohnt, dieses Buch zu kaufen. Wer sich mit Handke auseinandersetzen und daraus ein ästhetisch-intellektuelles Vergnügen beziehen möchte, der wird mit Peter Hamm reich belohnt werden. Seine Aufsätze sind kritisch-analytisch und erhellend, mit einem stilistischen Feinschliff, den man heute im Feuilleton zunehmend vergeblich sucht.
Als großer Handke-Bewunderer meldet sich auch der Schriftsteller und bildende Künstler Rolf Steiner zu Wort, aber seine Form der Annäherung ist – leider – eine völlig andere, allzu schwärmerische. Das beginnt schon 1966, da ist er gerade vierzehn, als er zum ersten Mal Hey Joe von Jimi Hendrix hört. Die Schwärmerei für Handke beginnt später, genau genommen beginnt sie mit Handkes 1991 erschienenem Versuch über den geglückten Tag, ein Lektüreerlebnis, das sich in Steiners enthusiastischem Tonfall so liest: „Es war, als setzten die Worte, ein jedes mit Schwingen versehen, an verschiedenen Stellen meines Körpers an und lüpften mich mit vereinten Kräften empor. Ein feierliches Gefühl ergriff mich, das bald in ein Die-Arme-in-die-LuftStrecken (…) überging“, um dann in einem „Erleuchtet-Sein vom Unermesslichen“(ein UngarettiZitat) zu gipfeln.
Das mag man sich besser nicht vorstellen. Es genügt, wenn der Autor dem angebeteten Dichter Nüsse nach Chaville schickt und ihn seinen „Holunderkönig“nennt – so der Titel des Textes, den Steiner am Neujahrstag 2007 unter Handkes Gartentor durchschiebt. Als er später bei ihm zu Gast ist, gibt es Rinderschinken, Schafskäse, Nüsse … Fehlt nur noch die Erklärung, was Handke mit Holunder zu tun hat. Dazu Steiner: „wenn ich ihn mir als Pflanze vorstelle, dann als Brombeere (…), nein, besser: als Holunder“, nämlich: wegen des „Farb- und Haltungswechsels“bei der „subtilen“Verwandlung von Blüte zu Frucht. Alles klar.
Peter Hamm, „Peter Handke und kein Ende. Stationen einer Annäherung“. € 20,60 / 164 Seiten. Wallstein, Göttingen 2017
Rolf Steiner, „Der Holunderkönig. Von einem, der auszog Peter Handke zu treffen“. € 19,90 / 200 Seiten. Haymon, Innsbruck 2017