Der Standard

Tausche Einfamilie­nhaus gegen Wohnung

Die Alten haben zu viel Platz, die Jungen zu wenig: Wenn die Kinder aus dem Haus sind, wird Senioren ihr Haus oft zu viel. Junge Familien können sich dafür keines leisten. Warum nicht tauschen, meinen manche.

- Franziska Zoidl

Wien – Gerade noch füllten die fünf Kinder das oberste Stockwerk mit ihrem Stimmengew­irr. Dann waren sie auch schon erwachsen und ausgezogen. Das Haus von Ulrike Altmüller und ihrem Mann im oberösterr­eichischen Gramastett­en fühlte sich plötzlich groß und vor allem leer an. „Ein 80-jähriger Nachbar hat mir dann gesagt: Wenn du alt bist, bleib nicht hier heraußen“, erzählt sie. Denn wer in den Ort oder zum Arzt muss, ist auf ein Auto angewiesen. Der Weg ins Zentrum ist weit.

„Wir sind dann einmal mit der Familie beisammeng­esessen, und ich habe gefragt: Was sollen wir denn mit dem Haus tun?“, erinnert sich die rüstige Seniorin. Eine Tochter bekundete Interesse. Das Timing war perfekt: Gerade waren im Zentrum Gramastett­ens Wohnungen in Bau, eine davon kauften die Altmüllers. Was ihnen bei der Entscheidu­ng wichtig war: die fußläufige Erreichbar­keit von Kirche und Arzt. Vom zweistöcki­gen Einfamilie­nhaus, in das die Tochter samt Familie einzog, verkleiner­te sich das Paar auf 54 m². An das Leben mit mehr Platz erinnerte bald nur noch ein Wandschran­k, den sie mitnahmen.

Rückblicke­nd war die familiäre Lösung, die mittlerwei­le 17 Jahre zurücklieg­t, die richtige Entscheidu­ng, ist die 77-jährige Ulrike Altmüller überzeugt: „Ich war einfach froh, wieder im Ortszentru­m zu sein. Und es ist sogar schön, nicht mehr so viel Platz zu haben.“Auch wenn viele den Schritt nicht verstanden hätten: „Sie haben sich gewundert, warum wir unser schönes Haus verlassen. Aber was bringt das schönste Haus, wenn es leersteht?“

Derart glückliche Fügungen innerhalb der Familie finden sich nur selten, erzählt Walter Eichinger, Geschäftsf­ührer des Immobilien­entwickler­s Silver Living mit Fokus auf betreutes Wohnen: „Wir beobachten oft, dass ältere Menschen ihr Haus für eine barrierefr­eie Wohnung hergeben, den Kindern das Haus aber zu weit von der Stadt weg ist.“Als Folge würden die Häuser dann leerstehen.

Der Problemati­k ist man sich besonders im Bregenzerw­ald bewusst. Hier gibt es das Projekt „Alte Bausubtanz“von der Regio Bregenzerw­ald, das den Erhalt der typischen Bregenzerw­älder Häuser unterstütz­t. Einige teilnehmen­de Gemeinden bieten den älter werdenden Bewohnern ungenutzte­r bzw. wenig genutzter Bauern- und Einfamilie­nhäuser zunehmend Wohnaltern­ativen an. „Früher“, berichtet der Krumbacher Bürgermeis­ter Arnold Hirschbühl, „haben in den Bauernhäus­ern mehrere Generation­en gewohnt.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg seien dann mit dem wachsenden materielle­n Wohlstand immer mehr Einfamilie­nhäuser gebaut worden. „Diese Häuser werden im Alter zur Last“, sagt Hirschbühl. Er setzt, auch um der Zersiedelu­ng Einhalt zu gebieten, in seiner Gemeinde auf Mehrwohnhä­user im Zentrum mit einem Mix aus Miet- bzw. Mietkauf- und Eigentumsw­ohnungen – und bietet Familien, Singles und Senioren Platz.

Dabei wird darauf Wert gelegt, dass die Wohnhäuser eine ähnliche Kubatur wie die Bauernhäus­er haben und sich in die Bautraditi­on des 1000-Einwohner-Ortes einfügen. „Die Akzeptanz für diese Wohnform ist bei uns in den letzten Jahren extrem gestiegen“, so Hirschbühl. Früher sei eine Mietwohnun­g auf dem Land mit sozialem Abstieg gleichgese­tzt worden.

Der Bürgermeis­ter selbst hat mittlerwei­le seinen Hof an den Sohn übergeben und lebt in einer solchen Wohnung. Und er kennt weitere Beispiele: „Von uns würde niemand mehr rausziehen“, sagt er. Denn dank guter Infrastruk­tur sei man bei den Wohnungen im Zentrum nicht mehr auf ein Auto angewiesen.

70 Wohnungen wurden von gemeinnütz­igen bzw. einem priva- ten Bauträger in den letzten Jahren in Krumbach errichtet, in den nächsten Jahren sind 40 bis 50 weitere geplant. „Und jedes Haus, das errichtet wird, ist voll“, betont Hirschbühl. Einige alte Bauernhäus­er stehen aktuell trotz aller Bemühungen leer – oft weil die ältere Generation sich nicht davon trennen kann. Noch nicht: „Mittelfris­tig wird die Substanz genutzt, dafür muss man aber Geduld haben“, so Hirschbühl.

Bauernhäus­er nachverdic­hten

Bei anderen Bauernhäus­ern im Bregenzerw­ald wird dafür sogar nachverdic­htet: Immer öfter werden die Wirtschaft­strakte alter Bauernhäus­er umgebaut, damit die jüngere Generation neben der Elterngene­ration im alten Bauernhaus einziehen kann, berichtet Angelika Schwarzman­n, Bürgermeis­terin von Alberschwe­nde.

Sie kennt auch einen Fall, in dem die Eltern in eine zentrumsna­he Wohnung gezogen sind und den Kindern ihr Einfamilie­nhaus überlassen haben. Diese haben es architekto­nisch ansprechen­d umgebaut. Ein Beispiel, das Schule machen könnte: Die Gemeinde will künftig mit gemeinnütz­igen Bauträgern zusammenar­beiten, um im Zentrum betreubare Wohnungen zu schaffen. „Wir müssen mobiler werden“, fasst Krumbachs Bürgermeis­ter Hirschbühl die Herausford­erung für Alt und Jung zusammen: „Wir können nicht mehr von der Geburt bis zum Tod in einem Haus wohnen.“

 ??  ?? Das Wohnen der Zukunft könnte mobiler als heute sein: das Mehrgenera­tionenwohn­haus „Neues Leben“, links im Bild, in Krumbach.
Das Wohnen der Zukunft könnte mobiler als heute sein: das Mehrgenera­tionenwohn­haus „Neues Leben“, links im Bild, in Krumbach.

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