VP/FP: Länger arbeiten
Nach einigen Tagen in Abgeschiedenheit traten ÖVP und FPÖ vor die Medien, um ihr wirtschaftspolitisches Konzept zu präsentieren. Zentraler Punkt: Der Arbeitnehmerschutz soll gelockert, der Zwölf-Stunden-Arbeitstag möglich werden.
ÖVP und FPÖ möchten den Arbeitnehmerschutz lockern und den Zwölf-Stunden-Arbeitstag ermöglichen.
Wien – Nach mehreren Tagen in präkoalitionärer Abgeschiedenheit traten die Chefverhandler von ÖVP und FPÖ am Mittwoch wieder vor die Medien, um Tatkraft zu signalisieren und zu zeigen, dass hinter den Kulissen sehr wohl etwas weitergeht.
Die frohe Botschaft des Mittwochs lautete: Wirtschaftsstandort sichern. Wie dieses schon von vorigen Regierungen verkündete Vorhaben unter Türkis-Blau erreicht werden soll, das verlautbarten die Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) höchstpersönlich.
Wobei Kurz ein Ziel formulierte, das auch der derzeitige Bundeskanzler Christian Kern zu Beginn seiner Amtszeit ins Zentrum stellte: „Österreich zurück an die Spitze der Europäischen Union“zu führen.
Länger arbeiten
Einig sei man sich im Bereich der Arbeitszeiten, heißt es. Beschäftigte sollen ihren Arbeitgebern künftig länger als bisher zur Verfügung stehen können. Bis zu zwölf Stunden täglich und bis zu sechzig Stunden wöchentlich sollen gesetzlich möglich sein, wenn der Betriebsrat zustimmt oder, wenn es keinen Betriebsrat gibt, Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine entsprechende Vereinbarung treffen. Kollektivverträge blieben davon unberührt, heißt es, auch die gesetzliche Normalarbeitszeit solle beibehalten werden – zugleich solle aber weniger kollektiv und mehr auf Betriebsebene entschieden werden.
Auch in der Gastronomie und in der Hotellerie soll die tägliche Ruhezeit von elf auf maximal acht Stunden reduziert werden. Zudem soll die Saison im Tourismus verlängert werden können.
Dass diese Reformen auf den Widerstand von Gewerkschaften und Arbeiterkammer stoßen, ist absehbar. Kurz lässt sich davon nicht beirren: Wenn man Dinge verändern wolle, so der ÖVPChef, „dann gibt es immer jemanden, den das stört“.
Einig sind sich Türkis und Blau auch bei Erleichterungen für Kapitalgesellschaften. So soll die Mindestkapitalgrenze für die Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung gesenkt werden.
Der Börsengang von Aktiengesellschaften soll künftig mit weniger finanziellem Aufwand verbunden sein. Eine weitere Erleichterung für Betriebe: Meldepflichten von Schadstoff- und Abfallmengen sollen verringert werden.
Ansonsten beschränkt sich die Einigung der Koalitionsverhandler auf altbekannte Schlagworte aus dem Themenbereich Verwaltungsvereinfachung und Bürokra- tieabbau. Dass man bestehende Gesetze und Vorschriften durchforsten und verzichtbare Normen streichen wolle, haben sich schon viele Regierungen zuvor auf ihre Fahnen geheftet. Was EU-Richtlinien betrifft, wolle man künftig weniger ehrgeizig sein und Vorgaben nicht mehr übererfüllen.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, wolle man die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte – Stichwort RotWeiß-Rot-Card – flexibilisieren. Auch das ist eine wohlbekannte Forderung, die Sebastian Kurz bereits in seiner früheren Funktion als Integrationsstaatssekretär formuliert hatte.
Weiterhin unklar ist, wie die Abgabenquote auf 40 Prozent gesenkt werden soll, ohne das Schuldenloch zu vergrößern.
Angelobung weiter ungewiss
Über diese und andere Budgetfragen hatten die Verhandler dem Vernehmen nach am Dienstag diskutiert. Abseits davon seien aber auch andere Themen in Kleinstgruppen besprochen worden, sagt ein Sprecher. Worüber man sich bereits einig wurde, wird aber nicht verraten.
Entsprechend ungewiss ist somit der Zeitpunkt der Regierungsangelobung: War vor kurzem noch der 20. Dezember im Gespräch, kursierte am Mittwoch wieder einmal der 12. Dezember als möglicher Termin. Kurz und Strache wollten sich auf ihrer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag jedoch weiterhin auf keinen Zeitpunkt festlegen. Fix sei nur, dass die Angelobung „vor Weihnachten“stattfinden solle.
ÖVP und FPÖ scharren in den Startlöchern – der Countdown zur Neuauflage des 2000er-Wende-Formats läuft. Damit rückt Österreich ins internationale Rampenlicht: Abseits von Günther Jauch und Co verblasst der Triumph von Sebastian Kurz gegenüber der bevorstehenden Rückkehr der „harten Rechtspopulisten“in Exekutivämter. Auch wenn diplomatische „Sanktionen“nicht mehr im Raum stehen – Gedanken zum schlampigen Rechtsaußenverhältnis werden allerorts gewälzt.
Was erklärt die außerordentliche Rechtsdrift des Landes? Derart schwach präsentiert sich die Linke sonst nur im postkommunistischen Polen und Ungarn. Gibt es Gründe, die tiefer reichen als die allgegenwärtige Flüchtlingskrise? Ein Landesspezifikum aus Anfälligkeit für PopulistenCharisma und Hang zum Autoritarismus, angetrieben bloß durch ausgesprochene Fremdenfurcht? Oder, billiger, angereichert um Wagenburg-Mentalität und antielitäre Reflexe?
Alles dies unterlag der Ansprache durch den Säulenheiligen vieler europäischer Rechtspopulisten und Personalisierungsjünger: Jörg Haider, das Jahrzehntetalent im heimischen Politbetrieb, das beständig über sein Kapital lebte. Was an ihm empörte, hatte in der Breite der Wahrnehmung – national wie international – weniger mit der persönlichen Verunglimpfung Andersdenkender oder der Verächtlichmachung ausgewählter Minderheiten zu tun. Viele Gegner der Haider-FPÖ quälte der Umgang mit dem NSErbe des Landes; er schnitt auf beiden Seiten tief ins Persönliche hinein.
Seine Bezeichnung von KZs als Straflager, getätigt im Hohen Haus: Nicht wenige Überlebende wurden nach 1945 mit dem obszönen Vorwurf konfrontiert, doch als Kriminelle dort hingelangt zu sein. Bis in die Jetztzeit hinein bemühen Rechtsextreme diese Perfidie: das mörderische Lagersystem als Gefängnis- oder Maßnahmenvollzug mit anderen Mitteln. Nie könnte irgendetwas Positives, Erreichtes auch nur das Geringste an der NS-Charakteristik von Verbrechertum und Grundfalschheit ändern. Haiders Sager von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik“im Dritten Reich zielte zwar auf die damalige Bundesregierung ab, resümierte aber dennoch die in Wahrheit ebenso verbrecherische und fehlgeleitete Erwerbspolitik fälschlich als Erfolgsgeschichte.
Das Lob für die Kameraderie der Waffen-SS: Hier schaltete sich der FPÖ-Obmann nicht einfach in die Debatte um Pflichterfüllung, Kollektivschuld und dergleichen ein. Fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus rühmte ein Spitzenpolitiker ein paar Werkzeuge dieser Schreckensherrschaft nur für eines: in ebenso vielen Jahren aber auch gar nichts hinzugelernt zu haben!
Das ist schlimm, zumal es – mit Ausnahme seiner Abwahl als Landeshauptmann – ohne Konsequenzen blieb. Die Berührungsflächen von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten bzw. Neonazis sind weiterhin gegeben – darin unterscheidet sich die Strache-FPÖ keinen Deut von der HaiderFPÖ. Aber die Wahlerfolge der vergangenen dreißig Jahre lassen sich damit nicht einmal im Ansatz erklären.
Haider wirkte als Oppositionsführer selbst bei harter persönlicher Kritik an ihm und angesichts schwerer politischer Niederlagen kaum einmal eingeschnappt oder persönlich betroffen. Diese Leichtigkeit trug wesentlich zu seiner Ausstrahlung bei. Mehr noch als seine (scheinbare) Authentizität inmitten chamäleonartiger Anpassungen (im Kärntner Anzug, in der Dorfdisco, im offiziellen Wien); und mehr noch auch als seine gewinnende Art im Gespräch von Mensch zu Mensch. Da konnte Haider wie ein Rohrspatz auf „die Linken“schimpfen und sich selbst ideologiebefreit „jenseits von rechts und links“verorten. Dem Publikum gefiel es.
Was die Erfolge der FPÖ unter Haider und Strache eint, sind vor allem zwei Dinge: erstens ein Gegenüber in Form großer Koalitionen. Regieren ist im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte in den meisten Demokratien zu einer recht unpopulären Angelegenheit geworden. Und die Karte „Volkswille“lässt sich im Parteienstaat besonders effektvoll hochhalten.
Zweitens eine programmatische Flexibilität, die einerseits Repräsentation herstellt, andererseits an Beliebigkeit grenzt: Binnen eines Jahrzehnts ersetzte Haider Deutschnationalismus durch Österreich-Patriotismus, verkehrte integrationsfreundliche Europapolitik ins Gegenteil und begann ein „wehrhaftes Christentum“zu beschwören – als Oberhaupt des traditionell antiklerikalen dritten Lagers. Strache setzte fort: EU-Fundamentalkritik ja, Öxit nein. Neutralität – nun wieder immerwährend.
Was bleibt, ist eine Anfälligkeit für populistische Leichtigkeit, Sündenbockerzählungen und das Angebot, sich selbst aus der Bürde der Selbstreflexion zu entlassen. Das gibt weniger Anlass zu demokratiepolitischem Alarmismus als zur Sorge um Ergebnisse in Politikbereichen, die der Verbindlichkeit und Verantwortung bedürfen: Europafragen, demografische Herausforderungen, Klimawandel, Bildungsmaterien.
DAVID M. WINEROITHER ist Senior Research Fellow an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Er ist Mitherausgeber des Buchs „Die österreichische Demokratie im Vergleich“.