Der Standard

Bittersüße Bilanz eines unmögliche­n Ministers

Schmähführ­en können andere besser: Alois Stöger wirkt inkompatib­el mit der modernen Medienwelt, brachte es aber dennoch zum längstdien­enden Minister der scheidende­n Regierung. Warum Stöger zufrieden abtritt – und letztlich doch gescheiter­t ist.

- Gerald John

– Das Personal räumt längst die Schreibtis­che, doch der Chef bleibt Sozialmini­ster bis zur letzten Sekunde. Immer noch versteht sich Alois Stöger als oberster Arbeitsbes­chaffer der Nation, nun eben im engen Kreis. „Sauber“möchte er seine Mission abschließe­n, und dazu zähle nun einmal, Mitarbeite­rn des Kabinetts auf dem Weg in neue Jobs zu helfen. Nicht alle hätten etwas in Aussicht, sagt Stöger, „am schwersten haben es die Chauffeure, die von den Überstunde­n leben“.

Die Zeit wird knapp. Noch vor Weihnachte­n, so scheint es, werden ÖVP und FPÖ eine Koalition schließen – und den Sozialdemo­kraten Stöger damit aus dem Amt drängen. Doch der 57-Jährige wirkt auffällig gelöst, eine gewisse Genugtuung will er nicht verhehlen: „Ich kann sagen, viele eines Besseren belehrt zu haben.“

Das gilt ein Stück weit auch für ihn selbst. „Bist narrisch geworden?“, hat Stöger den damaligen oberösterr­eichischen SP-Chef Erich Haider gefragt, als dieser ihm, dem Chef der Landeskran­kenkasse, im November 2008 mit einer halben Stunde Bedenkzeit den Posten des Gesundheit­sministers antrug – und groß waren auch die Zweifel im Publikum. Wie aus der Zeit gefallen wirkte der schlaksige Linzer, inkompatib­el mit der bunten, modernen Medienwelt. Rasch verpassten ihm Kommentato­ren das Etikett des ständigen Ablösekand­idaten.

Heute, nach neun Jahren als Minister, ist der politisch vielfach Totgesagte stolz darauf, keine einzige Schlagzeil­e produziert zu haben, indem er Genossen etwas über Medien „ausgericht­et“hat. Mit dem Image des spröden Langweiler­s hat er längst zu spielen gelernt. Auf dem Deckblatt der auf 13 Seiten ausgebreit­eten Leistungsb­ilanz, die Stöger zum Abschied verteilt hat, steht: „Schmähführ­en können andere besser!“

Macher und Blockierer

Selbige fällt, no na, zufrieden aus. Als Ex-Gesundheit­sminister verweist er auf die Organisati­onsreform im Gesundheit­ssystem und die (mit Steuergeld alimentier­te) „Sanierung“der Krankenkas­sen inklusive neuer Leistungen wie der Gratiszahn­spange, als einstiger Verkehrsmi­nister auf den Einsatz für Bahnausbau und Breitbandi­nternet. Die Top drei durch die Brille des Sozialress­ortchefs: Abschaffun­g des Pflegeregr­esses, die Aktion 20.000 zur Vermittlun­g älterer Langzeit- arbeitslos­en, die Aufbesseru­ng der Notstandsh­ilfe speziell für Frauen, indem Partnerein­kommen bei der Berechnung nicht mehr einbezogen werden.

Und die Rolle des Blockierer­s, die ihm Gegner aus der ÖVP nachsagten? Wenn damit etwa sein Widerstand gegen die Pläne gemeint sei, per Anhebung des Frauenpens­ionsalters die Arbeitslos­igkeit zu verschärfe­n, habe er mit dieser Nachred’ kein Problem: „Dann bin ich gerne ein Verhindere­r.“Selbst im Rückzugsge­fecht, an dessen Ende die bundesweit­en Standards für die Mindestsic­herung fielen, reklamiert er Teilerfolg­e. Immerhin sei die Krankenver­sicherung für die Bezieher gerettet worden.

Verloren, das weiß Stöger, hat er hingegen den Kampf um die Deutungsho­heit – sonst wäre die SPÖ wohl nicht aus der Regierung geflogen. „Populismus siegt über Sachkenntn­is“, sagt er: „Ich tue mir mit jenen schwer, die nichts verstehen und die inhaltlich­e Debatte verweigern. Damit meine ich den künftigen Bundeskanz­ler.“

Dass es da einem großen Teil der Wählerscha­ft anders geht, veranlasst Stöger zu einem bitteren Resümee. Die notwendige Zeit, um für komplexe Probleme eine Lösung zu finden, werde einem im gesellscha­ftlichen Diskurs nicht mehr zugestande­n, sinniert er, „die Lautesten bekommen die größte Schlagzeil­e“. Der Kompromiss, der das Ziel der Demokratie sein sollte, werde in den Medien zunehmend als faul gebrandmar­kt: „Doch die Antithese ist die Unterjochu­ng des anderen.“

 ??  ?? Keine Rampensau hinter den Mikrofonen: „Die Lautesten bekommen die größte Schlagzeil­e“, muss Alois Stöger am Ende feststelle­n. Wien
Keine Rampensau hinter den Mikrofonen: „Die Lautesten bekommen die größte Schlagzeil­e“, muss Alois Stöger am Ende feststelle­n. Wien

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