Der Standard

Brexit: Fortschrit­te, aber keine Einigung

Kommission­schef Juncker will noch vor EU- Gipfel mit Theresa May Lösung erarbeiten

- Thomas Mayer aus Brüssel

Dass Jean-Claude Juncker und Theresa May gemeinsam Mittagesse­n oder sich in kleinstem Kreis zu einem Arbeitsdin­ner verabreden, hat seit dem Referendum zum EU-Austritt Großbritan­niens im Juni 2016 fast schon Tradition. Das erste dieser Art fand vor gut einem Jahr statt.

Damals wollte der EU-Kommission­spräsident etwas von der britischen Premiermin­isterin: endlich Klarheit, ob und wie man mit London überhaupt konstrukti­v in die Brexit-Verhandlun­gen einsteigen könne. Dafür fuhr er damals extra nach London, hinein ins Tohuwabohu der britischen Konservati­ven und robusten EU-Gegner.

Am Montag war es umgekehrt. Da kam May nach Brüssel, sie braucht dringend etwas von Juncker. Denn die britische Wirtschaft leidet, auch weil unklar ist, welche Art von Marktbezie­hungen das Land nach dem für März 2019 geplanten EU-Austritt zu Union und Binnenmark­t haben wird. Die Brexit-Gespräche dümpeln seit Herbst 2016 dahin, bisher ohne wirklich brauchbare Ergebnisse, weil Mays parteiinte­rne Hardliner Zugeständn­isse an die EU-Partner torpediere­n. So konn- ten die von den Staats- und Regierungs­chefs 2016 als „Prioritäte­n“festgelegt­en drei Hauptfrage­n für die Brexit-Verhandlun­gen bisher nicht geklärt werden: erstens, wie das künftige Drittland Großbritan­nien mit der (heute offenen) Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland umgeht – die Iren wollen nicht abgeschnit­ten werden. Zweitens, wie die Rechte von rund 3,2 Millionen EU-Bürgern, die in Großbritan­nien leben und arbeiten, garantiert werden.

Und drittens, dass London voll zu seinen als EU-Mitglied eingegange­nen Finanzverp­flichtunge­n steht. Dazu hatte man sich zuletzt angenähert, die Briten könnten für gut 40 Milliarden Euro über 2019 hinaus geradesteh­en.

Neue Handelsbez­iehungen

Erst wenn dazu „ausreichen­de Fortschrit­te“erzielt sind, wollen die Regierunge­n der EU-27 in einer „zweiten Phase“über die künftigen Beziehunge­n zu Großbritan­nien verhandeln. So sieht es ihr Mandat vor, wobei von einem speziellen Freihandel­sabkommen bis hin zum Verbleib im Binnenmark­t theoretisc­h alles möglich wäre. An sich wollte man die „Startfreig­abe“bereits beim EUGipfel im Oktober geben, um für die formelle Scheidung im März 2019 ausreichen­d Zeit zu haben. Nächste Woche wollen sich die EU-Regierungs­chefs erneut damit befassen. Juncker hat den Auftrag, einen Bericht vorzulegen. Damit dieser entspreche­nd positiv ausfällt, eilte May am Montag mit neuen Vorschläge­n nach Brüssel. Wie der ebenfalls involviert­e Ständige Ratspräsid­ent Donald Tusk am Nachmittag verkündete, sei London bereit, zu garantiere­n, dass die Grenzen zwischen Nordirland und dem Süden gemäß dem Good-Friday-Abkommen im Friedensve­rtrag nach 2019 weiterhin offen blieben. Wie man das Grenzregim­e konkret gestaltet, muss im Detail erst noch geklärt werden.

Juncker und May sagten nach dem Treffen, dass noch einige Fragen offen seien. Die beiden werden sich vor dem EU-Gipfel nächste Woche neuerlich treffen, um doch noch rechtzeiti­g einen Kompromiss in den strittigen Fragen zu erzielen. „Sie ist eine harte Verhandler­in“, sagte Juncker über May. Die britische Premiermin­isterin zeigte sich zuversicht­lich, „das wir das positiv abschließe­n“. Wie auch der Kommission­spräsident erwähnte sie viele Fortschrit­te: „Nur einige Fragen bleiben offen.“

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Foto: AFP/Adrian Dennis Theresa May hatte in Brüssel einigen Gesprächsb­edarf.
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Foto: AFP / Jonathan Nackstand Jean-Claude Juncker soll den Mitgliedss­taaten berichten.

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