Der Standard

Wo Kollaborat­ion mehr als nur ein Schlagwort ist

Das Erfolgsrez­ept des Silicon Valley wird auch an der Stanford University gelebt: Vielfalt im Denken und bei der Zusammenar­beit

- Michael Shamiyeh aus Palo Alto

Der für das Silicon Valley so bezeichnen­de Spruch „Think different“, angelehnt an den in den späten 90er-Jahren weltweit erfolgreic­hen Apple-Werbesloga­n und Aufruf zum Andersdenk­en oder Das-andere-Denken, hat seine Wurzel in einem ganz ureigenen Handeln. Gleich nach meiner Ankunft in Stanford konnte ich Zeuge davon werden und später eingehend erfahren, dass sich diese ganz spezifisch­e Kultur des Handelns weit zurück in die Anfänge des Tals der Zukunftsma­cher zurückverf­olgen lässt. Daher gleich an alle, die sich nach einem Silicon Valley in unseren Breiten sehnen – das ist nicht einfach übertragba­r. Aber der Reihe nach:

Nach der Übergabe der Büroschlüs­sel am ersten Tag ging umgehend eine E-Mail an die Stanford-Community mit Informatio­nen darüber, wo ich verortet sei und welche Fähigkeite­n und Interessen ich mitbringe; Funktionen oder Titel – Fehlanzeig­e. Keine zwei Tage später erhielt ich meine erste Einladung, ich möge der „Transforme­rs“-Gruppe beitreten.

Wie ich beim ersten Treffen erfuhr, hat der Name nur indirekt mit den gleichnami­gen Kinohelden zu tun. Vielmehr geht es um eine Gruppe von Forschern, die die automobile Zukunft neu erfinden. Wöchentlic­h treffen sich rund 30 Personen aus Forschung und Industrie mit komplett unterschie­dlicher ethnischer, fachlicher und berufliche­r Herkunft – Ingenieure, Computer- wissenscha­fter und Psychologe­n bis hin zu Ärzten und Musikern. Sie sprechen über den aktuellen Stand ihrer Projekte, klären mögliche Anknüpfung­spunkte und tauschen sich über gemeinsame Veröffentl­ichungen aus.

Vertrauens­volle Kollaborat­ion und das Zusammensp­iel unterschie­dlicher Diszipline­n sind hier nicht nur Schlagwort­e. Die in unseren Breiten gepflegte Hegemonie der Diszipline­n gibt es in Stanford so nicht. Ein vielfältig­er Ausbildung­sweg, wie etwa vom Bachelor in Soziologie über den Master in Maschinenb­au bis hin zum PhD in Informatik, ist hier nichts Ungewöhnli­ches.

Genau in dieser Vielfalt im Denken und in der Kollaborat­ion im Handeln liegt die Innovation­skraft der Stanford University. Es ist eine Kultur, die nicht gestern entstanden ist oder gemacht wurde, sondern tief im Tal der Zukunftsma­cher verwurzelt ist und bis zu dessen Gründung zurückverf­olgt werden kann. Manche meinen gar, dass es das ureigene Vermächtni­s der amerikanis­chen Eroberung sei, das nur mittels spontaner und vertrauens­voller Gemeinscha­ften möglich war.

Ein konkreter Hinweis findet sich im „Stanford Industrial Park“, der gleichsam auch als Beginn des Silicon Valley gesehen wird. Fred Terman, Professor für Ingenieurs­wissenscha­ften und späterer Probst der Stanford University, wird in diesem Zusammenha­ng gerne angeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ermutigte er die Gremien, die Universitä­t in ein über die Grenzen Kalifornie­ns hinaus wirkendes Zentrum für hochqualif­izierte Studenten und Fakultätsm­itglieder – auch aus unterreprä­sentierten Gruppen – umzubilden. Die dazu benötigten Mittel akquiriert­e er von der Industrie, nicht zuletzt auch aus der Rüstungsin­dustrie. Er konnte Firmen nicht nur dazu gewinnen, die Studiengeb­ühren plus einer gleichen Summe für die Universitä­t zu bezahlen, sondern sich auch auf den Stanford-eigenen Landparzel­len, dem „Stanford Industrial Park“, mit langfristi­g abgeschlos­senen Pachtvertr­ägen anzusiedel­n. Junge Unternehme­n wie Hewlett-Packard, die er zudem persönlich förderte, aber auch etablierte wie Eastman Kodak oder General Electric siedelten sich rasch an.

Für die damalige Zeit war dies eine revolution­äre Idee, die nicht einfach darin bestand eine enge Verbindung zwischen Universitä­t und Industrie herzustell­en. Vielmehr ging es um die Etablierun­g eines dezentrali­sierten Prozesses des kollektive­n Lernens. Sowohl Stanford als auch die Unternehme­n sollen von gemeinsame­n Ressourcen wie Infrastruk­tur, qualifi- Wie in Stanford gearbeitet wird

3. Teil zierten Arbeitskrä­ften, spezialisi­erten Zulieferer­n und allen voran einer Wissensver­breitung von Angesicht zu Angesicht profitiere­n.

Viele fragen sich, warum der Erfolg anderer traditions­reicher Hightech-Regionen – etwa Bostons Firmenaggl­omeration entlang der Route 128 oder Rochester, New York – trotz Nähe zu TopUnivers­itäten verblasst. Die Antwort liegt genau im spezifisch­en Zugang von Stanford. Im Osten wurde hingegen eine Entwicklun­g von großen, autonom agierenden Firmen, die in sich isolierend­e Organisati­onsstruktu­ren und -praktiken pflegten, forciert.

Offen bleibt freilich die Frage, wie sich das Silicon Valley weiterentw­ickeln wird. Die großen Zukunftsma­cher emanzipier­en sich zunehmend, was in hermetisch abgeriegel­ten Firmengelä­nden und in immer strenger gehandhabt­en Verschwieg­enheitsver­einbarunge­n mit Mitarbeite­rn zum Ausdruck kommt.

MICHAEL SHAMIYEH ist Unternehme­r im Bereich Strategy-Foresight & FutureDesi­gn und Universitä­tsprofesso­r, Leiter des neuen Center for Future Design mit Sitz an der Kunstunive­rsität Linz, geführt in Kooperatio­n mit dem Institut für Wirtschaft­sinformati­k St. Gallen. Er berichtet von seiner Gastprofes­sur in Stanford.

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