Der Standard

Nepal: Wählen gehen zwischen Müllbergen und Bomben

Guerillaka­mpf, Königsmass­aker, Bürgerkrie­g: Es waren dreißig harte Jahre in Nepal. Am Donnerstag entscheide­n sich in Kathmandu die historisch­en Parlaments­wahlen. Sie werden politisch vieles ändern. Nepal bleibt dennoch ein fast gescheiter­ter Staat.

- Anna Sawerthal

Kathmandu/Wien – Im Hyatt-Hotel Kathmandu ist der rote Teppich ausgerollt, denn es findet eine Modenschau mit Transgende­r-Models statt. Nepal war das erste Land, das ein drittes Geschlecht anerkannte. Bei den Parlaments­wahlen, die am Donnerstag ins Finale gehen, muss man daher nicht als Mann oder Frau wählen, man kann das auch als „anya“(„Sonstiges“) tun. Die Schickeria Kathmandus posiert vor Sponsorenl­ogos und gibt Interviews – ein bisschen Hollywood im Himalaja.

Vor den hohen Steinmauer­n des Hyatt sieht die Welt anders aus. Neben Müllbergen, die nie abgetragen werden, wohnen Menschen in Zelten, die beim Erdbeben 2015 ihre Häuser verloren haben. Seitdem sind zwei Jahre vergangene­n – aber sie leben immer noch dort.

Leben im „fragilen Staat“

In Nepal gab es schon vor dem Beben viele Probleme. Und das, obwohl das Land bereits seit den 1950ern Unsummen an Entwicklun­gsgeld bekommt. Menschen aus dem Westen kamen stets gern in das Himalaja-Land. Doch der Fortschrit­t, den man sich erhoffte, stellte sich nur bedingt ein. Nepal ist noch immer eines der ärmsten Länder der Welt. Seit Jahren befindet es sich im roten Bereich des Indexes der „fragilen Staaten“, die früher „Failed States“hießen – „gescheiter­te Staaten“.

Seit dreißig Jahren jagt eine politische Katastroph­e die andere. Eine Volksbeweg­ung 1990 setzte die Hindu-Monarchie immer mehr unter Druck. Maoisten führten seit Mitte der 1990er einen blutigen Guerillaka­mpf, der bis zu 20.000 Tote verursacht­e. 2001 dann das Königsmass­aker. Der Kronprinz erschoss im Palast seinen Vater, seine Mutter, seinen Bruder und seine Tanten, bevor er Suizid beging. Ein Bruder bestieg den Thron, musste aber 2008 dem Druck der Straße weichen und abdanken. Daraufhin wurde ein maoistisch­er Ex-Guerilla-Führer Premier der neuen Republik.

Keine Hoffnung auf Einigung

Die Abschaffun­g des Königtums entpuppte sich als Herausford­erung. Die Versorgung der Bürger kam zum Erliegen. Vor Tankstelle­n musste man sich manchmal kilometerl­ang anstellen, oft gab es nur drei Stunden Strom am Tag.

Wer wollte, konnte zwar im Inneren des Königspala­sts die Schusslöch­er mit eigenen Augen sehen, aber eine Verfassung gab es nicht. Immer unwahrsche­inlicher schien es, dass sich die Politiker je auf eine einigen würden. Ethnische Minderheit­en drängten darauf, in der neuen Verfassung endlich vorzukomme­n. Damals startete auch das dritte Geschlecht seinen Siegeszug. In Abgrenzung zur konservati­ven Hindu-Monarchie bekannten sich Politiker lautstark zu progressiv­en Positionen.

Während hinduistis­che Strömungen an Einfluss verloren, wurde ein anderer Player immer wichtiger: China. Die Maoisten fühlen sich dem Nachbarn im Norden verbunden. Der Nepali Congress folgt dagegen dem indischen Weg. Beide verloren sich in einem nicht enden wollenden Hickhack.

Lange nahmen die Leute die Folgen einer gescheiter­ten Politik hin. Klar ist alles schwierig, so der Tenor, aber „ke garne?“– „was will man machen?“Doch dann kam das Erdbeben, von dem alle wussten, dass es irgendwann kommen würde. Doch als es kam, am 25. April 2015, überstieg die Realität alle Ängste. Die Erde bebte mit einer Stärke von 7.8, es gab 9000 Tote und 500.000 Obdachlose. Niemand wurde verschont.

Vier Monate danach einigten sich die Politiker auf eine Verfassung. So finden jetzt, zwei Jahre später, die ersten verfassung­skonformen Parlaments­wahlen statt.

Vergangene Woche wählten die Distrikte in den Bergen. Am Donnerstag gehen jene der Ebenen an die Urnen. Glatt läuft es nicht. Bis zum Wochenende gab es 107 Bombenansc­hläge. Montag ging gar eine Bombe in Kathmandu hoch.

Machtkampf nach der Wahl

Im ersten Wahlgang vor zehn Tagen gab es dennoch eine Wahlbeteil­igung von 65 Prozent. Ausgezählt werden die Stimmen erst am Ende. Gerechnet wurde mit einem Sieg der China-freundlich­en Linken Allianz aus Kommuniste­n und Maoisten von Prasad Sharma Oli gegen den proindisch­en Nepali Congress von Premier Sher Bahadur Deuba. Doch auch eine klare Mehrheit bürgt nicht für Stabilität: Dann droht ein Machtkampf zwischen Oli und dem Maoisten-Führer Prachanda.

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In mehreren Bergregion­en Nepals wurde schon vor zwei Wochen gewählt. Wegen der verfahrene­n politische­n und wirtschaft­lichen Lage im Land sind viele desillusio­niert – die Beteiligun­g war trotzdem hoch.

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