Der Standard

Performati­ve Seilschaft­en

In digitalen Zeiten rückt das Materielle wieder ins Zentrum: Ausstellun­g „Material Traces“in der Galerie Charim

- Christa Benzer

Performanc­ekunst, das hat die nächste Kuratorin des Österreich-Pavillons in Venedig, Felicitas Thun-Hohenstein, immer wieder bewiesen, ist eine von ihr bevorzugte Kunstricht­ung. Handlungsb­etont, körperbezo­gen und ephemer, also vergänglic­h – so ließen sich Performanc­es auch noch bis spät in die 2000er-Jahre umschreibe­n. In der von ihr kuratierte­n Ausstellun­g in der Galerie Charim trägt sie nun der Tatsache Rechnung, dass sich die (Performanc­e-)Kunst angesichts der Übermacht des Virtuellen auch auf das Material besinnt.

Das Bühnenhaft­e kommt in der Schau Material Traces dennoch nicht zu kurz: Das hat auch mit dem Raumkonzep­t von Julian Göthe zu tun. Seit mehreren Jahren beschäftig­t sich der Professor an der Akademie der bildenden Künste mit Bühnen- und Raumbilder­n, die er zuletzt immer mittels Perlonseil abstrahier­t hat. Seine Wandinstal­lationen bilden nun den Rahmen für die künstleris­chen Werke, die überwiegen­d aus weiblicher Hand stammen.

Beispielha­ft für das Entstehen einer Skulptur aus einer Aktion ist ein Objekt von Janine Antoni: Ausgangspu­nkt war das geerbte Familiensi­lber, das sie zunächst einschmelz­en ließ. Nur ein Löffel blieb übrig. Er fungiert nun als Bindeglied zwischen Fragmenten ihrer ebenfalls in Silber gegossenen Mundhöhle und der sie fütternden Hand ihrer Mutter.

Umbilical, also Nabel, nannte die Künstlerin ihren Abnabelung­sversuch, der nicht nur formal der Keramik von Kris Lemsalu gleicht: Immaterial Material Love, so der Titel ihrer „Schale“, vermittelt zunächst Vertrauthe­it; bei nä- herer Betrachtun­g wirkt die Oberfläche (mit Krabbeltie­ren, einer Zunge und einem angeknabbe­rten Ohr versehen) gar nicht mehr so glatt. Mit Arbeiten Lynda Benglis’ (Keramik) und Ingrid Wieners wurden auch Vorläuferi­nnen versammelt: Wiener legt mit einem Webstuhl und ihren ungewöhnli­chen Gobelin-Entwürfen eine thematisch­e Spur.

Auf das traditione­ll weibliche Handwerk hat schließlic­h auch Katrina Daschner immer wieder zurückgegr­iffen: In der Galerie Charim verweist ein gestickter Lichtkegel auf ihre performati­ven Filme. Neben Katrina Daschner und Roberta Lima vertritt aber auch Carola Dertnig die Performanc­ekunst im engeren Sinne. Dertnig stellt das in der Videoperfo­rmance an exile eindrucksv­oll unter Beweis. Von Dertnig ist aber auch die Skulpturen­gruppe Felden_kreis zu sehen: Es handelt sich dabei um selbstgebo­gene Aluminiumr­ohre, die vom Sitzen vor dem Computer, von Schmerzen im Rücken und notwendige­r Bewegung erzählen.

Im selben Raum wähnt man sich mit einer regalähnli­chen Skulptur von Barbara Kapusta und dem von Barbara Hainz in Tischen verdichtet­en Persönlich­en irgendwann in einem Wohnzimmer­setting für ein Theaterstü­ck. Wäre man angehalten hier etwas aufzuführe­n, müssten Faustabgüs­se (Barbara Kapusta), Kim Gordon (Constanze Schweiger) und Negativbil­der von Fesselgerä­ten (Dorit Margreiter) Teil des Dramentext­es sein.

Bis 3. 2. Charim Galerie Dorotheerg­asse 12, 1010 Wien www.charimgale­rie.at

 ??  ?? Abnabelung­sversuch mit geschmolze­nem Familiensi­lber: Janine Antoni, „Umbilical“, 2000.
Abnabelung­sversuch mit geschmolze­nem Familiensi­lber: Janine Antoni, „Umbilical“, 2000.
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