Brexit: Fortschritte, aber keine Einigung
Kommissionschef Juncker will noch vor EU- Gipfel mit Theresa May Lösung erarbeiten
Dass Jean-Claude Juncker und Theresa May gemeinsam Mittagessen oder sich in kleinstem Kreis zu einem Arbeitsdinner verabreden, hat seit dem Referendum zum EU-Austritt Großbritanniens im Juni 2016 fast schon Tradition. Das erste dieser Art fand vor gut einem Jahr statt.
Damals wollte der EU-Kommissionspräsident etwas von der britischen Premierministerin: endlich Klarheit, ob und wie man mit London überhaupt konstruktiv in die Brexit-Verhandlungen einsteigen könne. Dafür fuhr er damals extra nach London, hinein ins Tohuwabohu der britischen Konservativen und robusten EU-Gegner.
Am Montag war es umgekehrt. Da kam May nach Brüssel, sie braucht dringend etwas von Juncker. Denn die britische Wirtschaft leidet, auch weil unklar ist, welche Art von Marktbeziehungen das Land nach dem für März 2019 geplanten EU-Austritt zu Union und Binnenmarkt haben wird. Die Brexit-Gespräche dümpeln seit Herbst 2016 dahin, bisher ohne wirklich brauchbare Ergebnisse, weil Mays parteiinterne Hardliner Zugeständnisse an die EU-Partner torpedieren. So konn- ten die von den Staats- und Regierungschefs 2016 als „Prioritäten“festgelegten drei Hauptfragen für die Brexit-Verhandlungen bisher nicht geklärt werden: erstens, wie das künftige Drittland Großbritannien mit der (heute offenen) Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland umgeht – die Iren wollen nicht abgeschnitten werden. Zweitens, wie die Rechte von rund 3,2 Millionen EU-Bürgern, die in Großbritannien leben und arbeiten, garantiert werden.
Und drittens, dass London voll zu seinen als EU-Mitglied eingegangenen Finanzverpflichtungen steht. Dazu hatte man sich zuletzt angenähert, die Briten könnten für gut 40 Milliarden Euro über 2019 hinaus geradestehen.
Neue Handelsbeziehungen
Erst wenn dazu „ausreichende Fortschritte“erzielt sind, wollen die Regierungen der EU-27 in einer „zweiten Phase“über die künftigen Beziehungen zu Großbritannien verhandeln. So sieht es ihr Mandat vor, wobei von einem speziellen Freihandelsabkommen bis hin zum Verbleib im Binnenmarkt theoretisch alles möglich wäre. An sich wollte man die „Startfreigabe“bereits beim EUGipfel im Oktober geben, um für die formelle Scheidung im März 2019 ausreichend Zeit zu haben. Nächste Woche wollen sich die EU-Regierungschefs erneut damit befassen. Juncker hat den Auftrag, einen Bericht vorzulegen. Damit dieser entsprechend positiv ausfällt, eilte May am Montag mit neuen Vorschlägen nach Brüssel. Wie der ebenfalls involvierte Ständige Ratspräsident Donald Tusk am Nachmittag verkündete, sei London bereit, zu garantieren, dass die Grenzen zwischen Nordirland und dem Süden gemäß dem Good-Friday-Abkommen im Friedensvertrag nach 2019 weiterhin offen blieben. Wie man das Grenzregime konkret gestaltet, muss im Detail erst noch geklärt werden.
Juncker und May sagten nach dem Treffen, dass noch einige Fragen offen seien. Die beiden werden sich vor dem EU-Gipfel nächste Woche neuerlich treffen, um doch noch rechtzeitig einen Kompromiss in den strittigen Fragen zu erzielen. „Sie ist eine harte Verhandlerin“, sagte Juncker über May. Die britische Premierministerin zeigte sich zuversichtlich, „das wir das positiv abschließen“. Wie auch der Kommissionspräsident erwähnte sie viele Fortschritte: „Nur einige Fragen bleiben offen.“