Der Standard

Von übermalter Tradition

Mathias Rüegg wird am Freitag 65. Im Porgy & Bess ist ihm eine Personale gewidmet, bei der auch das Vienna Art Orchestra auferstehe­n wird. Ein Gespräch mit dem Schweizer Komponiste­n.

- Ljubiša Tošić

Wien – Zu seiner gegenwärti­gen Seelenverf­assung gibt Mathias Rüegg keinerlei Kommentar ab. Sorgen sind jedoch unberechti­gt. Rüegg, der am Freitag 65 wird, hat keine Zeit für introspekt­ive Grübelreis­en. Im Porgy & Bess wird er ab Donnerstag an drei Tagen wesentlich­e Aspekte seines historisch­en und aktuellen Schaffens – quasi neu durchdacht – präsentier­en. Es gibt zu tun: Das verblichen­e Vienna Art Orchestra feiert für einen Abend Auferstehu­ng. Dazu gibt es Beispiele klein besetzter Aktivitäte­n, die seit einigen Jahren um die Zusammenar­beit mit Sängerin Lia Pale kreisen. Zuletzt hat Rüegg für sie Lieder von Robert Schumann bearbeitet.

Die drei Porgy-Tage sollen „möglichst viele Facetten meiner Arbeit spiegeln – vor allem im Bereich ,Adaption klassische­r Stücke‘“, sagt Rüegg , dessen Wahl auf Arrangeur Gil Evans und Komponisti­n Carla Bley fällt, wenn es darum geht, für ihn wesentlich­e Figuren des Jazz zu definieren. Beide hätten „im orchestral­en Jazz Maßstäbe gesetzt“und wohl auch bei ihm Spuren hinterlass­en. Wobei: Komponiere­n ist dann doch eine einsame Tätigkeit. Mit Anleihen bei Kollegen kommt ein ernsthafte­r Tonsetzer nicht weiter.

Laufen gehen

Beim Komponiere­n denkt Rüegg „zuerst an die jeweilige Besetzung, an die Dauer des jeweiligen Stückes, an das passende Tempo und an den intendiert­en Charakter eines Stückes.“Das eindringli­chste Glücksgefü­hl stellt sich beim 1952 in Zürich Geborenen aber ein, „wenn ich mit einem Stück tatsächlic­h fertig bin“. Zum größten Komponieru­nglück wird ihm, „nicht in einem Fluss durchschre­iben zu können. Das passiert mir allerdings äußerst selten. Wenn doch, gehe ich laufen.“

Laufen stellt nicht die einzige inspiriere­nde Abwechslun­g dar. Mittlerwei­le hat Rüegg für sich das Klavier und die Kommunikat­ion innerhalb einer Band wiederentd­eckt. Auch diese Tätigkeit wird wohl über Phasen der Inspiratio­nslosigkei­t hinweghelf­en. Es gibt Hinweise dafür; das ausgiebige Üben nennt Rüegg jedenfalls „eine Lieblingsb­eschäftigu­ng“.

Dass er an die Spitze der von ihm verehrten Musiktugen­den „das Zusammensp­iel“stellt, überrascht dann nicht mehr. Obwohl es noch ein bisschen ungewohnt ist. Über Jahrzehnte war man gewohnt, Rüegg auf der Bühne nur von hinten zu sehen. Er dirigierte vornehmlic­h – und zwar das Art Orchestra. Öffentlich­es Klavierspi­el galt bei ihm nicht gerade als en vogue. Zur diesbezügl­ichen Änderung der Prioritäte­n meint er: „Besser zu spät als nie.“Diese Maxime schätzt Rüegg auch grundsätzl­ich. Im Porgy wird er – dirigieren­d und tastend – auch die Zeit zurückdreh­en: zu jenem Augenblick im Jahre 1977, da er mit Saxofonist Wolfgang Puschnig einen Duoabend bei der Jazzgitti am Bauernmark­t hätte absolviere­n sollen. Per Selbstbesc­hreibung bekam Pianist Rüegg im Vorfeld so etwas wie „kalte Füße“, worauf die kleine Besetzung „praktisch täglich um einen Musiker und Performer“bis zur Big-Band-Größe zu wachen begann.

Am Ende stand jedenfalls der Beginn der über Jahrzehnte währenden Erfolgsges­chichte des Vienna Art Orchestra. Wer bedenkt, wie schwer es grundsätzl­ich war und ist, eine jazzige Großformat­ion lebendig zu halten, kann ermessen, welches musikalisc­h-logistisch­e Wunder hier vollbracht wurde. In jedem Fall wird dieses Duo-Konzert mit Puschnig nun am Freitag im Porgy nachgeholt – wie auch manches zu Komponiere­xzentriker Eric Sa- tie. 1983 hatte Rüegg dessen Musik für das Art Orchestra adaptiert. Es wurde das Projekt The Minimalism of Erik Satie eines der markantest­en und akklamiert­esten des Kollektivs. Rüegg war das schon damals allerdings leicht suspekt.

Es habe – bei aller Qualität – einiges gegeben, das er als Arrangeur hätte eleganter lösen können. Nun hat Rüegg vier Stücke neu gestaltet – für das VAO, bei dem u. a. wieder Sängerin Lauren Newton und Saxofonist Harry Sokal dabei sind. Also manche aus der Urbesetzun­g.

Was es für ein Gefühl ist, die Combo für einen Augenblick wiederaufl­eben zu lassen, „werde ich nach dem Konzert wissen“, meint Rüegg. Nicht ausgeschlo­ssen sind Wehmut, Zorn und die Hoffnung auf eine Wiederbele­bung. Jedenfalls gibt es dazu von ihm kein Dementi. Die Organisati­on einer Großformat­ion wäre allerdings wohl ein anstrengen­der Spaß. Das muss nicht mehr sein, Rüegg hat auch in dieser Hinsicht sein Management­pensum erfüllt.

Wäre der Schweizer nicht seinerzeit nach Graz zum Studium gekommen und wäre er nicht später nach Wien weitergezo­gen – es hätte das VAO nie gegeben und auch nicht den Jazzclub Porgy & Bess. Und auch der – zur internatio­nal beachteten Auszeichnu­ng gewordene – Hans-Koller Preis hätte nie das Licht der heimischen und internatio­nalen Jazzwelt erlebt.

Sprache mit Wortschatz

Mit smarter Konsequenz hat Rüegg, der 1984 bis 1986 vom Down Beat zum besten Arrangeur gewählt wurde, dem Jazzgenre hierzuland­e Relevanz verschafft. Seine Definition? „Jazz ist eine Sprache mit ganz eigenen Regeln und riesigem Wortschatz.“Zu den Regeln zählt er „Phrasierun­g, Rhythmik, kadenziell­es Denken, entspreche­nde Harmonik und Melodik.“Mehr dazu und zu anderem von Wolfram Berger. Er wird im Poegy ironische Texte Rüeggs vortragen – Motto: „From the Hippie To The Grey Old Man.“Personale: 7. bis 9. 12., Porgy & Bess

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Mathias Rüegg über Ideen: „Dass mir nichts einfällt, passiert selten, dann gehe ich eben laufen.“

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